In dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt. Eingangs thematisieren renommierte Architekten die neuen Herausforderungen der modernen Büroarbeitswelt. Karim El-Ishmawi und Chris Middleton von Kinzo sind mit diesem Beitrag dabei.
Im Zuge des digitalen Wandels und der Globalisierung haben sich unsere Anforderungen an einen guten Arbeitsplatz stark verändert. Dieser Wandel bleibt auch künftig ein kontinuierlicher Prozess ohne definierbares Ende. Im Kern steht die Frage: Wie kann moderne Architektur heute unsere Bedürfnisse von morgen berücksichtigen?
Ursprünglich wurden große Büros wie industrielle Fertigungsstraßen entworfen: endlose Reihen monofunktionaler Tische mit Schreibmaschinen. Diese Ausrichtung auf eine wiederkehrende, automatisierte Tätigkeit hat sich sehr lange gehalten.
In den späten 1970er-Jahren hat Frithjof Bergmann den Begriff „New Work“ geprägt. Er bezeichnete damit vor allem eine neue Freiheit der Arbeitenden, in ihrem Umfeld selbst zu entscheiden und selbstständig zu handeln. Durch die Einflüsse der Pandemie und unserer gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten wurden Arbeit und Arbeitsplatz noch ein weiteres Mal grundlegend modifiziert.
Heute ist ein modernes Büro aus unserer Sicht ein frei gestalteter Ort der Kollaboration, der in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Modi abdecken kann. Dabei geht es vor allem darum, Agilität im Arbeitsleben zu ermöglichen und für unterschiedliche Arbeitssituationen eine Vielzahl von Angeboten zu schaffen, in denen die Abläufe besser funktionieren als in Einzel- oder Großraumbüros.
Früher war der Arbeitsort an eine Schreibmaschine oder an ein Archiv aus Aktenschränken gebunden. Man ging ins Büro, weil man weder den 300 kg schweren Aktenschrank noch die 30 kg schwere Schreibmaschine mit nach Hause nehmen konnte.
Heute sind Daten allerorts verfügbar. Wir können unsere berufliche Tätigkeit nahezu überall verrichten. Nichts hat die Arbeit so verändert wie Mobiltelefone, Laptops und Cloudserver. Dass diese radikalen Einflüsse andere Arbeitsprozesse nach sich ziehen, ist logisch. Die Arbeit der Zukunft wird hybrid vonstattengehen. Menschen werden an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Modi arbeiten.
Zentraler Platz und Unternehmenskern
Der Arbeitsplatz wird zu einem Treffpunkt gemeinsamer Entwicklung und Kreativität. Damit ein solcher Ort zu einer homogenen Schnittstelle aller Nutzer werden kann, sollte er die DNA – den Unternehmenskern und die Inhalte, für die das Unternehmen steht – metaphorisch verkörpern.
Viele New-Work-Konzepte bleiben ungenutzt und leer, weil deren Architektur und Ausrichtung den individuellen Nutzer nicht anspricht. Aus unserer Sicht ist jedoch genau das die Aufgabe: Ein zeitgemäßer Arbeitsplatz zieht die Menschen an und strahlt den Geist des Unternehmens aus. Er lädt dazu ein, Gemeinschaftsgedanken zu fördern und Teamwork erlebbar zu machen.
Projekträume sind beispielsweise hochpotente Stätten der Reibung. In ihnen sollen Menschen so lange zusammensitzen können, bis eine Idee geboren oder eine zukunftsweisende Lösung erarbeitet wurde. Solche Innovationen entstehen in der Regel im Kollektiv. Niemand kann allein laufend Geniestreiche fabrizieren.
Agil, vernetzt, kreativ und dabei kollaborativ zu sein bedeutet also, dass man die eigene, individuelle Perspektive zugunsten der Gruppe verlässt und tatsächlich die Köpfe zusammensteckt. Dass man Prozesse transparent macht und während ihrer Entwicklung verschiedene Positionen und Blickwinkel einnimmt. So entsteht Kultur.
Die richtigen Orte dafür sehen eine entsprechende Vielzahl unterschiedlicher Nutzungsmöglichkeiten vor. Wenn ein Unternehmen es nicht schafft, solche Räume zu erzeugen oder lebendig zu halten, weil der Großteil der Mitarbeitenden lieber zu Hause im Homeoffice sitzt, dann schlägt sich das direkt auf die Innovationskraft nieder. Für uns ist das ein wesentliches Qualitätsmerkmal eines guten Büros.
