Robert Nehring hat nicht viel von Marcel Proust gelesen, stellt aber ebenfalls gern viele Fragen. Interessanten Persönlichkeiten aus dem Büroumfeld schickt er auch mal einen Fragebogen. Diesmal antwortete Yvonne Engelmann, Leiterin der Messe Ambiente (Living, Giving und Working).
ARBEITEN
1. Bitte beschreiben Sie Ihren Arbeitsplatz.
Mein Arbeitsplatz befindet sich im sogenannten Messe Torhaus – in der 17. Etage mit Blick auf das westliche Messegelände und den Taunus. Die besondere Architektur des Gebäudes symbolisiert das Tor zu Frankfurt/Main und für mich damit auch das Tor zur Welt. Denn bei uns auf dem Gelände ist die ganze Welt zu Gast – auf all unseren Messen.
Ich sitze in einem Einzelbüro mit Glaswand. Die Tür ist immer offen zum Großraumbüro und damit den Kolleginnen und Kollegen. Wichtig für unsere Arbeit sind Transparenz, Austausch und agile Zusammenarbeit.
Ich fühle mich gut ausgestattet – mit Sideboard, kleiner Besprechungsecke, höhenverstellbarem, hochwertigem Tisch und Stuhl sowie einer Arbeitsplatztechnik, die hybrides Arbeiten ermöglicht. Außerdem haben wir einen sicherheits- und gesundheitsbeauftragten Kollegen, der die Belegschaft bei der Einrichtung und ergonomischen Einstellung des Arbeitsplatzes berät. Dekoriert ist mein Büro mit „Frau im Clubsessel B3 von Marcel Breuer“, fotografiert von Erich Consemüller sowie der Miniatures Collection von Vitra Design Museum.
2. Wie kommen Sie zur Arbeit?
Bei schönem Wetter mit dem Fahrrad (noch kein E-Bike), sonst S-Bahn. Nur in Ausnahmefällen mit dem – nun – E-Auto.
3. Wo arbeiten Sie am liebsten?
Überwiegend im Büro für vernetztes, kreatives Arbeiten im Team. Ich schätze den persönlichen Austausch. Auch den informellen. Wir machen Messen, deshalb stehen persönliche Begegnungen bei uns im Fokus. Diese Interviewfragen zum Beispiel beantworte ich gerade im Zug – auf dem Weg nach Berlin zum Taspo Award. Sonst bin ich an einem Freitag auch gern im Homeoffice.
4. Wie viele Videocalls haben Sie pro Woche und wie viel Zeit verbringen Sie mit diesen?
Unsere Arbeitsbelastung und -intensität variiert über den Jahreszyklus. Dementsprechend variieren Arbeitszeitkonto, Geschäftsreisen, Videocalls. Neben den Telefonaten sind es im Durchschnitt drei bis vier Videocalls pro Woche – intern sowie extern. Jeweils zwischen 20 und 60 Minuten lang. Ich bin sehr froh, dass die Pandemiezeit mit ganztägigen Videocalls der Vergangenheit angehört. Wir bevorzugen immer den persönlichen Kontakt zu unseren Kunden und Partnern.
5. Wie viele Stunden verbringen Sie im Schnitt pro Woche in Social-Media-Kanälen?
Zu viele ...
6. Welche drei Aussteller der Ambiente Working finden Sie besonders attraktiv?
Evavaara aus Finnland mit ihren akustischen Sesseln und eingebauten Bluetooth-tauglichen Lautsprechern: Wenn man drinsitzt, fühlt man sich wie auf einer kleinen Insel – egal ob im Großraumbüro oder am Flughafen. Cornilleau aus Frankreich: So eine Tischtennisplatte kann wunderbar auch als Ess- und Arbeitstisch genutzt werden – indoor oder outdoor. Ich liebe Tischtennis. König + Neurath mit seinen flexiblen Stauraumlösungen oder der frei stehenden Telefonbox für Videocalls – das ist Flexibilität par excellence ...
7. Diese drei Aussteller der anderen Ambiente-Bereiche mag ich auch ganz besonders:
Caran d’Ache aus der Schweiz – tolle Schreibgeräte, benutze ich selber. Pappelina aus Schweden – die gewebten PVC-Teppiche wandeln den Balkon in ein verlängertes Wohnzimmer um, in eine wahre Outdooroase. Serax aus Belgien – Design pur und etwas anders, sowohl in der Tischkultur als auch im Wohnen.
