Die meisten Office-Worker bewegen sich zu wenig – mit teilweise verheerenden Folgen. Es wird zu wenig gestanden und gelaufen. Aber auch im Sitzen sollte man sich bewegen. Im dritten Teil unserer Reihe zum Thema Bewegtsitzen geht es um die Mechaniken von Bürodrehstühlen. Von Robert Nehring.
Wurden in den ersten beiden Teilen dieser Serie unter anderem die Vorteile und die vermeintlichen Nachteile des Bewegtsitzens sowie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema betrachtet, stehen diesmal die Bürostuhlmechaniken im Fokus. Sie entscheiden in der Regel am meisten darüber, wie bewegt man auf seinem Stuhl sitzen kann.
Allerdings ist die Klassifizierung ein sehr schwieriges Unterfangen. Zwar verbauen viele Hersteller die gleichen Mechaniken von den gleichen wenigen Zulieferern. Es gibt aber – besonders im höherwertigen Segment – auch ein starkes Interesse an Unverwechselbarkeit. Dieses Streben nach Einzigartigkeit hat nicht nur verschiedenste Mechanik-Varianten zur Folge, sondern auch eine Vielzahl von unterschiedlichen Bezeichnungen. Beides erschwert eine Zuordnung erheblich. Die einschlägige Fachliteratur kennt durchaus verschiedene Typen von Bürostuhl-Mechaniken. Meist sind diese Einteilungen aber wenig ausdifferenziert und teilweise auch veraltet. Mit Blick auf die neuesten Entwicklungen zeichnen sich diese sieben Grundtypen bei Bürostuhl- Mechaniken ab.
1) Synchronmechanik
Die eigentliche Synchronmechanik. Bei ihr sind Rückenlehne und Sitzfläche flexibel miteinander gekoppelt. Sie bewegen sich in einem festen Verhältnis nach vorn und hinten mit, zum Beispiel im Verhältnis 3:1 (15° Rückenlehne : 5° Sitzfläche).
Die eigentliche Synchronmechanik ist eine sogenannte Punkt-Synchron-Mechanik. Punktsynchron bedeutet hier, dass die Rückenlehne beim Vor- und Zurücklehnen einen unveränderten Kontakt zum Rücken hält. Was passiert, wo dies nicht der Fall ist – wo die Lehne also am Rücken hoch- bzw. runterrutscht, weil sich die Sitzfläche nicht mitbewegt – wird sehr treffend als Hemdauszieheffekt bezeichnet.
Die Synchronmechanik ermöglicht also eine Lehnen-Sitz-Neigung. Dadurch kann der Stuhl Bewegungen des Körpers nach vorn und hinten folgen. Der große Öffnungswinkel, den diese Mechanik ermöglicht, bietet Entspannung. Beim Zurücklehnen wird der Druck auf die Bandscheiben, der insbesondere in der vorgelehnten Arbeitsposition recht groß ist, gemindert. Das Blut und wichtige Nährstoffe (insbesondere für die Bandscheiben) können besser zirkulieren, die Gelenke werden bewegt und der Körper streckt sich einmal.
Aufgrund dieser Vorzüge fungiert die punktgenaue Synchronmechanik heute als eine Grundvoraussetzung für bewegtes, „dynamisches“ Sitzen. In einigen Regelwerken gilt sie noch als State of the Art. Jedoch versprechen sogenannte 3-D-Mechaniken seit einiger Zeit noch mehr Bewegung im Sitzen.
Bei einer Synchronmechanik sollte sich die Rückenlehne mindestens um 15° (DIN EN 1335-1) von der Grundstellung aus nach hinten neigen lassen. Das entspricht in der Regel einem Winkel von 105° zur Waagerechten. Hierbei handelt es sich aber noch nicht um den Öffnungswinkel. Dieser ergibt sich erst nach Abzug der Sitzflächenneigung in Bezug zur Waagerechten. Diese Sitzneigung – so wird empfohlen – soll beim Zurücklehnen mindestens 6° betragen (DIN EN 1335-1). Für das Neigeverhältnis von Rückenlehne zu Sitzfläche hat sich die Empfehlung von 2:1 bis 3:1 durchgesetzt. Ein über 3:1 hinausgehendes Verhältnis könnte zwar unter Umständen für noch mehr Entspannung sorgen, da man dann fast liegt. Jedoch bedarf es in einem solchen Fall auch einer Nackenstütze und einer besonderen Statik, die ein Umfallen verhindert.
2) Gleitmechanik
Eine Synchronmechanik, bei der die Sitzfläche beim Zurücklehnen nach vorn gleitet, statt sich zu neigen. Auf diese Weise bleibt der Zugriff auf den Arbeitsbereich beim Zurücklehnen erhalten.
3) Wippmechanik
Bei dieser Mechanik sind Rückenlehne und Sitzfläche fix gekoppelt – wie bei einem Schaukelstuhl. Es ist nur ein Kippen im festen Winkelverhältnis möglich. Aufgrund der Kopplung handelt es sich im Grunde ebenfalls um eine Synchronmechanik, auch wenn sie kaum so bezeichnet wird. Einen Sonderfall stellen hier die Balancemechaniken der Marke HÅG dar. Bei diesen lässt sich die Vorderkante der Sitzfläche auch nach unten neigen.
4) Asynchronmechanik
Die eigentliche Asynchronmechanik. Bei ihr sind Rückenlehne und Sitzfläche voneinander entkoppelt und individuell bewegbar.
Im Handel finden sich auch Stühle, die Asynchron- und Synchronmechanik kombinieren bzw. sich jeweils umstellen lassen, zum Beispiel Bioswing® von Haider Bioswing, lento agilis von Lento und den FreeFloat-Modellen von Kinnarps.