Viele Büroflächen, wie zum Beispiel Coworking Spaces, spiegeln keine spezifische Unternehmenskultur wider. Sie konzentrieren sich auf eine bestimmte Arbeitsweise, die für möglichst viele unterschiedliche Unternehmen und Brands attraktiv sein soll.
Die Identität der Mieter spielt dabei nahezu keine eigene Rolle. Sie haben dort kaum eine Möglichkeit, den Geist ihres Unternehmens durch die Gestaltung und die Architektur des Ortes zu spüren. Dabei ist genau das immens wichtig. Dass Mitarbeitende sich in ihrem Arbeitsumfeld mit den Unternehmensinhalten, der Kultur und den Werten verbinden und identifizieren können.
Wenn der Wert des Büros neben der kulturellen Identität und dem konzentrierten Arbeiten insbesondere in der physischen Kollaboration liegt, dann wird es wichtig, einen solchen Ort für die künftigen Anforderungen des Wandels zu wappnen. Das bedeutet: bestmögliche Ausstattung, Top-Technik, gute Atmosphäre und umfangreiche Möglichkeiten, den Arbeitstag interessant und abwechslungsreich zu gestalten.
Die Arbeitswelt ist in keinem festgemeißelten Zustand. Organisationen wandeln sich ständig. Es wird dauernd umstrukturiert. Dienst oder Teamzusammensetzungen wechseln. Departments werden aufgelöst oder verschmolzen. Auch die Unternehmensausrichtung verändert sich. Diese Anforderungen an Wandelbarkeit betreffen auch und vor allem die Räumlichkeiten. Wir versuchen, das im Vorfeld zu konkretisieren und mitzudenken.
Wenn Neues alt und Altes neu wird
Gebäude mit Historie, zum Beispiel eine alte Näherei oder ein altes Industrieloft, strahlen Charakter und Atmosphäre aus. Durch ihre schiere Großzügigkeit und Aura vermitteln sie das Gefühl eines universellen Baus, der verschiedene Funktionen übernehmen kann.
Unser Projekt „Admiralspalast“ war einst eine Badeanstalt. Heute ist es ein New-Work-Erlebnisort. Morgen könnte es ein Apartment, ein hipper Club oder ein Restaurant sein. Diesen Switch schaffen moderne Bürogebäude in der Regel nicht. Sie sind für die Monofunktion eines Büros konzipiert. Dadurch werden sie oft langweilig und unspektakulär.
Ein zeitgemäßer Arbeitsplatz zieht die Menschen an und strahlt den Geist des Unternehmens aus.“
Karim El-Ishmawi und Chris Middleton,
Kinzo.
Aus unserer Sicht muss Ästhetik aber nicht im Gegensatz zu Nutzerfreundlichkeit stehen. Was funktional und nutzerfreundlich ist, kann daraus auch eine Ästhetik entwickeln. Das geschieht vor allem dann, wenn eine Umgebung zur Interaktion einlädt und sich verändernden Bedürfnissen anpassen kann. Ist das Umfeld zu statisch, kann es nicht auf modifizierte Bedingungen eingehen.
Deshalb sehen wir uns viel stärker als Bindeglied zwischen der Architektur und den Nutzern, als das viele andere hochbauorientierte Architekten tun. Architekten des Städtebaus kommen von außen. Wir versuchen dagegen, die Gebäude von innen – aus der Sicht der unterschiedlichen Nutzergruppen heraus – zu entwickeln.
Wir fertigen Vorentwürfe an und lernen die späteren Nutzer dabei in einem intensiven Prozess kennen. Das befähigt uns, wirklich präzise auf den Nutzer einzugehen und entsprechend zugeschnittene Entwürfe umzusetzen. Durch diesen fortwährenden Dialog entsteht für beide Seiten Transparenz.
Arbeitszeit ist Lebenszeit
Die Menschen planen nicht mehr ihren Arbeitsalltag, sondern ihre Lebenswoche. Der Grund, aus dem sie ins Büro fahren – insbesondere dann, wenn sie nicht in der Nähe wohnen –, hat nicht allein mit der Anwesenheit ihrer Kollegen oder ihres Schreibtisches zu tun.
