In dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt. Eingangs thematisieren renommierte Architekten die neuen Herausforderungen der modernen Büroarbeitswelt. Tanya Rüegg und Stefan Camenzind sind mit diesem Beitrag dabei.
Themen wie die Bedeutung des Büros in unserem Alltag, die weiter zunehmende Autonomie bei der Erledigung unserer Arbeitsaufgaben – wann, wo und wie wir es für richtig halten – sowie Work-Life-Blending sind heute relevanter denn je. Seit über 15 Jahren konzipieren und gestalten wir Büroumgebungen, wobei unser Fokus immer auf den Menschen und vor allem auf ihren emotionalen sowie physischen Bedürfnissen am Arbeitsplatz lag. Die Pandemie hat dieses Bewusstsein und Verständnis von Arbeitsumgebungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Selbstverwirklichung durch New Work
Die Transformation des Büros wird immer häufiger auch mit dem New-Work-Konzept in Verbindung gebracht, was in diesem Buch ausführlich erläutert und bebildert wird. Was uns an der Diskussion über den Themenbereich New Work besonders erfreut, ist die Tatsache, dass der Mensch endlich im Mittelpunkt steht. Die Definition von New Work geht auf Frithjof Bergmann zurück. Er beschreibt, dass seit der industriellen Revolution Arbeit hauptsächlich darin bestand, Aufgaben zu erledigen oder abzuarbeiten. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Fließbandarbeit. Gemäß dieser Interpretation von Arbeit wird der Mensch nur als Mittel zur Zielerreichung betrachtet. Die Idee von New Work dreht dieses Verhältnis um. Im Rahmen des New-Work-Konzepts soll der Mensch nicht mehr lediglich Arbeit verrichten, sondern sich durch die Arbeit selbstverwirklichen können. Das bedeutet, dass heutzutage vor allem Sinngebung, Freiheit und Selbstbestimmung im Arbeitsalltag im Vordergrund stehen (Haufe Akademie: „New Work: Warum ist die Zeit jetzt reif?“).
Das bedeutet, dass das Büro nicht mehr ausschließlich als Ort betrachtet wird, um lediglich Arbeitsaufgaben zu erledigen und ein Einkommen zu erzielen. Es wird erwartet, dass es einen Mehrwert in unserem täglichen Leben schafft. Diese Entwicklung wird auch in diesem Buch deutlich gemacht. „Das Büro steht zunehmend in Konkurrenz zu anderen Arbeitsumgebungen für Wissensarbeit und entwickelt sich immer mehr zu einem Ort der Begegnung, der Zusammenarbeit, der Kreativität, des Wohlbefindens und der Identifikation“, schreibt Dr. Robert Nehring.
Als wir im Jahr 2008 das Bürokonzept für Google entwickelten, lag ein besonderer Fokus auf der Förderung von Identifikation, Zusammenhalt und der visuellen Darstellung der Unternehmenswerte. Das Team von Google in Zürich, auch bekannt als Zooglers, legte von Anfang an großen Wert darauf, seine persönlichen Arbeitsbereiche zu reduzieren, um mehr Raum für Besprechungen und gemeinschaftliche Aktivitäten zu schaffen. Dies führte zur Einrichtung von zahlreichen informellen Bereichen, darunter die berühmt gewordene Rutsche, die die Arbeitsbereiche mit der Kantine verbindet. Obwohl die Rutsche nicht allzu häufig genutzt wird, war sie ein ausdrücklicher Wunsch der Zooglers und wurde zu einem Symbol, mit dem sich die Mitarbeitenden identifizieren können, da sie die Kultur des Unternehmens widerspiegelt. Der wahre Wert einer Einrichtung zeigt sich nicht nur in deren Nutzen, sondern auch in der Wertschätzung, die sie erhält.
Leere Büros erfordern Umorientierung
Die Pandemie hat neue Arbeitsmodelle in den Fokus gerückt und auch das mobile Arbeiten immer beliebter gemacht bzw. etabliert. Dies führte zu einem Rückgang der benötigten Büroflächen an vielen Orten. Laut dem Büromarktüberblick des Immobilienberaters JLL verzeichnete der deutsche Bürovermietungsmarkt 2023 in sieben Spitzenstandorten einen Rückgang um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ebenso zeigt das aktuelle „Spotlight: European Office Outlook“ von Savills, dass der Büroflächenumsatz in den 22 europäischen Kernmärkten 2023 im Vergleich zum Durchschnitt vor der Pandemie um 17 Prozent gesunken ist. Diese Trends spiegeln sich auch rund um Zürich wider, wo sogar erstklassige Immobilien leer stehen. Die hohen Leerstandsquoten eröffnen zahlreiche Möglichkeiten zur Neuorientierung im Büroflächensektor.