8. Wie sind die Frankfurter Messen Ambiente und Paperworld durch die Krisen seit 2020 gekommen?
Während der Pandemie gab es ein 100-prozentiges Veranstaltungsverbot. Das war hart. 2024 hatten wir daher die zweite Ausgabe unserer Konsumgütermessen nach der Pandemie. Diese zweite Runde hat die Entscheidung für einen One-Stop-Shopping-Event mit Ambiente, Christmasworld und Creativeworld parallel auf dem Messegelände sowie deren Leitmessecharakter bestätigt. In Zeiten fokussierter Budgets und der Suche nach internationalen Neukundenkontakten sowie neuen Geschäftsmöglichkeiten sind unsere Messen gut aufgestellt.
Das Angebot der Paperworld Frankfurt ist im Frankfurter Messetrio sowie in der Paperworld Middle East aufgegangen – aufgrund der Marktentwicklung eine notwendige Konsolidierung.
9. Sind die (physischen) Messen nun zurück?
Ja. Sie sind Gott sei Dank wieder zurück. Corona war eine Zäsur. Die Märkte haben sich seitdem verändert, unsere Kunden haben ihr Business und ihre Kompetenzen weiterentwickelt, um sich angepasst an die sich zunehmenden Herausforderungen gut aufzustellen. Und so machen wir das auch. Unsere Messen sind relevant und wir arbeiten kontinuierlich daran, dass sie es bleiben und zeigen neue Marktperspektiven auf. Dazu gehört auch die Entwicklung digitaler Services sowie neuer Angebote für den Markt und damit unsere Kunden.
10. Was ist neu an der Ambiente 2025?
Herzensangelegenheit ist mir das neue Areal „Interior Looks“: Das Engagement aus der Möbelindustrie ist angesichts der aktuellen Marktentwicklungen sehr beeindruckend: Tolle Herstellermarken zeigen zur Ambiente 2025 in der Interior Design Halle 3.1 alles, was es fürs Einrichten und Ausstatten eines Hotelzimmers oder auch von öffentlichen Räumen und Working Spaces braucht. In Frankfurt/Main finden sie den Zugang zu neuen Einkäufergruppen – mit Fokus auf das internationale Hospitality- und Contract-Business-Geschäft.
Im Angebotsbereich Office Design & Solutions verzeichnen wir einen weiteren Zuwachs. Im Highlight-Areal Future of Work zeigen wir gemeinsam mit starken Partnern aus der Branche, wie der Arbeitsraum von morgen aussieht und stoßen so neue Geschäftskontakte an. Aufgrund des großen Zuspruchs erweitern wir auch die Architekten-Thementage im Rahmen der Future of Work Academy.
Der Ambiente Designer 2025 Fabian Freytag gestaltet unter dem Titel „The Lounge – Shades of Space“ eine spektakuläre Sonderschau als einladenden Ort der Begegnung, der Interior Design, Hospitality und Contract Business perfekt vereint.
Last but not least zeigen unsere Ambiente Trends 25+, welche Formen, Farben und Materialien uns zukünftig in allen Lebensbereichen begleiten.
11. Welche Trends erwarten Sie auf der nächsten Ambiente?
Lassen Sie mich das direkt mit den Trendprognosen unserer Experten beantworten: DEEP, REAL, EASE. Das sind die neuen Ambiente Trends 25+, die für mehr Wellbeing sorgen. Das renommierte Stilbüro bora.herke.palmisano leitet für uns die kommenden Trends von den internationalen Tendenzen in Mode, Kunst, Interior und Lifestyle ab. Es bricht sie auf unsere Produktkategorien herunter und inszeniert mit kuratierten Neuheiten der Aussteller drei Trendwelten als zentrale Inspirationsquelle für den Handel. Allen ist gemeinsam, dass Handwerkskunst, Nachhaltigkeit und der Kreislaufgedanke sowie innovative Technologien, auch Materialität oder Herstellungsform, übergreifend eine große Rolle spielen. Das wird superspannend. Unbedingt ansehen!
12. Das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Auch wenn nun wieder mehr im Büro gearbeitet wird. Wie wird sich das Thema mobile Arbeit resp. Hybrid Working wohl entwickeln?
