An „grünen“ Unternehmensmitteilungen fehlt es derzeit nicht. Auch viele Office-Worker sehen sich auf dem Weg zu ökologisch nachhaltigerer Arbeit. Aber reicht das schon aus? Wir sprachen mit Yvonne Zwick, Vorsitzende des B.A.U.M. e.V. Sie gibt wertvolle Tipps für Bürobeschäftigte und Unternehmen.
OFFICE ROXX: Frau Zwick, sind wir hierzulande auf einem guten Weg hin zu ökologisch nachhaltigen Büros?
Yvonne Zwick: Dafür müssen wir uns zunächst darüber verständigen, was die Kriterien für ein ökologisch nachhaltiges Büro sind. B.A.U.M. organisiert seit vielen Jahren den Wettbewerb „Büro & Umwelt“. Die überschaubare Teilnahme lässt nicht darauf hindeuten, dass es schon ein Massenphänomen ist, nachhaltig zu beschaffen. Im Großen und Ganzen spielt das Thema wohl eher eine untergeordnete Rolle. Das hören wir auch von B2B-Marktanbietern, die spüren, dass hauptausschlaggebend immer noch der Preis zu beschaffender Produkte ist, nicht so sehr deren Umwelteigenschaften, Lebenszykluskosten oder Produktionsbedingungen. Angesichts der Stimmung in der Wirtschaft wundert das wenig.
Was können Bürobeschäftigte vor allem tun, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern?
Zum einen kann nachhaltige Beschaffung eingefordert werden. Zum anderen sollte sich im Büro selbst nachhaltig verhalten werden: Energie effizient nutzen, Stoßlüften, Müll vermeiden und trennen. Nur das Nötigste zu drucken gehört ja bereits zum guten Ton. Was einem selbst gut tut, gehört ebenso dazu: echte Digitalpausen machen und Geräte ausschalten. Nur aus ist wirklich aus, Stand-by schmatzt reale Kosten in die Bilanz. Festplatten aufräumen und alte, nicht mehr benötigte Dateien ausmisten, weil auch das Rechnerkapazität und Energie kostet. Webseiten und Tabs schließen – solche kleinen Dinge gehören ebenso dazu. Und was mir immer wieder in Nachhaltigkeitsberichten auffällt: Die Pendlermobilität hat eine große Wirkung auf die Klimabilanz, wird aber oft beiseitegelassen. Also auch hier: Zu Fuß, mit dem Rad und ÖPNV kommen sowie Fahrgemeinschaften bilden.
Die Pandemiejahre haben gezeigt, dass es auch weitgehend ohne tägliches Pendeln und permanente Geschäftsreisen geht. Beides ist aber bei vielen nun wieder zurück. Eine vertane Chance?
Ich hoffe nicht. Ein Blick auf die Statistik zeigt, dass die Pendelaktivität nicht wieder auf altem Niveau ist. So war der Homeofficeanteil zumindest im Jahr 2022 noch doppelt so hoch wie vor der Pandemie. Knapp ein Viertel aller Erwerbstätigen arbeitete laut Statistischem Bundesamt 2022 im Homeoffice. Auch geschäftlich wird weit weniger gereist als vor Corona. Es gibt Branchen, die einen hohen Anteil an Remote Work und die Vermeidung von Dienstreisen durch gut moderierte Videokonferenzen bewusst in ihre Nachhaltigkeitsstrategie integrieren. Von 40 Prozent weniger physischer Mobilität ist da teilweise die Rede. Wird das zu einem Faktor für Mitarbeiterzufriedenheit und die betriebliche Mobilitätsstrategie, ziehen Unternehmen aus den Lehren der Pandemie einen doppelten Nutzen.
B.A.U.M. hat aktuell ein Projekt in Kooperation mit der Hochschule Rhein-Main. Es zielt darauf ab, den Mobilitätsbereich von Unternehmen nachhaltig zu transformieren. Co2meet bietet kostenlose individuelle Initialberatung, Reiserichtlinienchecks und Umsetzungsbegleitung für Unternehmen und Webinare an.
Was können und müssen die Büroprodukte herstellenden Unternehmen jetzt vor allem angehen?
