Start-ups sind in. Deshalb stellen wir seit vielen Jahren spannende Youngsters aus dem Office-Umfeld vor. Nun wollten wir von ausgewählten Gründern wissen, wie es ihnen konkret ergangen ist. Ein Gespräch über das Gründen und seine Herausforderungen.
Dem ersten Teil unseres Start-up-Stammtischs war eine Einführung in die Welt der Start-ups mit vielen Zahlen und Fakten vorangestellt. Dieses Mal lassen wir die Gründer direkt zu Wort kommen.
KB Kiez Büro GmbHGeschäftsidee: Coworking im Kiez Gründer: Björn Budack Gründung: 2016 Standort: Berlin und Hamburg Mitarbeiter: 11 Finanzierung: Eigenkapital |
Kinema GmbHGeschäftsidee: Bewegtes Sitzen auf beweglichen Stühlen Gründer: Stefan Zoell Gründung: 2011 Standort: Kierspe (bei Köln) Mitarbeiter: 8 Finanzierung: Eigenkapital/Fremdfinanzierung (70/30) |
FitSeatGeschäftsidee: Nachhaltiges Premium-Deskbike (Ergometer und Schreibtischstuhl in einem Produkt) Gründer: Jan Gumprecht Gründung: 2014 Standort: Ismaning (bei München) Mitarbeiter: 1 Vollzeit, 5 Teilzeit Finanzierung: Eigenkapital |
Vegconom GmbHGeschäftsidee: Der vegane Business-Blog für Entscheider Gründer: Peter Link Gründung: 2018 Standort: Berlin, Osnabrück Mitarbeiter: 8, plus Freelancer Finanzierung: Eigenkapital |
OFFICE ROXX: Björn, Stefan, Jan und Peter, Start-ups müssen permanent pitchen, heißt es. Also: Worum geht’s bei euren Geschäftsideen in Kürze?
Björn: Kiez Büro Coworking bietet eine professionelle Arbeitsumgebung, in der Freiberufler und kleine Start-ups entspannt und konzentriert an ihren Projekten arbeiten können.
Stefan: Unser Kinema-Active-Chair bringt Bewegung an den Büroarbeitsplatz.
Jan: Die Produktivität von Büromitarbeitern liegt im Schnitt bei 60 Prozent, obwohl dort ein Großteil der Wertschöpfung moderner Unternehmen stattfindet. FitSeat steigert die Produktivität der Büroangestellten, indem es aus passiver Schreibtischarbeit aktive Bewegungszeit macht, kinderleicht und ohne Extra-Zeitaufwand. Durch FitSeat profitieren Unternehmer von einer Steigerung der Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens sowie einer Verbesserung der Fitness und Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Die erhöhte Produktivität und die gesunkenen Krankheitskosten verbessern nachhaltig die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Wie groß ist das Interesse eines Unternehmers, die Wirtschaftlichkeit seiner Firma zu steigern?
Peter: Der Markt für vegane Produkte ist längst ein Milliardenmarkt. Bis 2018 gab es kein Businessmagazin für ihn. Diese Lücke schließt nun Vegconomist und erreicht 18 Monate nach dem Launch Leser in über 150 Ländern. Vegconomist fokussiert sich auf Business-Entscheider im veganen Markt (Industrie, Handel, Retail). Gelesen wird Vegconomist von vielen Führungskräften: CEOs, Product Managern, Marketing Managern und sogar Vorständen. Unsere Leserschaft reicht von Start-ups bis zu globalen Konzernen und Retailern. Immer mehr Leser kommen aus der Politik und aus Organisationen, die sich dem Thema Ernährung und Nachhaltigkeit widmen. Damit haben wir eine Alleinstellung: Es gibt kein anderes globales veganes Wirtschaftsmagazin. Und die Wachstumsperspektiven des veganen Marktes sind großartig.
Wann habt ihr gegründet, und wie kam die Gründung zustande?
Stefan: Kinema wurde am 10. Februar 2011 zusammen mit einem Business-Angel gegründet. Gegenstand des Unternehmens war und ist die Gestaltung, Erstellung und Visualisierung von Geometriemodellen und Präsentationsmedien in jeglicher Form. Das schließt den Entwurf von Möbeln, Industrieprodukten, Einrichtungen sowie deren Prototypenentwicklung und Vermarktung und alle damit in Zusammenhang stehenden Geschäfte mit ein. Ausgang für die Gründung war die Notwendigkeit, einen rechtlichen Rahmen für die bis dahin bereits erarbeiteten nationalen wie internationalen Patente und Markeneintragungen zu schaffen. Zudem sollte damit die Basis für eine erfolgreiche Finanzierung des Vorhabens gelegt werden. Der Kinema-Active-Chair und verschiedene additive wie integrale Konzepte bestanden seinerzeit in Papier und Modellform 1:1. Bis zur Ausarbeitung des Konzepts für ein neuartiges Multitasking-Möbel vergingen weitere dreieinhalb Jahre Vorentwicklung, die letztlich 2015 nach einer ersten wissenschaftlichen Untersuchung zur Entwicklung von 13 firmeneigenen Werkzeugen und einer Investition in sechsstelliger Höhe führten. Damals wie heute ist unser Motto: „Smart verhalten. Haltung wechseln“.
