Stefan Häseli ist ein Office Pioneer, wie er im Buche steht. Denn mit diesem Beitrag ist der Inhaber und Geschäftsführer der Atelier Coaching & Training AG auch in Band zwei von „OFFICE PIONEERS: Ausblicke auf das Büro 2030“ präsent.
Wir schreiben das Jahr 2030. Hannes ist Produktionsleiter in einem großen Industrieunternehmen, das es geschafft hat, die industriellen Transformationen zu meistern. Neben der Digitalisierung waren Agile Management und Disruption die Schlagworte der letzten Jahre. Was in vielen Betrieben nur bloße Worthülsen waren, bestimmte in dem sich globalisierenden Produktionsunternehmen sowohl die zukunftsweisende Strategie als auch die tägliche Agenda. Mit den geeigneten Maßnahmen wurden die Themen gut umgesetzt und die langfristige Marktfähigkeit sichergestellt. Selbst wenn dafür einige schmerzhafte Prozesse nötig waren, sind doch die Vorteile inzwischen überall sichtbar und spürbar.
Hannes schaut sich in seinem Unternehmen um und überlegt, was sich in den letzten Jahren alles im Detail verändert und woran er mit seinem Know-how und seiner Weitsicht mitgewirkt hat. Was waren das für Megathemen, damals im Jahr 2021 – zum Beispiel die Digitalisierung, die ja symbolisch für den Fortschritt stand. Hannes erinnert sich noch gut daran: In der Pandemiezeit galt Digitalisierung schon fast als das Mantra des unternehmerischen Überlebens.
Die Administration wurde automatisiert, die Produktion war so oder so schon längst auf Industrie 4.0 getrimmt – und auch der Alltag hatte eine neue Transformationsstufe erklommen: Im Büro ist das „Internet der Dinge“ und somit die totale Vernetzung dafür verantwortlich, das Unternehmen im Mikrobereich weiter vorwärtszubringen. Und das passiert erst recht bei den alltäglichen Dingen. Dort, wo sich die Menschen jeden Tag aufhalten – wie beispielsweise auf der Toilette.
Die Sache mit den getrennten WC-Kabäuschen für Frauen und Männer gehört schon seit einiger Zeit der Vergangenheit an. Im Jahre 2030 ist auch das stille Örtchen gendersensibel. Wie konnte man sich jahrhundertelang auf zwei Sorten Geschlecht beschränken? Heute sind Unisex-Toiletten selbstverständlich. Gleichzeitig wird mit variablen Zwischentüren sichergestellt, dass sich die Geschlechter nicht in die Quere kommen. Der Prozess wird folgendermaßen gesteuert: An den Wasserspendern im Unternehmen bedienen sich die Mitarbeitenden mit den ihnen zugeteilten Wasserbechern. Die Ausgabesteuerung stellt fest, wie viele Frauen, wie viele Männer und wie viele diverse Mitarbeitende wie viel Wasser trinken. Aus einem umfassenden Datensatz berechnet die Künstliche Intelligenz, wie viel an Wasser später wieder raus muss. Bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma ist klar, wie viele Personen welchen Geschlechts innerhalb der nächsten halben Stunde die Toiletten aufsuchen werden. Entsprechend steuert das System die Beschriftung der Trennungstüren.
Die ausgeworfenen Nespresso-Kapseln werden im Schnellverfahren verbrannt und deren Abwärme in Strom umgewandelt.
Stefan Häseli, Inhaber und Geschäftsführer Atelier Coaching & Training AG.
Wasser oben rein und Wasser unten raus – für das moderne Büro wäre das viel zu einfach. Das System denkt komplex: Die KI der Toilette erkennt die Konsistenz und Farbe des Hinterlegten. Diese Information wird in Echtzeit an die Steuerungen der Betriebskantine übermittelt. Denn sobald aufgrund der Daten klar ist, dass zu wenige Vitamine eingenommen wurden, reagieren die Schnittstellen prompt. Die Zutrittskontrolle am Eingang der Betriebskantine scannt den Badge des Mitarbeitenden. Sofort werden sämtliche Fleisch-Selbstbedingungsboxen geschlossen, sobald derjenige dort hantiert. Stattdessen steht der Zugang zum Salatbuffet weit offen. Sämtliche Informationen dienen ausschließlich dazu, die Gesundheit der Angestellten zu maximieren und die Ausfallzeiten zu minimieren. Das sind unverkennbare Vorteile der Digitalisierung.