Die Anforderungen an Transparenz und Berichterstattung werden ausgeweitet und jedes Unternehmen tut gut daran, in den betriebsinternen Dialog zu treten: Was ist der Sachstand in der Befassung mit Nachhaltigkeitsthemen, was die Perspektive langfristiger Geschäftsentwicklung, die zur Nachrichtenlage globaler Umweltveränderungen und zu den gestiegenen gesellschaftlichen Anforderungen sowie geopolitischen Unsicherheiten passt? Wie reagiert das Unternehmen darauf? Was halten die eigenen Mitarbeitenden von all dem, welche Gedanken und Ideen haben Sie? Der interne Stakeholderdialog ist immens wichtig und kann ein Quell der Inspiration sein. Welche Belege für nachhaltige Praxis werden schon erbracht, wie sind aussagekräftige Daten und Steuerungsgrößen organisiert und wie können sie in einen strategischen Ansatz überführt werden? Die EU-Kommission hat die Vision, den ersten klimaneutralen, zirkulären, fairen und zugleich wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu schaffen. In Unternehmen passiert da schon recht viel. Der Pionier Memo zum Beispiel setzt bei der Produktauswahl auf recyclierte Materialien, Energieeffizienz, Bezug von Produkten aus Europa und vornehmlich den Blauen Engel. Industrieunternehmen, die bei diesem staatlichen Siegel punkten wollen, innovieren klug auf diese Anforderungen hin.
Das EU-Lieferkettengesetz ist beinahe gescheitert. Haben Sie Verständnis für die Unternehmen, denen die entsprechenden Anforderungen zu weit gingen?
Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive wurde nun für Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitende verabschiedet. Damit ist nur ein sehr kleiner Kreis von Unternehmen betroffen. Im Gespräch mit Unternehmen hörte ich viel Kritik an der Umsetzung der CSDDD und auch des deutschen Lieferkettengesetztes. Hier wurde dann nachgebessert: Unternehmen, die die erforderlichen Berichtspunkte in ihrer Berichterstattung nach der Corporate Sustainability Reporting Directive offen legen, müssen keinen zusätzlichen Aufwand betreiben. Für mich ist es verständlich, dass Unternehmen der Schweiß auf die Stirn tritt. Obwohl derlei Regulierungsinitiativen seit Jahren in der Entwicklung sind, läuft die Kommunikation nicht breitenwirksam genug. Wenn sogar Teile der Bundesregierung nicht sehen, was die Regulierungsabsicht ist, endet allerdings mein Verständnis. Deshalb habe ich auch einen recht deutlichen Appell an die Regierung gesendet, in dem die Bedeutung der Sorgfaltspflicht noch einmal dargelegt wurde. Es wird zu viel Angst genährt und zu wenig erklärt, was die Möglichkeitsräume sind, die Unternehmen füllen dürften. Der vornehmste ist: in Partnerschaft mit Politik und Zivilgesellschaft für bessere Zukunftsaussichten zu sorgen.
Es gibt viele Umweltzertifikate und manche sind in Verruf geraten. Welche können Sie Office-Workern zur Orientierung empfehlen?
Stimmt, einige sind in Verruf geraten. Verlässlich sind, Faustregel eins, immer die Siegel, die staatliche Prüfsiegel sind und kein eigenes Geschäftsmodell haben. Deshalb steht der Blaue Engel von der Jury Umweltzeichen organisiert beim Umweltbundesamt hoch im Kurs. Ebenso das EU-Energieeffizienzlabel. Dann folgen all die, die ihre Kriterien transparent veröffentlichen und kein Geheimnis daraus machen, dass Aufwände auch von irgendwem bezahlt werden müssen. Beim FSC beispielsweise sind dann 100 Prozent Recycling besser als „FSC Mix“, der den Großteil der Zertifikate von FSC ausmacht, weil die schieren Mengen am Markt nicht verfügbar sind. Problematisch ist da wieder, dass nur 70 Prozent wirklich aus FSC-zertifizierten Wäldern kommen müssen und der Rest aus anderen sein kann. Außerdem sind die Standards von Land zu Land unterschiedlich. Daher ist es auch wichtig, die Herkunft des Holzes zu betrachten, wenn ich unternehmerisch beschaffe.