Das Homeoffice wird definitiv bleiben und es wird noch flexibler. Meines Erachtens wird zukünftig noch klarer vorab geplant, welche Arbeiten für das mobile Arbeiten oder Homeoffice geeignet sind und welche Arbeiten besser im Büro oder Coworking Space auszuführen sind. Die Organisation darum lässt sich sicher noch optimieren. Die Technik und Tools werden sich weiterentwickeln. Die Büro- und Homeofficeausstattung ebenso – und sie wird noch modularer und wohnlicher werden. VR-Entwicklungen werden spannend sein für das kollaborative Zusammenarbeiten über Distanzen. Schließlich wachsen Generationen nach, die mit hybriden Arbeitsmodellen gestartet sind und die 100-prozentige Präsenz gar nicht mehr kennen. Das ist auch ein Aspekt, der das moderne Arbeiten prägen wird.
13. Zu den größten Fehlern der Messebranche gehört, …
Dazu kann ich mich gar nicht wirklich äußern. Danach ist man immer schlauer. Jede Handlungsalternative ist mit Chancen und Risiken behaftet. Geht man rechtsrum und das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend, weiß man trotzdem nicht, ob linksrum den ultimativen Erfolg gebracht hätte. Wichtig bleibt es, die Impulse aus dem Markt aufzunehmen, offen zu sein und in engem Schulterschluss mit den Branchen zu agieren.
14. Die Zukunft des Fachhandels …
… braucht Mut für Investitionen, neue Ideen, Partnerschaften und mehr Erlebnisfaktor. Die Prognosen in Zeiten von schleppender Nachfrage und anhaltenden geopolitischen Spannungen sind nicht rosig. Das weltweite Insolvenzgeschehen zieht an, mit einem Anstieg um elf Prozent im Jahr 2024 und 2025 um weitere zwei Prozent laut allianz-trade.de, dem weltweiten Kreditversicherer. Besonders betroffen sei neben Baugewerbe und Dienstleistungssektor der Einzelhandel.
Orientierung geben erfolgreiche Geschäftsmodelle oder Fachhandelskonzepte mit Mischsortimenten. Die Inspiration über eine aufmerksamkeitsstarke, trendorientierte Warenpräsentation – sowohl auf der Website als auch im Schaufenster vor Ort – bleibt als erster Kaufimpuls entscheidend. Der stationäre Fachhandel punktet zusätzlich mit Aufenthaltsqualität und Erlebnischarakter. Der Onlinehandel kommt auch wieder mit Stores, Erlebnisräumen und Kontaktpunkten zurück.
Entscheidend ist ebenfalls, ob der stationäre Fachhandel in Großstädten weiter unter Druck bleibt – Stichwort Immobilienbesitz versus Mietniveau. Und auch, welche Lösungen sich für den ländlichen Raum entwickeln.
15. Auch hierzulande zeichnen sich stellenweise Büroflächenrückgänge und neue Kernaufgaben für das Corporate Office ab. Wie sehen Sie das?
Bei reduzierter Büropräsenz kann Desk-Sharing durchaus Sinn machen. Es braucht dann weniger Arbeitsplätze aber ggf. mehr Raum für Begegnung und kollaborative Zusammenarbeit. Auch diese Räume wollen eingerichtet und ausgestaltet sein. Und wenn Büroflächen durch Wohnraum ersetzt werden, wäre dies auch eine nachvollziehbare Entwicklung. Die Nachfrage ist da.
16. Wie stellen Sie sich Büros im Jahre 2040 vor?
Da bin ich auf jeden Fall in Rente. Aber Scherz beiseite: Ich denke, das wird sehr modern mit Sprachsteuerung und ausgebauter digitaler Assistenz, die Unternehmen mehr Raum für kreative und wertschöpfende Arbeit sowie Beziehungsmanagement lässt.
17. Wie bewerten Sie eigentlich, dass die Wohnmöbelmesse imm cologne 2025 aussetzt?
Ich bedaure diese Entwicklung. Die imm cologne war über sehr viele Jahre ein etablierter Termin mit großer Bedeutung für viele deutsche Möbelhersteller. Wenn eine internationale Leitmesse abgesagt wird, hat das immer eine alarmierende Wirkung. Der Markt ist im Umbruch. Somit auch die Messelandschaft. Firmen fokussieren ihre Budgets auf der Suche nach Neukunden und neuen Business-Perspektiven. Das ist verständlich.
