Coworking Spaces sind ein wichtiger Baustein, wenn es darum geht, unsere Arbeitswelt dezentral zu organisieren. „Coworking-Papst“ Tobias Kremkau erläutert, wie sich Anzahl und Nachfrage durch Aufklärung und Förderung steigern ließen.
Wer ein Coworking Space gründen möchte, wird schnell auf eines der bekanntesten Rätsel der Ökonomie stoßen: Folgt das Angebot einer Nachfrage oder erzeugt ein Angebot erst die Nachfrage? Diese Fragestellung nennt sich Say’sches Theorem, benannt nach dem französischen Ökonom Jean-Baptiste Say, der einen Kausalzusammenhang zwischen den volkswirtschaftlichen Größen Angebot und Nachfrage formulierte. Zusammengefasst ging Say davon aus, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage selbst schafft. Doch stimmt das?
Darüber kann man auch über 200 Jahre später noch streiten, aber ein Blick in die Märkte lässt vermuten, dass es nicht ganz so einfach ist. Es ist wohl einmal so und einmal so. Beim Coworking ist es sogar oft weder noch. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass Coworking überall nachgefragt ist. Die Vorteile, sich die Wegzeit und den Pendelstress zu sparen während man in einer kreativen Mehrsamkeit seiner Arbeit nachgehen kann, sind zu überzeugend. Doch in Wahrheit wissen viele Menschen noch nicht einmal, was Coworking überhaupt ist.
Von einer sichtbaren Nachfrage kann man nur in den seltensten Fällen sprechen. Bevor das Angebot eine Nachfrage nach Coworking erzeugen kann, muss erst vermittelt werden, was Coworking ist. Die Menschen müssen durch ein Coworking-Erlebnis die Erkenntnis gewinnen, dass Coworking ihnen nützt. Und dann benötigen sie in unserer von einer Berechtigungskultur geprägten Wirtschaft auch noch die Erlaubnis ihrer Vorgesetzten, in einem Coworking Space zu arbeiten.
Die geringe Nachfrage aufgrund mangelnden Wissens über Coworking und die fehlende Erlaubnis, auch mobil arbeiten zu dürfen, führen dazu, dass es nur wenige Coworking Spaces in Deutschland gibt. Rund 800 sind es laut der German Coworking Federation. Viele sind nur ein paar hundert Quadratmeter groß. Die Unternehmensberatung EY sieht hierzulande Potenzial für 5.000 Coworking Spaces, wenn sich die Wirtschaft dezentral aufstellen würde und Angestellte selbst entscheiden könnten, von wo aus sie arbeiten.
Die German Coworking Federation (GCF) ist der älteste und größte Bundesverband zum Thema Coworking in Deutschland. Im Jahr 2015 gegründet, hat es sich der mitgliedergeführte Verband zur Aufgabe gemacht, die Coworking-Kultur in Deutschland zu fördern. Dies wird unter anderem durch die Organisation der jährlich stattfindenden COWORK, der größten Veranstaltung zum Thema Coworking im deutschsprachigen Raum, erreicht. Die COWORK 2022 findet vom 25. bis 27. März 2022 in der Landeshauptstadt Erfurt statt.“
Tipp von Tobias Kremkau
Um die Vorteile einer wenn möglich dezentral organisierten Arbeitswelt – zu der als Folge des reduzierten Pendelverkehrs unter anderem die Vermeidung von Kohlendioxidemissionen und die geringere Abnutzung von öffentlicher Infrastruktur gehören – auch auszuschöpfen, braucht es mehr Coworking Spaces. Und zwar im ganzen Land verteilt, nicht nur in den zentralen Quartieren von Großstädten. Um dies zu erreichen, brauchen wir neben Förderprogrammen für Coworking Spaces auch mehr Nachfrage durch eine Coworking nutzende Verwaltung.
Wie könnten Förderprogramme für Coworking Spaces aussehen? Wichtig ist, dass sowohl die Phase vor der Eröffnung des Coworking Spaces als auch die operative Anlaufphase gefördert werden. Mit rund 30.000 Euro pro Jahr über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren, in denen der Coworking Space gegründet werden soll, flexibel aufteilbar in investive Mittel und Betriebskosten, ließe sich schon sehr viel erreichen. Zusätzlich wäre auch die Förderung von Beratung durch erfahrene Experten mit bis zu 12.000 Euro pro Gründung sehr hilfreich.
Wie kann die Verwaltung eine Nachfrage erzeugen? Dank einer Kooperation mit der CoWorkLand eG ermöglicht das Land Schleswig-Holstein den rund 5.000 Mitarbeitenden der obersten Landesbehörden seit dem 1. Oktober 2021, auch Coworking Spaces im ländlichen Raum zu nutzen statt pendeln zu müssen. Die Kosten dafür trägt das Land. Davon profitieren die Coworking Spaces im Norden. In Bayern und Hessen dagegen werden lieber eigene Behördensatelliten geschaffen als die regionalen Coworking Spaces zu unterstützen.