Ich empfehle für den Überblick im Detail die Datenbank des Forum Nachhaltige Rohstoffe, in der nach Produktgruppen gefiltert werden kann. Sie hält auch Informationen über die jeweiligen Siegel bereit. Weitere Quellen, die zur Meinungsbildung beitragen können, sind siegelklarheit.de und Kompass Nachhaltigkeit, eine Serviceseite für nachhaltige öffentliche Beschaffung, die Unternehmen wichtige Hinweise gibt.
Bald soll der digitale Produktpass eingeführt werden. Was bedeutet das für Hersteller und Nutzer?
Der digitale Produktpass ist ein digitaler Datensatz mit allen wesentlichen produktbezogenen Informationen über Komponenten, Inhaltsstoffe, Entsorgung, Reparatur. Alle Hersteller der Wertschöpfungskette können ihn scannen und die Informationen sehen. Für Bürgerinnen und Bürger bedeutet er mehr Informationen und damit eine bessere Grundlage für die nachhaltige Kaufentscheidung.
Für Unternehmen bedeutet er logistischen und dokumentarischen Aufwand, mit dem die Chance einhergeht, durch Transparenz partnerschaftliche Strukturen mit Geschäftspartnern und Vertrauen zu Verbrauchern aufzubauen sowie sich im Wettbewerb durch belegbare Nachhaltigkeitsleistungen zu profilieren. Die Umweltschädlichkeit der Konkurrenz wird sichtbar gemacht. Die zusätzlichen Informationen über Vorprodukte macht es möglich, die eigenen Prozesse effizienter zu gestalten.
Wo findet die Industrie Hilfe in Sachen ökologische Nachhaltigkeit?
Zunächst bei nachhaltigen Wirtschaftsinitiativen wie B.A.U.M., seinen Mitgliedern und Partnern. Langjährige Partner sind zum Beispiel das Forum Nachwachsende Rohstoffe (FNR) und das JARO Institut, ein kleiner Verband, der sich für nachhaltige Beschaffung einsetzt. Etwas Besseres als seinen „Sustainable Procurement Professional“-Lehrgang konnte ich bislang nicht finden. Wer ihn nutzt, profitiert vom Wissen der besten Expertinnen und Experten im Land zu diesem Thema. Deshalb haben wir ihn auch in unsere digitale Akademie integriert.
Wer Ideen, Rat und Hilfe sucht, wird bei uns fündig. Bei Bedarf vermitteln wir gern an Experten des gesuchten Fachgebiets in unserem Netzwerk weiter. Selbst suchen und finden können transformationsinteressierte Unternehmen auf unserer digitalen Plattform, in die auch die digitale Akademie integriert ist.
Und woran können sich zum Beispiel Büroeinkäufer orientieren?
An den Siegeln. Am einfachsten ist es aber, direkt bei nachhaltig orientierten Händlern einzukaufen. Meine Tipps – allesamt B.A.U.M.-Mitglieder – sind Memo, Kaiser und Kraft, AfB für Refurbed IT, Interface, Unite SE mit dem Sustainable-Choice-B2B-Katalog und für die Recherche die Magazine Kleine Kniffe und Forum Nachhaltig Wirtschaften.
Was möchten Sie noch gern loswerden?
Wir planen derzeit die Neuauflage unseres langjährigen Wettbewerbs Büro & Umwelt. Ein Wettbewerb, mit dem wir Unternehmen auszeichnen, die sich für umweltbewusste Beschaffung, Energieeffizienz und sparsame Verbräuche im Büro einsetzen. Aktuell setzen wir den Wettbewerb neu und breiter auf. Damit das möglich wird, suchen wir noch Partner. Das Interesse am Wettbewerb an sich ist gewaltig. Aktives Agendasetting wird von ganz unterschiedlichen Akteuren als dringend notwendig erachtet und B.A.U.M. wird als geeigneter Umsetzer gesehen. Die Ressourcen sind allerdings knapp. Und da die Kalkulation des Bedarfs recht spitz ist, mögen sich Interessierte gern melden!
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.