18. Werden die Segmente Wohnmöbel und Büromöbel weiter zusammenwachsen?
Ja, absolut. Büromöbel und Einrichtungskonzepte werden wohnlicher. Wir sehen das in den Programmen der Büromöbelhersteller sowie an der Gestaltung moderner Workspaces. Letztere halten auch zunehmend in Hotels Einzug.
19. Was Sie schon immer einmal zur Entwicklung der Büroarbeit sagen wollten:
Der persönliche Austausch bleibt der Schlüssel zum Erfolg, das muss onsite wie online funktionieren.
20. Wie stehen Sie zum Thema ökologische Nachhaltigkeit?
Sie ist alternativlos.
21. … und die Digitalisierung?
Eines der stärksten Innovationsfelder. Sie ist nicht aufzuhalten, nur zu gestalten.
22. Was halten Sie von New Work?
Die richtige Antwort auf die Veränderungen in der Arbeitswelt und der Gesellschaft.
23. Den Generationen Y und Z rate ich, …
Ich fühle mich noch irgendwie Y zugehörig. Und für Z: Jede Generation hat ihre eigene Realität und ihre eigenen Learnings. Sie werden es schon richtig machen.
24. Woran arbeiten Sie gerade?
An der kommenden Ambiente, die vom 7. bis 11. Februar 2025 wieder in Frankfurt/Main stattfindet. Parallel schauen wir mit einem Auge auch immer auf das, was danach folgt.
25. Was inspiriert Sie?
Menschen, die was zu sagen haben.
26. Ihr größter beruflicher Erfolg?
Ich liebe meinen Job. Er ist total vernetzt. Alles ist Teamwork. Wenn ein ausstellender Kunde einem um den Hals fällt, weil die Messe so gut für die Firma gelaufen ist, ist das einfach unglaublich schön.
27. Der größte Misserfolg?
Ich konzentriere mich nicht auf Fehler, sondern darauf, was ich daraus lernen kann.
28. Xing oder Linkedin oder …?
Linkedin.
29. Apple oder Microsoft?
Apple.
30. Lesen Sie noch Gedrucktes?
Ja. Da bin ich Retro. Ich liebe es, Papier in der Hand zu halten. Der Geruch von Druckerschwärze begeistert mich nach wie vor.
LEBEN
31. Was würden Sie als „Königin von Deutschland“ zuerst ändern?
Ich bin keine Royalistin und liebe nicht das Diktat. Grundsätzlich lebe ich gern hier. Trotz diverser Wünsche wie etwa weniger Bürokratie, mehr Redlichkeit im politischen Diskurs, kein Bahn- und Flugstreik während Messen etc.
32. Was würden Sie gern können?
Handwerkliches wie Haus bauen, Schreinern, landwirtschaftlicher Anbau – somit grundsätzliche, existenzielle Dinge.
33. Wo würden Sie am liebsten leben?
In einem Haus am See mit Orangenbäumen.
34. Wobei können Sie gut entspannen?
Bei einem guten Glas Wein oder in der Sauna.
35. Ihr ursprünglicher Berufswunsch?
Lang ist es her: Goldschmiedin und Jockey. Für das Erste nicht talentiert genug und für das Zweite zu lange Beine.
36. Ihre Hauptcharaktereigenschaften?
Das ist komplex. Ich frag mal meinen Lebenspartner.
37. Ihre Hobbys oder Leidenschaften?
Aktuell Kanaster und Genießen.
38. Ihre drei Dinge für die einsame Insel?
Solarladegerät, Satellitentelefon, Buch.
39. Ihr Lieblingskünstler?
Ich bin Bauhäuslerin.
40. Ihr Lieblingsbuch?
Aktuell „Haben oder Sein“ von Erich Fromm.
41. Ihr Lieblingsgericht?
Portugiesischer Fischtopf.
42. Ihre Lieblingsweisheit?
„Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten.“ Barack Obama.
43. Haben Sie ein Lebensmotto?
Alles ist gut.
44. Der Sinn des Lebens ist ...
Leben.
45. E-Auto oder Verbrenner?
Seit einem Monat: E-Auto.
46. FC Bayern oder Borussia Dortmund oder …?
Oder.
47. Beatles oder Stones, Ärzte oder Hosen oder …?
Stones.
48. Bier oder Wein?
Wein.
49. Strand oder Berge?
Beides.
50. Und Ihre Uhr: analog oder digital?
Meine Verflossene: analog. Meine Zukünftige: Qlocktwo. Digital.
YVONNE ENGELMANN
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