Dass Kaffeemaschinen aufgrund der Vibration der bedienenden Finger spüren, wie stark die Dosierung sein muss oder sein darf, ist nicht neu. Doch dank dem „Internet der Dinge“ kann nun die Kaffeemaschine direkt mit dem Wasserspender und den Toilettentüren kommunizieren, um die Folgen zu organisieren.
Das Prinzip ist da noch lange nicht am Ende: Auch der Parkplatz ist digital. Die Parkplatzsensoren der firmengeleasten E-Fahrzeuge sind so programmiert, dass das System feststellen kann, mit wie viel Sorgfalt welches Fahrzeug geparkt wurde. Die KI berechnet Nervosität genau wie Entspanntheit. Wer will sich vor Arbeitsbeginn noch einen Kaffee genehmigen? Die Steuerung kommuniziert mit der Getränkeausgabe im Zwischengeschoss und erteilt den Auftrag, ob beim nächsten Getränk der hibbelige, müde oder unkonzentrierte Mitarbeitende zwingend Vitamin-C-haltigen Orangensaft oder einen besonders starken Kaffee ausgegeben bekommt.
Sounden, bis es dem Chef passt
Ein weiteres Schlüsselthema, das bereits vor mehr als zehn Jahren die Industrie beherrscht hat, war das agile Arbeiten. Was ursprünglich mal als technische Methode gedacht war, ist längst in den ureigensten, administrativen Stabsabteilungen angekommen. Die Personalabteilung gilt zwar offiziell als agil aufgestellt, doch ganz sicher ist sich niemand, ob man wirklich weiß, was eine agilisierte HR-Abteilung sein soll. Hannes gehört zum SBC (Sounding Board Committee), das der HR-Abteilung rückmelden muss, wie der Produktionstag verlaufen ist. Und das, obwohl die Vorgabe eindeutig und klar ist: Hannes MUSS dieses und jenes machen – und der CEO hat auch schon gesagt, WIE. Da gibt es in der Tat wenig zu „sounden“, aber Prozess ist eben Prozess. Man soundet einfach so lange, bis es dem Chef passt. Nicht, dass sich Hannes etwas unnütz vorkommt, immerhin hat er ja eine politisch bestätigende Funktion inne. Trotzdem schwappt ein wenig die Sinnfrage hoch.
Zum Thema Agile Management gab es bereits 17 Workshops. Anschließend hat die HR-Abteilung Fakten durchgegeben: agil heißt beweglich. Längst herrscht die Meinung vor, dass „agil“ auch so viel bedeutet wie „nicht-mehr-durchdenken-sondern-einfach-mal-machen“. Diese Arbeitsweise ist die verinnerlichte Haltung der Personalchefs – und wunderbar verordnet. Den Menschen wird vorgegeben, was sie zu tun haben. Damit sie wissen, was und wie sie es tun sollen. Hannes hat sich einmal am Hinterkopf gekratzt und gefragt: Wie passt das zur Agilität? Beim internen Workshop wurde viel darüber diskutiert und er bekam seine Antwort: Agil heißt heute, dass die Leute einfach nicht mehr alles sagen, was sie meinen. Man lässt alles geschehen, um es am Schluss zu sanktionieren.
Hannes überlegt, wie das alles auf ihn wirkt. Die Glaubwürdigkeitsfrage eines in sich nicht kongruenten Prozesses darf er jedoch nicht stellen. Er einigt sich in seiner Rückmeldung auf die Formulierung „wirkt professionell und sprachlich absolut verständlich“. Doch ob da wirklich alle alles verstanden haben? Hannes versteht die Welt nicht mehr. Er beginnt, disruptiv zu denken, stellt das ganze Jetzt-machen-wir-einfach-alles-agil-und-ändern-trotzdem-nichts infrage und ist froh, dass agil grundsätzlich mit beweglich übersetzt wird. Ein agiles Zielbild heißt beispielsweise, dass man sich mal da und mal dort darüber einigt, welchen Nutzen der Kunde hat. Was gilt denn schlussendlich? Um vollends im agilen Zeitalter anzukommen, braucht es wohl doch noch etwas Zeit.
