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Hand-Werk: Auf welche Dinge wir nicht verzichten möchten

Hand­werk­lich gefer­tig­te Pro­duk­te wer­den im Büro trotz digi­ta­ler Trans­for­ma­ti­on nicht aus­ster­ben, glaubt Dr. Alex­an­dra Hil­de­brandt. Die­ses Mal beschäf­tigt sich die Publi­zis­tin mit hand­ge­fer­tig­ten Din­gen und erklärt, war­um die­se so wich­tig für unse­re Wahr­neh­mung, Fähig­kei­ten und Psy­che sind.

Auf welche Dinge wir im Büro nicht verzichten möchten

Im Gegen­satz zu Tip­pen und Wischen för­dert hän­di­sche Arbeit die geis­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit der Umge­bung. Foto: Pexels

Der digi­ta­le Wan­del hat das Poten­zi­al der mensch­li­chen Hand auf einen Zei­ge­fin­ger oder einen digi­ta­len Stift redu­ziert, der nur noch über eine Glas­ober­flä­che wischt. Neh­men wir das Ende unse­res Ver­mö­gens zum gestal­ten­den Zugriff auf die Welt wider­spruchs­los hin? Nein. Das zeigt sich vor allem in hand­ge­fer­tig­ten Pro­duk­ten, die gefragt sind wie nie zuvor. Wo alles schnel­ler, unüber­sicht­li­cher und anony­mer wird, wach­sen die Sehn­sucht nach einer intak­ten Welt und das Bedürf­nis nach Greif­ba­rem – auch im Büro.

Kluge Dinge versus dumme Dinge

Hand­werk­lich her­ge­stell­te Pro­duk­te und die Ver­wen­dung tra­di­tio­nel­ler Mate­ria­li­en sind ein wert­vol­les Kul­tur­gut. Sie stel­len eine nach­hal­ti­ge Alter­na­ti­ve zur Welt der Mas­sen­pro­duk­te und zum schnel­len Kon­sum dar. Der Psy­cho­ana­ly­ti­ker Wol­fang Schmid­bau­er spricht von klu­gen und dum­men Din­gen, wobei sich aus­ge­rech­net jene Din­ge als dumm erwei­sen, in die sehr viel Intel­li­genz inves­tiert wur­de: Sie las­sen die Benut­zer auf­grund ihrer Unzu­gäng­lich­keit verdummen.

Vie­le Din­ge sind so kom­plex gewor­den, dass sie kei­nen sicht­ba­ren Meis­ter mehr haben, son­dern häu­fig aus einer intrans­pa­ren­ten Orga­ni­sa­ti­on kom­men. Din­ge mit einer greif­ba­ren Geschich­te sind des­halb umso wert­vol­ler. Zudem unter­stüt­zen sie uns, unse­re Mög­lich­kei­ten zu stär­ken, ein­sich­tig und nach­hal­tig zu han­deln – unse­re Intel­li­genz zu trai­nie­ren. Klu­ge, rei­ne Din­ge zei­gen uns etwas von ihrer Mach­art, sind lang­le­big und zugleich Sym­bo­le mensch­li­cher Selbst­be­stimmt­heit. Dazu gehö­ren mecha­ni­sche Schreib­ma­schi­nen, Anspit­zer, Blei­stif­te oder Füll­fe­der­hal­ter. Flug­taug­li­che Kugel­schrei­ber gehö­ren für Schmid­bau­er bei­spiels­wei­se zu den dum­men Din­gen, weil sie teu­er sind, zudem ver­lässt sich die Mas­sen­wa­re auf die Schwer­kraft und „ver­sagt ent­spre­chend schnell und radikal“.

Greifbare Dinge stärken unsere Fähigkeiten

Wer heu­te aus­schließ­lich auf die Auto­ma­tik ver­traut, lässt wich­ti­ge Fähig­kei­ten ver­küm­mern, weil die geis­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit den Din­gen nicht mehr statt­fin­det. „Solan­ge das Stre­ben nach Per­fek­ti­on hand­werk­lich geord­net bleibt, scha­det es nicht. Sobald es sich aber auf Gefüh­le, Bezie­hun­gen, Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten oder sozia­le Aner­ken­nung rich­tet, wird es zum Ver­häng­nis“, so Schmidbauer.

Es geht nicht dar­um, die Hän­de frei­zu­ha­ben für die viel beschwo­re­nen wich­ti­gen Din­ge. Son­dern sie nach­hal­tig zu nut­zen, um die Welt in ihrem Wesen zu be-grei­fen und mit den rich­ti­gen Werk­zeu­gen, die auch unse­re moto­ri­schen Fähig­kei­ten schu­len, zu gestal­ten. Damit Homo sapi­ens den Homo con­su­mens über­le­ben kann.

Die Soziologie der kleinen Dinge

Unser Tast­sin­nes­sys­tem hält nicht nur die Welt zusam­men, son­dern auch unse­ren Geist. Wer gestal­tend auf die Welt ein­wir­ken möch­te, sam­melt Erfah­rungs­wis­sen, schätzt hand­werk­li­che Fähig­kei­ten und wid­met sei­ne Auf­merk­sam­keit jenen Din­gen des All­tags, die häu­fig über­se­hen wer­den. So auch der Frank­fur­ter Sozio­lo­ge Til­man Allert, der eine „Sozio­lo­gie der klei­nen Din­ge“ zusam­men­ge­tra­gen hat. Dar­un­ter fin­den sich Nerd­bril­len, High Heels oder Jeans. Er möch­te damit die­se Sozio­lo­gie der Din­ge unter die Men­schen brin­gen, weil die­se Dis­zi­plin für die Wahr­neh­mung und Gestal­tung unse­rer Ord­nung von „unglaub­li­cher Bedeut­sam­keit“ sei. Die Ver­mes­sung sozia­ler Phä­no­me­ne geschieht immer mit einem Augen­zwin­kern, bis zum Lager­feld-Zitat: „Erzählt über mich, was ihr wollt, Haupt­sa­che, es stimmt nicht.“

Lite­ra­tur:

Mar­tin Grun­wald: „Homo Hap­ti­cus. War­um wir ohne Tast­sinn nicht leben kön­nen“, Droe­mer Knaur GmbH & Co. KG, Mün­chen 2017.

Til­man Allert: „Gruß aus der Küche – Sozio­lo­gie der klei­nen Din­ge“, S. Fischer Ver­lag, Frank­furt a. M. 2017.

Wolf­gang Schmid­bau­er: „Enzy­klo­pä­die der Dum­men Din­ge“, Oekom Ver­lag Mün­chen 2015.

Clau­dia Sil­ber und Alex­an­dra Hil­de­brandt: „Von Lebens­din­gen: Eine ver­ant­wor­tungs­vol­le Aus­wahl“, Ama­zon Media EU  S.à r.l. Kind­le Edi­ti­on 2017.

Dr. Alex­an­dra Hil­de­brandt, Publi­zis­tin, Wirt­schafts­psy­cho­lo­gin und Nachhaltigkeitsexpertin.

Twitter.com: @AHildebrandt70

(Foto: Stef­fi Henn)

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