Die Umnutzung von Räumen, die Förderung der Kreislaufwirtschaft sowie die Schaffung multifunktionaler und flexibler Bereiche sind entscheidende Lösungsansätze, mit denen nicht nur auf die sinkende Nutzung von Büroflächen, sondern auch auf die wachsenden Umweltprobleme reagiert wird. Der Bausektor trägt erheblich zu den weltweiten CO2-Emissionen bei, wobei genaue Zahlen je nach Quelle variieren. Es wird geschätzt, dass 26 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus diesem Sektor stammen (McKinsey & Company: Kreislaufwirtschaft im Bauwesen, 2023). Vor dem Hintergrund einer derartigen Quote müssen wir uns genau überlegen, wie wir Gebäude – von Einfamilienhäusern und Bürokomplexen bis hin zu Hotels und Bildungseinrichtungen – ökologisch, zukunftsfähig und nutzerfreundlich gestalten und errichten.
Von der Waggonfabrik zum Hub
Unser Projekt JED, das im Jahr 2021 realisiert wurde, ist ein bemerkenswertes Beispiel hierfür. Zum einen hatten wir das Privileg, mit faszinierenden bestehenden Ressourcen zu arbeiten. Zum anderen konnten wir dies mit einem klaren Fokus auf den Menschen tun, was ein zentraler Bestandteil unserer Philosophie ist. Kurz gesagt: Im JED geht es nicht nur um die Schaffung von Bürowelten, sondern auch um die Förderung einer lebendigen Community, die durch viele spannende zusätzliche Funktionen rund um die Büros entstehen kann. Früher eine Eisenbahnfabrik, dann eine bedeutende Zeitungsdruckerei – dieser Industriestandort außerhalb von Zürich hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch gewandelt. Hinter den drei Buchstaben JED stehen die Begriffe „join, explore, dare“ – auf Deutsch: teilnehmen, entdecken, etwas wagen.
Der wahre Wert einer Einrichtung zeigt sich nicht nur in deren Nutzen, sondern auch in der Wertschätzung, die sie erhält.“
Tanya Rüegg und Stefan Camenzind,
Creative Director und Executive Director Evolution Design.
„Wir wollten ein neues Zentrum für Wissenstransfer, Innovation und Unternehmertum schaffen“, erklärt Gianfranco Basso, unser Ansprechpartner bei Swiss Prime Site, dem neuen Eigentümer des Areals. „Die hohen Räume, die lange und bedeutungsvolle Geschichte sowie das Potenzial zur Identifikation mit den bestehenden Industrie- und Bürogebäuden eigneten sich ideal für dieses Projekt“, berichtete er uns. Das JED bringt mittlere und große Unternehmen aus verschiedenen Branchen zu einem Think- und Worktank für Wirtschaft, Industrie und Gewerbe zusammen. Die Kernidee besteht darin, eine Arbeitswelt zu schaffen, die eine Plattform für kreatives Arbeiten bietet, die Vernetzung der verschiedenen Akteure unterstützt und damit Unternehmergeist und Innovationen fördert. Das Areal bietet auf rund 36.000 m2 Fläche eine Mischung aus Büro- und Dienstleistungsgebäuden, Gastronomie, Freizeitangeboten, Event- und öffentlichen Flächen.
Der Abriss und die Errichtung neuer Gebäude anstelle der alten standen nicht zur Debatte. Die Liegenschaft zeichnet sich durch eine aus Backstein, Beton und Stahl bestehende Architektur aus, die von viel natürlichem Licht durchflutet wird. Große Flächen, hohe Räume und hohe Traglasten ermöglichten außergewöhnliche Nutzungsmöglichkeiten. „Die Nachhaltigkeitsfrage spielte eine entscheidende Rolle. Daher haben wir uns dazu entschlossen, die Bausubstanz zu erhalten, zu sanieren und umzubauen. Dadurch konnten erhebliche Ressourcen eingespart werden“, erklärt Basso. Architektonisch bestand die größte Herausforderung darin, einen respektvollen Weg zu finden, wie ein solches industrielles Druckzentrum in einen modernen und menschenorientierten Hub umgewandelt werden kann, ohne seine räumlichen Qualitäten zu verlieren.