Die Krux mit dem Ökolabel
Noch ein anderer Megatrend beschäftigt das Unternehmen und somit auch Hannes im Jahre 2030: die Ökologisierung. Neben den klassischen Erfolgsfaktoren hat sich die Firma Nachhaltigkeit auf die Fahne geschrieben und weitgehend umgesetzt. Das internationale Ökolabel wurde inzwischen erreicht und somit weiß der Kunde, dass in diesem Betrieb nicht nur gut, sondern auch nachhaltig und biologisch gearbeitet wird.
Die großen Brocken wurden bereits vor Jahren umgesetzt: Dass die Produktion möglichst energiearm läuft, ist Vorschrift. Dass das Entsorgungskonzept der Nachhaltigkeit unterliegt, ist weder neu noch freiwillig. Doch im Alltag gibt es noch Potenzial. Hier lässt sich allerhand an Wirkung erzeugen. Denn Ökologie gehört nicht nur in die Fabrikationshallen, sondern in alle betrieblichen Detailabläufe. Auf diesem Weg wird das Bewusstsein der Mitarbeitenden und schließlich auch das der Kunden erreicht.
Dass die Stand-by-Funktionen aller möglichen digitalen Hardware-Gerätschaften immer früher einsetzen, galt schon lange als wichtiges Energiesparmittel. Das war schon im Jahr 2021 so. Heute sind die Bildschirmdarstellungen etwas unschärfer und kleiner. Der Fortschritt in der visuellen Technik machte es möglich, dass man eine Verminderung der Schärfe einfach nicht spürt. Das spart wertvollen Strom. Dass die Mikrofasertücher für die kleine Reinigung zwischendurch viel Chemie enthalten, war ein ökologisches No-Go. Heute gibt es an jedem Arbeitsplatz Wolllappen aus einheimischer Produktion.
Es sind eben doch die zahlreichen Detaillösungen, die den entscheidenden Effekt erreichen und dazu beitragen, dass die Mitarbeitenden für das Thema sensibilisiert bleiben. Dass die Abwärme von Tablets, PCs, diversen Cloud-Servern und der noch vereinzelt vorhandenen Drucker für die Kaffeemaschine genutzt werden kann, ist sinnvoll. Und auch die Toiletten als Quelle von hohem Energieverschleiß waren immer wieder ein Thema: Warum muss der Raum so hell beleuchtet sein? Wer den Weg zum stillen Örtchen und zurück – mit einem Abstecher am Waschbecken – nicht auswendig kennt, ist nicht wach genug und hat im anspruchsvollen Geschäftsalltag gar nichts verloren. Energiesparlampen sind gut – doch überhaupt keine Lampe ist noch besser für die Ökobilanz. Ohnehin lässt das Toilettenfenster genügend Licht herein. In den Wintermonaten sollten die Mitarbeitenden nur daran denken, das persönliche Geschäft vor Einbruch der Dunkelheit zu erledigen, damit Blase und Darm bis nach Feierabend durchhalten.
Auch die Kaffee-Ecke hat ökologisches Potenzial. An diesem Ort treffen sich alle, die nicht im Homeoffice sind, zum Austausch. Kaffeemaschinen werden schon länger auf Stand-by gesetzt. Und der zeitliche Ablauf ist inzwischen optimiert: Heißer Kaffee ist nur zwischen neun und zehn Uhr erhältlich. Die ausgeworfenen Nespresso-Kapseln werden im Schnellverfahren verbrannt und deren Abwärme für die Zeitperiode von elf bis zwölf Uhr wird in Strom umgewandelt – eine innovative und visionäre Idee, die heutzutage ganz selbstverständlich ist.
