Es vergeht kein Tag, an dem wir uns nicht über etwas ärgern. Im Alltag wie im Büro. Der Umgang mit Konfliktsituationen will gelernt sein. Philipp Karch ist Coach mit dem Spezialgebiet der Ärgerminimierung und gibt fünf Tipps.
08:00 Uhr – Du und der Pförtner
Du erreichst die Firma. „Dort sollte es doch entspannter zugehen als am heimatlichen Frühstückstisch“, denkst du noch. Aber diese Rechnung hast du ohne den Pförtner gemacht. Entgegen seiner sonstigen Art lächelt er kaum bis gar nicht und guckt desinteressiert bis gelangweilt. Aber an Tagen wie diesen suchst du Gründe, warum er etwas gegen dich haben könnte anstatt es auf sich beruhen zu lassen.
Wann auch immer deine Mitmenschen sich reduzierter verhalten als sonst, beziehe es nicht auf dich, geschweige denn auf mögliches Fehlverhalten von dir. Stelle fest, was ist und vermute einen Grund beim Gegenüber. Irgendetwas muss heute bei deinem Gegenüber ungünstiger verlaufen sein als sonst. Wenn du gelassen bist, sprich ihn an, wenn du eher auf Rückzug aus bist, schweige und geh weiter. Das Leben ist zu kurz für unnötige Selbstvorwürfe.
11:45 Uhr – Du und dein Chef
Normalerweise führt dein Boss kooperativ und respektvoll. Normalerweise. Heute leider nicht. Was ist passiert? Ein Kunde droht abzuspringen, und der Chef hat ein Brainstorming-Meeting einberufen. Du kennst den Kunden gut und hast eine Idee. Doch als du sie vorstellst, rollt der Chef genervt die Augen, hält die Luft an und schüttelt den Kopf.
Schweige nicht, sprich. Und wenn du sprichst, sprich sachlich, lösungsorientiert und fragend. Ermögliche deinem Gegenüber, dass es wieder wie ein reflektierter und befreiter Erwachsener über das spricht, was los ist, ohne von oben oder von unten den anderen beschämen zu wollen. Die Hinwendung zur gewaltfreien Sprache ist zwar durchaus einfach zu verstehen, sie ist aber in der Regel überhaupt nicht leicht zu verwenden. Weil wir in aufgewühlten Momenten einfach vergessen, auf der Beobachtungs- und Bedürfnisebene zu bleiben, und uns verleiten lassen, verbal zurückzuschlagen. Es kann sich aber enorm lohnen, diesen unkonventionellen Weg zu beschreiten.
13:15 Uhr – Du und deine Kollegin
Das Meeting ist zu Ende und der Auftrag ist klar. Doch die Umsetzung gestaltet sich schwieriger als gedacht. Es bricht zwischen dir und deiner Kollegin ein Streit über die Ebene der Zuständigkeit aus. Ein sicher leicht zu lösender Konflikt, doch die Kollegin lässt nicht mehr mit sich reden. Jedes Mal, wenn du ansetzt, um deine Argumente vorzutragen, schreitet sie nach vier bis fünf Sekunden ein und unterbricht dich.
Wenn dich jemand unterbricht, unterbrich ihn. Radikal. Zeige das unerwünschte Verhalten im unmittelbaren Spiegel. Falls das nicht hilft, sprich es mithilfe einer rhetorischen Frage an: „Unterbrichst du mich gerade?“ Falls der andere einsichtig ist und dich wieder sprechen lässt, wunderbar, sprich und lass dich auf keinen Fall noch einmal unterbrechen. Falls der andere keine Einsicht zeigt, dann leg nach: „Wie, das soll kein Unterbrechen sein? Wie würdest du das denn nennen, wenn du sprichst, und dein Gegenüber wartet nicht aufs Ende? Na klar ist das Unterbrechen. Ich fasse mich so kurz wie möglich und erwarte, dass du das gut aushalten kannst. Ich kann es umgekehrt auch aushalten.“ So viel Klarheit sollte reichen.
14:25 Uhr – Du und dein Mitarbeiter
Mit der Kollegin hast du dich gerade noch auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, da bahnt sich neues Ungemach an. Dein Mitarbeiter, dem du das Vorgehen erläutern willst, ist nicht bei der Sache. Du schaltest vom scheuen Reh auf den brüllenden Gorilla um. Doch während du tobst, kommt schon Reue auf und Schuld und Scham auch noch.
Warum dein Gegenüber nicht humorvoll attackieren statt gewalttätig? Was hältst du von diesem Ansatz? Während der Mitarbeiter seine eigenwilligen Verhaltensweisen zeigt, verstummst du. Du wirst ganz still und bewegst dich nicht mehr und wartest einfach, bis er es merkt und auch zur Ruhe kommt. Falls dies nicht geschieht: Hol auch dein Smartphone raus, erst nebenbei – und falls auch das nicht wirkt – übertreibe es. Sei nie rachsüchtig oder sarkastisch, sondern stets humorvoll-ironisch. Oder nennen wir es „liebevoll-rücksichtslos“. Die Grundhaltung lautet „tit for tat“: Solange dein Gegenüber kooperiert, kooperierst du auch. Sobald er ein sozial unerwünschtes Verhalten zeigt, spürt er dein Veto. Nie autoritär, aber stets konsequent.
16:10 Uhr – Du und der Kunde
Du hast gerade deinen Ausbruch gegenüber deinem Mitarbeiter recht gut gekittet, da klingelt das Telefon, und der besagte Kunde ruft überraschend an. Ohne Einleitung und Vorwarnung drischt er auf dich ein und reiht Vorwurf an Vorwurf.
Wer auch immer im Telefonat einen Ton an den Tag legt oder Reizformulierungen verwendet, dem solltest du künftig deine Grenzen aufzeigen. Ein höfliches, aber entschiedenes „Stopp“ oder „Ihre Kritik höre ich mir gerne an, aber nicht so“ reicht vollkommen. Oder ganz nüchtern: „Also, es ist offensichtlich, dass sie gerade sehr aufgebracht sind – nur dafür stehe ich nicht zur Verfügung. Wir kommunizieren ruhiger miteinander, oder wir beenden erstmal das Gespräch.“ Eine Ansage, die dem Gegenüber die Wahl lässt. Entweder er kommt zur Besinnung, oder das unfaire Gespräch ist erst einmal beendet. Das Attraktive an dieser Vorgehensweise ist, dass die Reaktionsmöglichkeiten des Gesprächspartners deiner Absicht dienen. So oder so, du erlebst dich nicht länger als Spielball deines Gegenübers. Du steckst nicht mehr ein, du bist kein scheues Reh mehr, aber auch kein aufbrausender Gorilla. Du bist einfach nur noch ein „selbstfürsorglicher Selbstbehaupter“.
Und wenn du Glück hast, wirst du viel besser schlafen können als letzte Nacht, und dein nächster Tag wird viel leichter werden.