Mit Gesundheit und Ergonomie bei der Büroarbeit hat sich am 27. November das Forum „IN BEWEGUNG“ in Fulda befasst. Wie aktuell dieses Thema angesichts von Dauersitzen und Dauerstress ist, zeigten die Experten in erhellenden und bewegenden Vorträgen.
Die zunehmende Digitalisierung der Büroarbeit bedeutet unter anderem mehr Flexibilität, Kommunikation und Selbstverantwortung, mitunter aber auch mehr Herausforderungen für die Gesundheit. So umriss Dr. Robert Nehring, Chefredakteur von Das Büro, OFFICE ROXX sowie Sprecher der Aktionen Aufstand im Büro und Bewegung im Büro, das Problemfeld eingangs des Forums, das gemeinsam vom Deutschen Institut für moderne Büroarbeit (DIMBA) und der Mensch&Büro-Akademie (MBA) durchgeführt wurde. Zu den besonderen Herausforderungen zählte der Moderator der Veranstaltung in seinem Überblicksvortrag etwa langes, bewegungsloses Sitzen, ununterbrochenes Starren auf Bildschirme sowie das Vernachlässigen ergonomischer Notwendigkeiten.
Gefahren der Bewegungsarmut
Welche negativen Folgen zu wenig Bewegung – oder anders gesagt: zu viel Sitzen – im Büro haben kann, schilderten Dr. Boris Feodoroff von der Deutschen Sporthochschule Köln, Dr. Dieter Breithecker, Leiter der Bundesarbeitsgemeinschaft für Haltungs- und Bewegungsförderung, und Burkhard Remmers vom Büromöbelhersteller Wilkhahn in ihren Vorträgen: vom Muskelabbau, der wiederum zu Bandscheibenproblemen führen kann, über Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes II bis hin zur Einlagerung von Körperfett. Und noch mehr: „Sitzen macht dumm“, brachte Dr. Breithecker in seinem bewegenden Vortrag die Ergebnisse einer amerikanischen Studie auf den Punkt. Was also tun?
Arbeit und Aktivität verbinden
Dr. Feodoroff empfahl die eingängige und sich auf Englisch reimende Formel „What can I do? 20/8/2.“ Also einen Mix aus 20 Minuten Sitzen, acht Minuten Stehen und zwei Minuten Bewegung. Dr. Breithecker betonte, dass für die Gesundheit nicht unbedingt Bewegung im Sinne von Sport nötig sei. Körperliche Aktivität aber sei ein Muss. Sie gelte es, ins Leben zu integrieren. Also nicht zuletzt in die Büroarbeit. Ähnlich sah es Josef Glöckl, Geschäftsführer von aeris und active office. In seiner Präsentation erläuterte er, wie wichtig es sei, Arbeit und Bewegung miteinander zu verbinden.
Burkhard Remmers ergänzte zu diesem Aspekt, dass der Mensch dazu neige, alle Komfortangebote zu nutzen, um Körperenergie zu sparen. Früher sei das ein evolutionärer Vorteil gewesen, um für Notzeiten vorzubauen. Heute hingegen eine Gesundheitsgefahr. Trotzdem sei für viele ein Frühstück im Bett nach wie vor eine Traumvorstellung: Energieaufnahme bei minimalst möglicher Bewegung. Dringend sei ein Umdenken nötig, um die fatale Symbiose aus Bewegungsfaulheit und überholten Effizienzstrategien auch während der Arbeit aufzubrechen. Denn Erholung finde nur im Wechsel zwischen Be- und Entlastung statt. Für die Pause eines Büroarbeiter bedeute das: Abschalten von der Arbeit mit Aktivierung und Mobilisierung des Körpers. Nicht einfach Fortsetzen von Diskussion und Kommunikation am Tisch.
So kommt Bewegung ins Büro
Wie körperliche Aktivität in die Büroarbeit integriert werden kann, zeigten die Referenten auch anhand konkreter Tipps: Treppe statt Aufzug, Besprechungen im Stehen, ein zentraler Papierkorb, heften und lochen am Boden, Arbeit an Sitz-Steh-Tischen. Dr. Breithecker nannte solche Maßnahmen „heimliche Bewegungsverführer“. Immer wieder wurde darüber hinaus der Nutzen von bewegungsfördernden Sitzmöbeln unterstrichen. Dr. Feodoroff zeigte beispielsweise Fotos von einem Hocker mit beweglich gelagerter, zweigeteilter Sitzfläche und von einem Bürostuhlprototyp, der es ermöglicht, sich nach hinten zu überstrecken. Womit ein Ausgleich für die im Büro typische kauernde Sitzhaltung geschaffen werden soll. Remmers führte vor, wie Stühle und Tische von Wilkhahn Bewegung ins Büro bringen. Glöckl präsentierte das Active-Office-Konzept, zu dem neben Sitzmöbeln unter anderem der ACTIVE OFFICE Floor gehört: eine Bodenmatte, die dynamisches Stehen erlaubt. All diese Möbel und Konzepte haben eines gemein: Sie sind weit weg von dem, was Dr. Feodoroff als „Ergonomie fatal“ bezeichnete: dem korsettähnlichen Bürostuhl, der den Körper unterfordert.