5) Permanentkontaktmechanik
Eine Asynchronmechanik. Hier sind Rückenlehne und Sitzfläche ebenfalls voneinander entkoppelt, aber nur die Rückenlehne ist beweglich. Die Sitzfläche bleibt immer fix. Der Hemdauszieheffekt ist hier beim Vor- und Zurücklehnen unausweichlich.
6) Automatische Mechanik
Diese Mechanik passt wesentliche Stuhleinstellungen automatisch dem individuellen Körpergewicht an. Die manuelle Justierung – vor allem des Rückenlehnendrucks – wird damit weitgehend überflüssig. Mechaniken für automatische Gewichtseinstellungen sind in der Regel mit anderen Mechaniken wie der Synchron- oder 3-D-Mechanik kombiniert.
7) 3-D-Mechanik
Sogenannte 3-D-Mechaniken machen Stühle nicht nur nach vorn und hinten, sondern auch seitlich flexibel, sodass Bewegungen rundum bzw. in 360° möglich sind. Dreidimensionale Mechaniken bieten insbesondere dem Becken spontane, bedürfnisorientierte und dennoch kontrollierte Bewegungsmöglichkeiten in der Sitzposition.
Genau genommen dürften allerdings nur Mechaniken als 3-D-beweglich bezeichnet werden, die freie Bewegungen in Bezug auf Länge, Breite und Tiefe ermöglichen, also nicht nur vor und zurück (1-D) sowie seitwärts (2-D), sondern auch auf und ab (3-D). Im allgemeinen Sprachgebrauch innerhalb der Branche werden aber mittlerweile auch die „360°-Mechaniken“ weitgehend als 3-D-Mechaniken bezeichnet.
Eine wichtige Unterscheidung bei den sogenannten 3-D-Stühlen stellt dar, ob nur die Sitzfläche dreidimensional beweglich ist (zum Beispiel bei den Ergo-Top®-Drehstühlen von Löffler) oder auch die Rückenlehne den seitlichen Bewegungen folgt (etwa bei Sino von Pending, ON und IN von Wilkhahn und Shape economy2 von Dauphin).
Es gibt auch Bürodrehstühle, zum Beispiel den Physix von Vitra, die zwar eine flexible Rückenlehne haben, die auch beim seitlichen Nach-hinten-Greifen nachgibt, die aber nicht über eine 3-D-Sitzmechanik verfügen. Bei ihnen handelt es sich um keine 3-D-Stühle.
3-D-Mechaniken lassen sich darüber hinaus in kippende und schwingende unterteilen. Erstere sind meist auf einer Kugel gelagert, sie gleichen somit einem (Zentral-)Gelenk. Beispiele sind unter anderem AluMedic von Wagner und die Ergo-Top®-Drehstühle von Löffler. Eine Sonderstellung genießt in diesem Zusammenhang bislang die Trimension® von Wilkhahn. Während bei den kippenden 3-D-Mechaniken das Lehnen zur einen Seite in der Regel zum Anheben der anderen Sitzhälfte führt, wird dies hier durch unabhängig voneinander bewegliche Sitzhälften verhindert.
Die schwingenden Sitzwerke können auf Federn (etwa 3-Dee von aeris, 4ME von BN office solution, Stoll Federdreh) oder Pendeln (Pending, Bioswing®, Schwipp®) gelagert sein.
Bürodrehstühle mit 3-D-Mechanik gelten heute als im Sitzen besonders bewegungsunterstützend. Trotz mehrerer (kleinerer) Forschungen und einer Vielzahl an positiven (subjektiven) Sitzerfahrungen fehlt ihnen bislang aber noch die offizielle Anerkennung, etwa in Form einer großen, unabhängigen, repräsentativen Studie.
Seit einiger Zeit sind auch Bürodrehstühle erhältlich, die eine 3-D-Mechanik mit einer Synchronmechanik kombinieren (etwa die Ergo-Top®-Drehstühle von Löffler, ON und IN von Wilkhahn sowie Shape economy2 von Dauphin). Es scheint plausibel, dass zumindest diese 3-D-Stühle in Bezug auf das Bewegtsitzen die derzeit bestmöglichen darstellen. Die offiziellen Gremien warten aber auch hier noch auf einen objektiven Nachweis.
Zwischen den Stühlen – eine Mechaniken-Typologie
Grundtyp | Beschreibung | Beispiele |
1) Synchronmechanik | Rückenlehne und Sitzfläche bewegen sich in einem festen Verhältnis synchron nach vorn und hinten, sie sind miteinander flexibel gekoppelt |
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2) Gleitmechanik | Rückenlehne und Sitzfläche bewegen sich synchron, beim Zurücklehnen gleitet die Sitzfläche nach vorn, statt sich abzuneigen |
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3) Wippmechanik | Rückenlehne und Sitzfläche bewegen sich synchron, insofern sie fix gekoppelt sind – wie bei einem Schaukelstuhl |
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4) Asynchronmechanik | Rückenlehne und Sitzfläche sind voneinander entkoppelt und individuell bewegbar |
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5) Permanentkontaktmechanik | Rückenlehne und Sitzfläche sind voneinander entkoppelt, aber nur die Rückenlehne ist beweglich, die Sitzfläche bleibt fix |
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6) Automatische Mechanik | ermöglicht automatisch eine individuelle Anpassung |
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7) 3-D-Mechanik | bietet auch seitliche Flexibilität, sodass Bewegungen in alle Richtungen bzw. in 360° möglich werden |
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MEHR BEWEGUNG IM BÜRO Umfassende Informationen zu den Themen Bewegtsitzen und Sitz-Steh-Arbeit bieten die Aktionen „Bewegung im Büro“ und www.büro-bewegung.de. |