Teil 6: Von Krokodilen, Krisen und Kritik
Der Bestsellerautor und Karrierecoach Martin Wehrle gibt auf OFFICE ROXX Tipps für einen gelingenden Büroalltag. Diesmal geht er der Frage nach, weshalb Kritik so oft zu Konflikten führt.
Im Büro fallen oft Sätze wie: „Jedes Mal schnappst du dir die Brückentage für deinen Urlaub!“ Oder: „Immer lässt du den Dienstwagen mit leerem Tank zurück“. Oder: „Grundsätzlich nimmst du die Aufträge deines Chefs wichtiger als unsere Projektarbeit!“ Der Einzelfall wird zum Normalfall erklärt. Das treibt den Empfänger der Kritik auf die Palme; sofort wird er kontern, er habe den Dienstwagen sehr wohl schon mit vollem Tank zurückgebracht, die Projektarbeit priorisiert und auf Brückentage verzichtet.
Instinktiv ahnt der Angreifer, dass seine Übertreibung den Kollegen als Person trifft (wer grundsätzlich keine Überstunden macht, ist faul!). Und der Kollege startet einen Gegenangriff, um sich zu wehren. Besser hätte der Kritiker nur seine Beobachtung geschildert: „Der Tank des Dienstwagens war nun das zweite Mal innerhalb eines Monats fast leer, nachdem du das Auto benutzt hattest. Kannst du mir die Gründe dafür erklären?“
Ohnmächtig macht schwammige Kritik: „Deine Briefe taugen einfach nichts“, „Du bist miserabel organisiert“, „Du hast kein technisches Verständnis“. Solche Kritik lässt vor allem eine Frage offen: Was genau missfällt dem Kritiker? Taugen die Briefe nichts, weil sie zu lang sind? Zu kurz? Zu technisch formuliert? Oder allzu poetisch? Gute Kritik ist präzise, nicht allgemein. Und sie äußert einen Wunsch, statt nur zu kritisieren.
Denn wenn der Kritisierte nicht erfährt, was genau der Kollege bemängelt, hat er keine Chance, diesen Mangel zu beheben. In diese Ecke lässt sich keiner gerne schieben. Zumal der Beruf das Fundament ist, auf dem das Selbstbewusstsein fußt; nicht umsonst stammen die häufigsten Nachnamen in Deutschland, von Müller bis Fischer, von Berufen ab.
Ebenfalls neigen Kritiker dazu, nicht mehr die ganze Suppe, sondern nur noch das Haar darin zu sehen. Wie geht es wohl dem Koch damit? War der Grafik-Entwurf der Kollegin wirklich nichts anderes als eine grafische Missgeburt, weil zu farbenfroh? Oder steckte darin auch ein positiver Kern, zum Beispiel Mut zur Extravaganz? Die Kritik wird leichter angenommen, wenn man nicht nur das Haar beklagt, sondern auch die Suppe anerkennt!
Wer es schafft, bei seiner Kritik auch das Positive zu würdigen, öffnet die Ohren des Empfängers – statt sie mit einem Pauschalangriff zu verschließen.