Peter: Ich habe das Start-up 2018 gegründet. Ich lebe zeitweise in der Tierzuchthochburg Oldenburger Münsterland und werde deshalb täglich mit den massiven Auswirkungen der Massentierhaltung konfrontiert (Tierleid, Nitrat in Böden und Grundwasser, Emissionen, prekäre Arbeitsbedingungen für osteuropäische Arbeiter in der Fleischindustrie, Skandale). Das war ein maßgeblicher Grund dafür, dass ich 2007 auf eine vegetarische und später vegane Lebensweise umstellte. Mit meinem internationalen Background und meiner 30-jährigen Erfahrung im Marketing- und Publishingbereich sah ich schon damals die starke Entwicklung in Richtung Veggie-Lifestyle, einhergehend mit der Entstehung einer neuen Industrie und der Disruption vieler Unternehmen. Damit stand ich anfangs allein da und musste viel Kopfschütteln, Spott und Unverständnis ertragen.
Björn: Kiez Büro Coworking ist am 15. November 2016 von mir gegründet worden. Der erste Coworking-Space eröffnete in Berlin-Kreuzberg als Arbeitsort für den Kiez.
Jan: Gegründet wurde FitSeat 2014 von mir. Ich suchte eine Möglichkeit, mich am Schreibtisch aktiv bewegen zu können, während ich meine Doktorarbeit schrieb. Ich fand keine passende Lösung am Markt und entwickelte infolgedessen mein eigenes Produkt, den FitSeat. Da jeder, der viel am Schreibtisch arbeitet, unter Bewegungsmangel leidet, gründete ich die gleichnamige Firma FitSeat, um allen von Bewegungsmangel Geplagten eine Lösung anzubieten. Die Nachfrage nach dem FitSeat steigt immer weiter. Nicht zuletzt durch die Ausstrahlung der TV-Gründershow „Die Höhle der Löwen“.
Wo ist euer Standort, und wie viele Mitarbeiter habt ihr?
Peter: Berlin und Osnabrück. Mitarbeiter: acht, plus Freelancer auf verschiedenen Kontinenten.
Björn: Sieben Standorte (sechsmal Berlin, einmal Hamburg), elf Mitarbeiter.
Stefan: Die Kinema GmbH ist heute eigenständig am Standort des geschäftsführenden Gesellschafters Ralf Julius in Kierspe bei Köln tätig. Auch mit Blick auf den CO2-Fußabdruck, da an diesem Standort neben der Endmontage auch die Produktion von 20 Prozent der Komponenten erfolgt. Im Moment sind acht Mitarbeiter für die Kinema GmbH tätig.
Jan: Standort ist Ismaning bei München, mit derzeit einem Mitarbeiter in Vollzeit und fünf in Teilzeit. Die restliche Arbeit ist outgesourced.
Über Geld spricht man nicht. Dennoch: Wie habt ihr euch finanziert?
Björn: Eigenes Kapital.
Jan: Eigene Ersparnisse, plus einen Nebenjob am Wochenende.
Peter: Bisher finanzieren wir uns aus privaten Mitteln und Werbeeinnahmen. Allerdings sprechen wir im Moment mit Investoren.
Stefan: Durch Eigenkapital (70 Prozent) und Banken (30 Prozent).
Welche Entwicklung habt ihr durchgemacht?
Stefan: Seit der Markteinführung 2018 liegen wir heute im sechsstelligen Umsatzbereich. Ziel ist es, die teils festgesessenen Gewohnheiten an vorwiegend statischen Arbeitsplätzen zu durchbrechen und mit unserer Steh-Sitz-Stütz-Dynamik mehr Freiheiten für individuelle Bewegung zu bieten – vierdimensional. Somit kann endlich ein kostenintensiver, höhenverstellbarer Schreibtisch in allen Bereichen und Höhen genutzt werden, auch zwischen dem Sitzen und dem Stehen. Das verstehen auch unsere Kunden, denn es ist einfach genial.
