Lieber Cay von Fournier,
die digitale Revolution hat nicht nur einen neuen Wirtschaftszweig hervorgebracht. Sie wirbelt auch Traditionsunternehmen gehörig durcheinander. Schnelligkeit und Flexibilität sind mehr gefordert denn je. Haben sich mit diesem Wandel auch die Grundsätze der Unternehmensführung verändert?
Ihr Robert Nehring
Ja, einige Grundsätze der Unternehmensführung verändern sich derzeit radikal und schnell. Andere bleiben aber auch gleich. Daher ist es im Umgang mit dem Thema Unternehmensführung wichtig, bewährte Konzepte mit innovativen Ansätzen zu kombinieren. Noch nie war die Notwendigkeit zum Wandel so groß wie heute. Allerdings lässt die Bereitschaft der Unternehmen oft zu wünschen übrig. Es geht heute weniger um neue Methoden und Techniken wie noch vor zehn oder 20 Jahren. Alles dreht sich um ein neues Bewusstsein. Ich nenne es Unternehmensführung 4.0 – in Anlehnung an die Industrie 4.0. Dort nimmt die Kommunikation der Maschinen untereinander und das Internet der Dinge eine tragende Rolle ein. Umso mehr braucht es in der heutigen Unternehmensführung einen geschärften Blick auf Werte, Grundsätze und Einstellungen.
Denken in die Zukunft
Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich das SchmidtColleg mit Unternehmensführung und dem Weg zur Exzellenz. Dabei beobachten wir mögliche Einflussfaktoren und daraus resultierende Veränderungen, wie aktuell die Entwicklung der Industrie 4.0. Die Transformation 4.0, wie ich den gesamten Veränderungsprozess nenne, wird die Situation der Unternehmen in den nächsten Jahren maßgeblich prägen. Wenn wir unseren Blick dabei nur auf technologische Entwicklungen und Trends richten, machen wir einen großen Fehler. Die aktuelle Transformation bewirkt eine vollständige Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. In der Menschheitsgeschichte gab es einige solcher Umbrüche, die über alle Bereiche des Lebens hinweg Veränderungen gebracht und die Art und Weise des Zusammenlebens von Menschen verändert haben.
Am Anfang waren unsere Vorfahren intellektuell noch nicht in der Lage, die entstehende Komplexität zu meistern, die das Zusammenleben von beispielsweise hundert Menschen mit sich brachte. Sie lebten in kleinen Sippen, die sich meist feindselig gegenüberstanden. Nur Gruppen, die sich intellektuell weiterentwickelten und komplexere Zusammenhänge verstanden, wurden letztlich auch erfolgreicher, wenn es ums Überleben ging. Allein die Fähigkeit unseres Geistes, in die Zukunft zu denken, zu planen und einen momentan kleinen Vorteil gegen einen größeren in der Zukunft einzutauschen, war eine brillante Meisterleistung der Natur. So komisch es klingen mag, aber auch heute ist diese Fähigkeit noch wichtig: für die Entwicklung von Unternehmen. Die immerwährende Frage ist und wird bleiben: Was tun wir heute, um die Zukunft positiv zu gestalten?
Die Rolle von Werten für die Unternehmensführung
Der aktuelle Umbruch stellt Unternehmer vor zwei zentrale Fragen: Wie werden sich Unternehmen und deren Führung im Zeitalter der Industrie 4.0 verändern (müssen)? Welche Auswirkungen wird diese Veränderung auf die Themen Strategie, Management, Marketing und Führung haben? Um konkrete Antworten geben zu können, habe ich die Entwicklung der einzelnen Bereiche in einer Grafik dargestellt. Die Entwicklung der Versionen macht lediglich die umfangreicheren Anforderungen in der heutigen Zeit deutlich. Auch soll es keine „Jagd der Versionen“ sein – neue Versionen täuschen häufig eine Modernisierung vor, die es tatsächlich gar nicht gibt. Ich bin davon überzeugt, dass die 4.0-Transformation uns viele Jahre in Atem halten wird.
Einige exzellente Unternehmen haben die neuen Herausforderungen mithilfe neuer Ansätze teilweise schon gemeistert. Sie setzen die 4.0-Transformation bereits gut um und das auch schon seit einigen Jahren. Eine zentrale Rolle spielen dabei Werte und die Bildung von Wertegemeinschaften. Das Marketing wird mehr und mehr zu einer Wertevermittlung nach außen, während Führung diese Aufgabe im internen Bereich übernimmt. In Kombination mit der Bildung von Wertegemeinschaften entsteht Schnelligkeit, Flexibilität und Kontinuität. Scheinbare Gegensätze werden in einem ganzheitlichen Führungssystem verbunden.