Ökologie, Innovation und Spaß
Hannes erinnert sich an die Details in der ehemaligen Betriebskantine: Take-away-Food war stets von Papierservietten begleitet, die nach der Verspeisung ihren Zweck erfüllt hatten und in der Entsorgung landeten. Diese anfallenden Papierkilos werden im Jahre 2030 nochmals verwendet – zum Beispiel als Saugpapier im Entfeuchtungsapparat im Serverraum. Oder kunstvoll gefaltet als Einweg-Handyhülle, um bei vielen Geräten die Langlebigkeit zu fördern. Das gelingt mit ökologisch hochwertigen Schutzhüllen statt profan-giftigen Kunststoffhüllen. Schließlich steckt hinter der Ökologie nicht nur Liebe zur Natur, sondern mindestens auch eine Liebe zum Image. Inzwischen ist es Standard, dass sämtliche Produkte aus der Produktion einen grünen Punkt haben – damit die Kunden die Bemühungen der Firma auch wirklich wahrnehmen.
Ökologie, Innovation und Spaß an der Arbeit schließen sich nicht aus. Das zeigt das erst kürzlich lancierte Konzept: Im Eingangsbereich des Unternehmens wird Vogelgezwitscher durch ein Quadrofonie-Lautsprecher-System eingespielt. Die Energie dafür wird auf dem Dach gewonnen, im hauseigenen Kraftwerk, das mit dem gesammelten Kot echter Vögel funktioniert. Wer durch diesen Eingangsbereich schreitet, bekommt auf dem Smartphone eine kleine Meldung darüber, welche Vogelart da gerade zu hören ist und wann sie in Westeuropa ausgestorben sein wird.
Der betriebsinterne To-go-Shop hat neulich ebenfalls ein relaunchtes Öko-Konzept erhalten. Alle Speisen sollen aus heimischer Produktion stammen. In einer Übergangsphase wird „heimisch“ so definiert, dass die Lebensmittel aus einem Land stammen, aus dem mindestens ein Mitarbeitender kommt. Bei 25 verschiedenen Nationen muss sich momentan keiner allzu stark einschränken.
Zu guter Letzt wird auch in der Raucherecke im Innenhof der Rauch als Abluft gesammelt. Er treibt eine Miniturbine an. Wenn das Rauchen schon als Gewohnheit anachronistische Züge von traditionellen Süchten verkörpert, soll dieses Verhalten wenigstens genutzt werden, um noch etwas Sinnvolles zu erledigen. Und so treibt die Miniturbine jene Fertigungsmaschine an, die die grünen Aufkleber für die Produkte stanzt.
Ökologie setzt voraus, vernetzt und in komplexen Systemen zusammenhängend zu denken und zu handeln. Das Konzept dazu liegt allen Mitarbeitenden vor – auf bedrucktem Papier. Papier, das übrigens von realen Bäumen aus der realen Natur stammt. Nun gut, das papierlose Büro lässt wohl noch auf sich warten.
Atelier Coaching & Training AG
- Coachings und Vorträge zu Führungsthemen; Business-Comedy
- Gegründet: 2004
- Standort: Gossau SG, Schweiz
- stefan-haeseli.com
BUCHTIPP: OFFICE PIONEERS: Ausblicke auf das Büro 2030, Band 2Wie könnten Büroarbeit und Büros 2030 aussehen? Was wird dann wichtiger sein als heute, was weniger? Im zweiten Sammelband „OFFICE PIONEERS: Ausblicke auf das Büro 2030“ formulieren 68 renommierte Experten Antworten auf diese Fragen. Das Buch ergänzt den ersten Band, der mit Beiträgen von 58 Autoren 2020 erschienen und aktuell in der zweiten Auflage erhältlich ist. „OFFICE PIONEERS: Ausblicke auf das Büro 2030. Visionen. Chancen. Herausforderungen. Band 2“, Robert Nehring (Hg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2021, 208 S., DIN A4. Erhältlich unter: OFFICE-PIONEERS.DE |
Literaturverzeichnis:
- Häseli, S. (2018) Best Practice Leadershit, BusinessVillage-Verlag.
- Häseli, S. (2021) Hannes managt. Eine Business-Satire, Büroblog Schweiz,