Das große Portal im Westen schafft mit einer Höhe von acht Metern eine einladende Geste zum Herzstück des Umbaus: dem großzügigen L-förmigen Foyer mit einer Café-Bar und einer Lounge. Gäste und Mitarbeitende des JED werden von Jake begrüßt – dem imaginären Gastgeber der Bar, der vom preisgekrönten Illustrator Gregory Gilbert-Lodge entworfen wurde. Eine markante Treppe mit integrierten Sitzgelegenheiten führt die Besucher über eine neu eingebaute Stahlgalerie zur Lounge im ersten Geschoss. Das kleinere Portal im Süden ist ein weiterer beeindruckender Zugang zu den öffentlichen Bereichen. Was einst ein schmaler und dunkler Korridor war, wurde erweitert und zu einer lichtdurchfluteten Halle mit einer spektakulären Rampe umgebaut. Dadurch ist eine räumliche Kontinuität entstanden, die den Nutzern und Besuchern eine Vielfalt an öffentlichen Räumen und Nutzungsmöglichkeiten zum Arbeiten und Austauschen bietet.
Besondere Ankerpunkte werden auch durch die beiden neuen Atrien geschaffen, die jeweils im Zentrum der beiden größten Büroflächen liegen: Sie verbinden alle Geschosse und bringen Tageslicht in das komplexe Raumgefüge. Die großzügigen Büroflächen bieten eine Vielzahl von Arbeitsplätzen, Workshop-Räumen, Lounges, Veranstaltungsbereichen, Fokusarbeitsplätzen und Labors. Um die hohen Räume optimal zu nutzen, wurden auf der zweiten Ebene der Besprechungsboxen Projekt-Lofts eingeführt, in denen interdisziplinäre Teams flexibel und in einem lichtdurchfluteten Raum zusammenarbeiten können. Neben den Arbeitsplätzen bietet das Areal auch zahlreiche andere Einrichtungen: eine eigene Kaffeerösterei, eine Kletterhalle, mehrere Restaurants und die Eventhalle, den sozialen Mittelpunkt des Standorts. Die Halle präsentiert sich mit einer imposanten Höhe von 11,5 Metern und einer Länge von knapp 60 Metern. Sie verkörpert somit das einzigartige industrielle Ambiente dieses Standorts.
Identität und Anziehungskraft
Dieses Projekt hat deutlich gezeigt, dass ein Gewerbeobjekt Qualitäten bieten muss, die die Nutzer davon überzeugen, dass es attraktiv ist, an diesem Ort zu arbeiten. Mit JED wurde eine dynamische, ortsbezogene Community geschaffen. „Unternehmen suchen in der Regel ein langfristig interessantes Umfeld. Das moderne Design von JED sowie der einzigartige Mietermix tragen dazu bei, genau dies zu bieten“, sagt unser Kunde. Die Vision vom Hub ist Realität geworden. Es ist gelungen, einen nüchternen Industriekomplex in neue Bürowelten, gemütliche Cafés und hochmoderne Veranstaltungsräume zu verwandeln sowie eine neue Identität zu schaffen – und das durch eine starke architektonische und ästhetische Gestaltung.
BUCHTIPP: OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, HerstellernIn dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt und ausgezeichnet. Es handelt sich um besonders gelungene Planungs- und Einrichtungsbeispiele, „Lieblingsprojekte“ namhafter Architekten, Planer und Hersteller. Auch dieser im Berliner PRIMA VIER Nehring Verlag erschienene Sammelband stellt mit seinen 208 hochwertig produzierten Seiten ein opulentes Kompendium dar. Nach Grußworten von Prof. Carsten Wiewiorra (BDIA) und Helmut Link (IBA) sowie Autorenbeiträgen renommierter Architekten folgen die bilderreich dargestellten Referenzbeiträge: Top-Projekte, die den Architekten, Planern und Herstellern besonders am Herzen liegen und die Redaktion beeindruckt haben. „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“, Robert Nehring (Hg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 208 Seiten, DIN A4, 79,90 € (Hardcover), 64,90 € (E-Book). Erhältlich unter office-roxx.de/shop. |