Immer abgelenkt
Dass es auch jenseits des Bewegungsmangels viele bislang ungelöste ergonomische Herausforderungen bei der Büroarbeit gibt, verdeutlichte Karl-Heinz Lauble, Geschäftsführer von Lauble Consult. Über das meiste, worüber heute diskutiert werde, sei bereits vor gut 100 Jahren gesprochen worden. Schon damals habe es Beschwerden über akustische und visuelle Störungen bei der Büroarbeit gegeben. Heute sei das noch immer so. Ein Beispiel: Statistisch verlasse jeder Bürotätige seinen Schreibtisch pro Tag 26-mal. Für seine Kollegen im selben Raum bedeute das jedes Mal Ablenkung und Unterbrechung. Als wirksames Mittel dagegen empfahl er neben einer sinnvollen Planung der Verkehrswege eine Abschirmung direkt am Arbeitsplatz.
Gute Akustik lohnt sich
Ebenfalls mit Störungen der Büroarbeit – und zwar durch eine schlechte Akustik – befasste sich Michael Hartung, Geschäftsführer von AGORAphil. Sei die Akustik schlecht, sorge das für ständige Irritationen. Jüngere würden das noch nicht merken, ältere Büroarbeiter ab etwa 40 Jahren dafür umso mehr. Sowohl Hartung als auch Lauble betonten, dass sich höhere Kosten durch einen besser ausgestatteten Büroarbeitsplatz kurzfristig amortisieren würden: Die Arbeitsleistungen werden besser, die Fehlzeiten geringer.
Biologisch wirksames Licht
Dafür, Ergonomie ganzheitlich zu betrachten, plädierte Sibylle Pöhler, Produktmanagerin bei Kesseböhmer Ergonomietechnik. Um den Büroarbeiter dabei zu unterstützen, hat das Unternehmen eine „App für alles“ entwickelt: Auf den jeweiligen Nutzer abgestimmt, lässt sich mit ihr der Sitz-Steh-Tisch bedienen. Sie hilft bei der dazu passenden Einstellung des Bürostuhls und steuert die Beleuchtung am Arbeitsplatz. Genauer: eine biologisch wirksame Beleuchtung. Neben Pöhler erklärte Harald Popp vom Leuchtenhersteller Regiolux deren Nutzen: Sie sorge für das richtige Licht zur richtigen Zeit. Über Dynamik in der Lichtfarbe (Kaltweiß bis Warmweiß) und des Beleuchtungsniveaus (heller, dunkler) kann eine moderne Bürobeleuchtung unter anderem den Schlaf-Wach-Rhythmus des Menschen unterstützen.
Vorschriften und Flexibilität
Auch im Vortrag von Dr. Ahmet Çakir, Leiter des Ergonomic Instituts, ging es um die jeweils richtige Unterstützung des Menschen bei der Arbeit. Er veranschaulichte dies am Beispiel der Arbeitsstättenverordnung in Zeiten maximaler Flexibilität. Flexibilität erfordere zwar oft Mehraufwand, mache aber Sinn. Beispielsweise, wenn Möbel so flexibel gestaltet seien, dass unterschiedliche Menschen optimal an ihnen arbeiten könnten. Die Vorschriften berücksichtigen dies, indem sie unterschiedliche Tischtypen nennen oder unterschiedliche Tastaturarten. Letztlich komme es dann im jeweiligen Unternehmen darauf an, mit einer Gefährdungsbeurteilung herauszufinden, welche zulässige Lösung die richtige ist. Andernfalls könne selbst ein geprüftes und zulässiges Produkt krank machen. An anderen Stellen hingegen seien die Vorschriften eindeutig und ließen keine flexible Auslegung zu. Etwa bei der Vorgabe, dass Laptops für die Arbeit einen reflexionsarmen Bildschirm besitzen müssen.
So kann es gelingen
Mit den aufschlussreichen Vorträgen wurde das breite Themenspektrum von Gesundheit und Ergonomie im Büro aufgezeigt. Und mehr noch: Es wurden auch viele konkrete Schritte und Maßnahmen hin zu einer gesunden, besseren Büroarbeit vorgestellt. Wer weiß, vielleicht besteht so doch noch Hoffnung, Voltaires bereits im 18. Jahrhundert formulierte und von Dr. Breithecker in seinem Vortrag zitierte Erkenntnis zu widerlegen: „In der einen Hälfte des Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu verdienen. In der anderen Hälfte opfern wir Geld, um die Gesundheit wiederzuerlangen.“ Besser wäre, es gleich richtig zu tun.
Die Sponsoren der Veranstaltung
Das komplette Programm als Download.
Auszüge aus der Präsentation von Dr. Robert Nehring.
Auszüge aus der Präsentation von Dr. Boris Feodoroff.
Auszüge aus der Präsentation von Dr. Ahmet Çakir.
Auszüge aus der Präsentation von Dr. Dieter Breithecker.
Auszüge aus der Präsentation von Karl-Heinz Lauble.
Auszüge aus der Präsentation von Burkhard Remmers.
Auszüge aus der Präsentation von Sibylle Pöhler.