Auch Erwachsene malen und basteln wieder. Sogar spezielle Erwachsenenmalbücher gibt es inzwischen. Dr. Alexandra Hildebrandt geht diesem Trend nach und erklärt, was er mit der Suche nach Sicherheit und Trost zu tun hat.
„Let‘s bastel a bit“: Die Kinder der „digitalen Großmeister“ lernen im Silicon Valley, wo Waldorfschulen derzeit einen Boom erleben, handwerkliches Arbeiten – durch Basteln.
Leider gibt es für das deutsche Wort Basteln im Englischen keine Entsprechung. „Do it yourself“ wird der Bedeutung nicht gerecht. In seinem Buch „Analog ist das neue Bio“ plädiert Andre Wilkens deshalb dafür, das Wort zu internationalisieren, denn das Bedürfnis, dass Menschen trotz fortschreitender Digitalisierung ihre Hände benutzen wollen, wächst weltweit. Selbstbauen ist überall cool.
Die Welt be-greifen
Basteln ist auf Dinge bezogen, die Körper und Geist gleichermaßen erfüllen und befriedigen, denn es findet ein Wechsel von Hand- und Kopfarbeit statt. Mit der Hand zu arbeiten bedeutet, sich von der einseitigen Konzentration zu regenerieren und zugleich etwas über Herstellung und Reparatur zu erfahren.
Die einseitige Beschäftigung mit der digitalen Welt und das ausschließliche Vertrauen in die Automatik lässt Fähigkeiten verkümmern.
Malen für Erwachsene
Malen und Malbücher erleben im Zuge des Retro- und Selbermachtrends vor allem bei Erwachsenen derzeit einen Boom, weil sie die wachsende Sehnsucht nach Ruhe und Entschleunigung stillen.
Hochwertige, meist in Schwarz- oder Tintenblauweiß gehaltene Malbücher für Erwachsene sind inzwischen zu Bestsellern avanciert. Sie werden auch von gestressten Kopfwerkern wie Bankern und Anwälten sehr geschätzt. Star dieser Bewegung ist die Britin Johanna Basford.
Gemalter Eskapismus?
Mit einem dünnen schwarzen Tintenstift zeichnet sie intakte Pflanzen- und Tierlandschaften, die zugleich ein Gegenentwurf zu den wachsenden Untergangsszenarien von heute sind. Die schöne neue Ordnung der Dinge und des Lebens - ein Paradies für Bastler.
Trost in einer trostlosen Zeit
Um die scheinbare Sicherheit und Kontrolle heute nicht zu verlieren, suchen viele Menschen heute nach Schemata, Regelmäßigkeiten und Vereinfachungen. Komplexitätsreduktion erzeugt Wohlbefinden, Stressreduktion und Glück.
Besonders zeigt sich das im Ausmalboom, der mit der Parallelentwicklung des „Verantwortungs-Outsourcings“ einhergeht: Das Gehirn muss nicht denken, sondern nur der Form folgen. Dabei ruhen die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen weitgehend, die Frustrationsrate ist gering und das Ergebnis immer bunt.
Wer vom Trend am meisten profitiert
Verlage verkaufen die Malbücher für Erwachsene als Anti-Stress-Mittel. Vom Trend zum Ausmalen profitieren aber auch die Schreibwaren- und Stiftehersteller, die vor einiger Zeit noch Sorgen über die zunehmende Digitalisierung plagten. Jetzt verzeichnen sie unverhofft eine große Nachfrage.
Nicht, wer einfach nur ausmalt, sondern wer selber denkt und sich mit übergreifenden Zusammenhängen beschäftigt, lernt, sich und die Welt besser zu verstehen. Es geht nicht um einen Ersatz für Meditation in Form von Malbüchern, sondern um die Frage, wie wir heute mit Stress und Unsicherheit umgehen, was uns wirklich antreibt, und was wir für Umwelt und Gesellschaft konkret tun können.
Dr. Alexandra Hildebrandt, Sachbuchautorin, Hochschuldozentin sowie Mitinitiatorin der Initiative „Gesichter der Nachhaltigkeit“. |