Sie kommen auch, weil ihnen der Standort Büro im urbanen Kontext mehr bietet als ihre Arbeitsumgebung zu Hause. Wer beispielsweise seine Wocheneinkäufe, Sport oder soziale Themen damit verbinden kann, für den lohnt sich eine Fahrt ins Büro auf jeden Fall eher. Deswegen sind der Standort und das Angebot im Umfeld relativ wichtig.
Ein Einzelgebäude sollte also immer im Kontext seiner Quartiersentwicklungen geplant werden. Der Drang, in einen Gewerbepark mit lauter monofunktionalen Gebäuden zu fahren, ist geringer als die Lust, in ein lebendiges und urbanes Umfeld einzutauchen, das rund um den Arbeitstag zahlreiche Möglichkeiten bietet, Dinge zu erleben oder zu erledigen.
Mischung macht den Unterschied
Aus unserer Sicht heißt das Zauberwort: Mischung. Gemischte Gebiete, gemischte Gebäude. In mischgenutzten Quartieren ist durch die unterschiedlichen Nutzungsfrequenzen und Taktungen per se eine höhere Chance auf Belebung gegeben als in monofunktionalen Strukturen.
Derzeit sind Investitions- und Entwicklungskonzepte immer auf die Assetklasse ausgelegt, die die beste Rendite bringt. Gewerbe- beziehungsweise Büroflächen sind lange Zeit der absolute Renner gewesen, weil 90 bis 95 Prozent der bebauten Fläche auch vermietbare Fläche ist.
Demgegenüber ist ein Mischgebäude jedoch eine viel risikosicherere Anlage. Wenn die Gewerbe-, Retail- oder Büroflächen gewissen Schwankungen am Markt unterworfen sind, bietet ein Mischgebäude immer noch die Möglichkeit, Leerstände ansatzweise auszugleichen.
Würde man entsprechend Gewerbeimmobilien in produzierendes Gewerbe und Handwerk auf der einen sowie Wissensarbeit, Büros oder Ähnliches auf der anderen Seite unterteilen, dann wäre eine Mischnutzung überhaupt kein Problem.
Würde man darüber hinaus nun auch noch die Gebäude von Anfang an so konzipieren, dass sie relativ einfach von einer Gewerbe- oder Büronutzung in eine Wohnnutzung umzuwandeln wären, hätte man ein Pendant zu den heute so beliebten Lofts aus dem Zeitalter der Industrialisierung geschaffen.
Es geht letztlich darum, den Lebenszyklus eines Gebäudes als Ganzes zu betrachten. Auch was die Zertifizierung hinsichtlich Nachhaltigkeitskriterien angeht. Wie können solche Gebäude von Anfang an so konzipiert werden, dass sie ohne größere Probleme – auch genehmigungstechnisch – als Wohngebäude, Kulturstätten oder beispielsweise Schulen umgenutzt werden können?
Der Bedarf an Fläche ist bekanntlich ungebrochen und wird auch in Zukunft bestehen. Es geht um die Art der Nutzung, die sich ändern können muss.
BUCHTIPP: OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, HerstellernIn dem Sammelband „OFFICE+OBJEKT“ werden 44 Top-Projekte für Büro & Co. vorgestellt und ausgezeichnet. Es handelt sich um besonders gelungene Planungs- und Einrichtungsbeispiele, „Lieblingsprojekte“ namhafter Architekten, Planer und Hersteller. Auch dieser im Berliner PRIMA VIER Nehring Verlag erschienene Sammelband stellt mit seinen 208 hochwertig produzierten Seiten ein opulentes Kompendium dar. Nach Grußworten von Prof. Carsten Wiewiorra (BDIA) und Helmut Link (IBA) sowie Autorenbeiträgen renommierter Architekten folgen die bilderreich dargestellten Referenzbeiträge: Top-Projekte, die den Architekten, Planern und Herstellern besonders am Herzen liegen und die Redaktion beeindruckt haben. „OFFICE+OBJEKT. Lieblingsprojekte von Architekten, Planern, Herstellern“, Robert Nehring (Hg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 208 Seiten, DIN A4, 79,90 € (Hardcover), 64,90 € (E-Book). Erhältlich unter office-roxx.de/shop. |