Björn: Der erste Coworking-Space hatte 15 Arbeitsplätze. Heute bietet Kiez Büro Coworking an sieben Standorten insgesamt 160 Arbeitsplätze an.
Jan: Stückzahlen lauten wie folgt: 2014: 9; 2015: 4; 2016: 4; 2017: 12; 2018: 12; 2019: 40. Für 2020 möchten wir 20 FitSeat pro Monat verkaufen. Das Umsatzziel für 2020 beträgt 500.000 Euro. Die aktuelle Bewertung beträgt eine Million Euro.
Peter: Im Mai 2018 haben wir Vegconomist mit der deutschen Ausgabe gestartet, im Juli 2018 folgte die globale englische Ausgabe (vegconomist.com). Auf beiden Plattformen publizieren wir derzeit täglich circa ein Dutzend News, Tendenz steigend. Seit Mai 2019 verzeichnet Vegconomist einen starken Anstieg der Leserzahlen, im Oktober waren es über 600.000 Unique Business Visitors. Weltweit lesen dreimal wöchentlich über 3.500 Abonnenten unseren Newsletter.
Was waren und sind die größten Herausforderungen?
Björn: Die größte Herausforderung ist das Management kleinerer, dezentraler Coworking-Spaces. Hier sind es vor allem operationale Fragen: Wie können wir einen gleichmäßig guten Service anbieten? Mit einem Team, das nicht durchgehend selbst vor Ort ist?
Stefan: Die aktuell größte Herausforderung ist die Strategie der Vermarktung. Hier ist der Wandel insbesondere beeinflusst durch den stetig wachsenden Online-Handel, ein zurückgehendes Fachhandels- und zunehmendes Direktgeschäft. Wir glauben, den geeigneten Weg gefunden zu haben und setzen diesen nun Schritt für Schritt konsequent um. Hierzu zählt beispielsweise auch die Möglichkeit für unsere Kunden, Stühle oder gesamte Büroeinrichtungen über Leasing oder Mietkauf finanzieren zu können. Auch unsere Domain smartverhalten.de ist Teil dieser bevorstehenden Strategie. Parallel arbeiten wir am zweiten Modell, dem Kinema-Office-Chair – zertifiziert nach der Bürostuhlnorm DIN EN 1335.
Peter: Die größte Herausforderung ist die Refinanzierung über Werbeeinahmen oder Content-Kooperationen. Allerdings gibt es hier gerade positive Entwicklungen. Anfangs waren die Leserzahl und die Akzeptanz bei großen Unternehmen gering. Das hat sich aber gedreht. Heute arbeiten praktisch alle großen Konzerne und Retailer, die im veganen Business unterwegs sind, mit uns zusammen.
Jan: Allein zu gründen ist nicht einfach. Im Team gilt: Geteilte Freude ist doppelte Freude, geteiltes Leid ist halbes Leid. Allerdings muss man sich allein mit niemandem abstimmen. Man kann nicht verlassen werden und profitiert stärker von einem großen Erfolg. Darüber hinaus sollte man sich folgende Themen vor Augen führen:
- Dünne Finanzdecke: Ohne Investor muss man die Ausgaben so niedrig wie möglich halten. Da der FitSeat sich gut als Eye-Catcher eignet, konnten wir ihn auf vielen Messen ohne eigenen Messestand platzieren. Da kein Geld für Mitarbeiter vorhanden war, haben wir möglichst viele Prozesse automatisiert.
- Einen neuen Markt aufbauen, indem Kunden für ein Problem sensibilisiert werden: Verstehen potenzielle Kunden, dass sie ein Problem haben, das FitSeat löst? Falls nicht, wie kann ich bestehende Kunden entsprechend sensibilisieren?
- Neue Marketing- und Vertriebswege finden: Was sind die passenden Marketing- und Vertriebskanäle für FitSeat? Was sind die bestehenden Kanäle und sind diese für FitSeat geeignet?
- Serienproduktion: Wie stellt man ein Produkt mit gleichbleibender Qualität in Serie her, während man das Produkt parallel auf Basis des Marktfeedbacks kontinuierlich weiterentwickelt?
Wo wollt ihr in zwei, drei Jahren sein?
Björn: In zwei bis drei Jahren soll es zwölf bis 15 Kiez-Büro-Coworking-Spaces geben. Neben Berlin und Hamburg dann noch in mindestens einer weiteren Stadt. Ein weiteres Projekt ist „gemanagte Untermiete“.
Jan: Wir wollen Marktführer für aktive Arbeitsplätze in Europa sein. Der Umsatz soll zehn Millionen Euro pro Jahr betragen. Zudem kennt dann jeder Konzern in Deutschland FitSeat und weiß, dass mit uns die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens gesteigert werden kann.
Stefan: Unsere Kundenrückmeldungen bestätigen unser Handeln und unser Denken bezüglich des Sitzens. Das zustimmende Ergebnis der wissenschaftlichen Untersuchung zum neuartigen Stuhlsystem „Wechselnde Körperhaltungen und individuelle Bewegungen zulassen, fordern und fördern, anstatt durch normative Verhältnisse und starre Verhaltensregeln zu verhindern.“ unterstreicht dieses Handeln und hilft, das international patentierte Alleinstellungsmerkmal zu etablieren. Das auf den Online-Handel ausgerichtete Package-Design und eine Rücksendequote von unter einem Prozent zeigen, dass ein solches Stuhlsystem im Markt seine Berechtigung findet.
Peter: Wir möchten unseren Content weiter ausbauen und mehr Analysen und Backgrounder publizieren. Dazu sollen Niederlassungen bzw. Vertretungen in den USA, Indien, China und in anderen Regionen gestartet werden. Rund um die Publikation möchten wir zudem ein breitgefächertes Angebot entwickeln: Consultancy, Events, Webinare, Kongresse, Analysen und andere Services.
Und was ratet ihr Start-ups, die noch am Anfang stehen?
Jan: Probieren geht über Studieren. Es gibt nicht den einen Weg zum Erfolg. Ihr müsst euren eigenen finden. Wenn du allein gründen willst, dann tue es. Man kann es auch allein schaffen. Dir werden auf dem Weg die passenden Partner begegnen. Man braucht nicht viel Geld zum Gründen. „Kopf schlägt Kapital“ heißt sehr passend das Buch von Günter Faltin. Langfristig denken. Niemand weiß zu 100 Prozent, ob und wann ein Start-up richtig erfolgreich wird. Die Zeit bis zum Durchbruch müsst ihr durchhalten. Auf diese drei Gründe für ein Aufgeben solltet ihr euch vorbereiten:
- Kein Geld mehr. Gegenstrategie entwickeln: So viel ausgeben wie nötig, so wenig wie möglich. Umso weniger Ausgaben Ihr habt, desto flexibler seid ihr und haltet länger durch.
- Keine Hoffnung/Motivation mehr. Gegenstrategie entwickeln: Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Lässt euch von niemandem demotivieren, der meint zu wissen, dass eure Idee keine Chance hat. Lest inspirierende Bücher oder hört Podcasts, die euch motivieren. Bei Interesse meldet euch gern bei mir.
- Gründer sind ausgebrannt. Achtet auf eure körperliche und geistige Gesundheit. Beste Voraussetzungen dafür sind: gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, mentale Entspannung (etwa Meditation), regelmäßige körperliche Aktivität (am besten auch am Schreibtisch).
Björn: Stellt euch darauf ein, dass ihr euer Geschäftsmodell immer wieder anpassen, erweitern, verändern, umbauen müsst. Bleibt flexibel und agil, gedanklich und organisatorisch.
Stefan: Nicht beirren lassen von Branchenführern, aber zuhören und das Notwendige mitnehmen. Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und diesbezüglich auch mal hartnäckig bleiben.
Peter: Wichtig ist ein klares Ziel. Aber auch die Flexibilität, den Weg dahin immer wieder neu zu justieren, da es stets nicht-geplante Ereignisse gibt, die schnelles Handeln und Flexibilität erfordern. Gut ist es, so viel Eigenkapital zu haben, das Business ein bis zwei Jahre allein entwickeln und anpassen zu können – Stichwort Bootstrapping. Das kann bedeuten, dass man noch einen normalen Job macht und das Start-up abends und am Wochenende betreibt. Ansonsten ist man zu schnell einem Finanzierungsdruck ausgeliefert, der einen möglicherweise in die Hände falscher Investoren treibt. Und – das ist leider, leider noch nicht überall durchgedrungen – ein Start-up ist kein 9-to-5-Job mit 36 Tagen Urlaub im Jahr. Wer schnell vorankommen will, muss sehr viel Energie in sein Start-up stecken und zumindest in den ersten Jahren auf viele andere Dinge verzichten können. Strikte Ausgabendisziplin und ein konsequentes Controlling sind zudem sehr hilfreich. Wichtig ist auch eine offene und kontinuierliche Kommunikation im Team. Zudem sollte man gut damit umgehen können, dass einem immer wieder unerwartete Ereignisse begegnen, von denen man sich nicht aus der Bahn werfen lassen darf. Diese Gabe haben viele Menschen nicht!
Habt vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.