Die Wohnexpertin Oona Horx Strathern stellt in ihrem Home Report 2023 die neuesten Trends rund um Architektur und Möblierung vor. Im Interview erklärt sie, weshalb das Büro im Zuge hybrider Arbeitsformen komplett neu gedacht werden muss.

Oona Horx Strathern, Wohnexpertin, Trend- und Zukunftsforscherin. strathern.eu. Abbildung: Aria Sadr Salek
OFFICE ROXX: Frau Horx Strathern, nun ist Ihr bereits fünfter Home Report erschienen, in dem Sie jährlich die wichtigsten Wohntrends beschreiben. Welche Trends sehen Sie für 2023?
Oona Horx Strathern: Es gibt keine völlig neuen Trends an sich, sondern nur neue Trends, die sich aus bestehenden entwickelt haben und sich immer weiter entwickeln. Etwa aus Megatrends wie Urbanisierung, Neo-Ökologie und New Work. Im Jahr 2021 habe ich zum Beispiel darüber geschrieben, wie „Hero Material“, etwa Kork oder alte Angelschnüre, zu Materialien gemacht werden, die für Innenräume und Gebäude verwendet werden können. Dieses Mal blicken wir tiefer in den Bereich der sogenannten radikalen Materialien. Denn die Bau- und Innenausstattungsbranche beginnt, sich mit nachhaltigeren und regenerativen Materialalternativen zu befassen. Sie erkundet seltsame, unbeliebte und ungewöhnliche Materialien. Zum Beispiel Knochenreste aus der Fleischindustrie, die für die Herstellung von Steckdosen verwendet werden, oder Fliesen aus Eierschalen. Das ist ein Trend, der einen kleinen aber bedeutenden Teil des großen Megatrends Neo-Ökologie ausmacht und der in den nächsten Jahrzehnten weiter wachsen wird.
Was die Stadt betrifft, sind die aktuellen Strömungen eine Weiterentwicklung der zahlreichen Veränderungen und Verschiebungen, die bereits vor der Pandemie da waren und sich dann in deren Folge beschleunigt haben. Während wir zum Beispiel früher über die resiliente Stadt gesprochen haben, entwickelt sich die Diskussion jetzt hin zu einer Caring City. Wir haben die Stadt jahrzehntelang auf Autos ausgerichtet. Jetzt ist die Zeit, sie auf Menschen auszurichten. Mehr Fahrradwege, mehr öffentliche Räume und Parks – um nur einige Punkte zu nennen, die beim Re-Design der Stadt in den Vordergrund gerückt wurden.
Mieten mausert sich zum neuen Kaufen. Gilt das auch für Büromöbel?
Es gibt einen großen Trend des Überdenkens unserer Konsumgewohnheiten, nicht nur bei Kleidung, sondern auch bei Möbeln. Wir bewegen uns langsam von einer auf einmaligem Konsum basierenden Wirtschaft zu einer nachhaltigeren Kreislaufwirtschaft. Interessanterweise sprechen wir nicht mehr von secondhand, sondern verwenden Begriffe wie gebraucht, wiederverwendet und wiederentdeckt. Mieten ist nur eine weitere Art der Wiederverwendung und des Umdenkens, die nun auch auf Büromöbel übergeht.
Sicher ist, dass dieser Trend große Auswirkungen auf Bürolandschaften haben wird. Mietmöbel werden attraktiver, wenn es darum geht, kurzfristig zu verkleinern oder zu vergrößern. Viele Unternehmen werden ihre Arbeitsplätze anpassen, je nachdem, wie viele Mitarbeitende im Homeoffice arbeiten oder wie sich die finanzielle Lage ändert. Mieten hat den zusätzlichen Vorteil, dass es sich besser mit Nachhaltigkeitszielen vereinbaren lässt. Denn man nimmt nur das, was man für einen bestimmten Zeitraum braucht, und gibt es dann zurück, damit es erneut vermietet werden kann. Außerdem müssen Sie Ihre alten Möbel nicht wegwerfen oder verkaufen, wenn Sie ein Upgrade oder einen neuen Look brauchen. Sie mieten einfach einen neuen Look. Das bedeutet auch, dass Sie ein neues Design leichter und kostengünstiger ausprobieren können.
Sie sprechen von einem „Hybrid Hype“. Was verstehen Sie darunter?
Das ist der Hype um die neue Arbeitslandschaft. Alles ist noch im Umbruch – wir suchen nach neuen Möglichkeiten zu definieren, wo und wie wir arbeiten. Etwa im 3:2:2-Modell (drei oder zwei Tage im Homeoffice, zwei oder drei im Büro und dann zwei Tage frei). Die Unternehmen brauchen unter Umständen kleinere Zentralen, weil weniger Menschen gleichzeitig im Büro sind. Kleinere Büros werden in den peripheren Gebieten beliebter – sie verkürzen das Pendeln, die Reisekosten und die Umweltbelastung. Heute geht es nicht mehr um die Work-Life-Balance – das Konzept hat viele Menschen enttäuscht und ihr Leben stressiger gemacht. Besser ist Work-Life-Blending – mit diesem Konzept haben wir mehr Kontrolle darüber, wann und wie wir arbeiten, und müssen Arbeit und Leben nicht gegeneinander aufwiegen.
Einen Schwerpunkt widmen Sie der Frage, wie sich das Büro neu erfindet. Wie könnte sich denn die Nutzung der verschiedenen Arbeitsorte entwickeln?
Wenn Work-Life-Blending das neue Schlagwort nach der Pandemie ist, dann ist das wiedergeborene Büro der passende Ort. Der Ort, an den viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden zurückbringen wollen. Sie überdenken alles: Lage, Layout, Möbel – und sogar die Rolle des Wasserspenders. Es gibt vier Kernelemente für die Neuerfindung des Büros: Ich nenne sie die vier Cs: Comfort, Communication, Caring und Connections.
BUCHTIPP:
Oona Horx-Strathern: Home Report 2023 – Zukunft des Wohnens und Bauens,
Zukunftsinstitut, 144 S., 175 €.
Beim Comfort geht es darum, einige der Elemente nachzuahmen, die die Menschen an der Arbeit zu Hause schätzen: lockerere Kleidung, guter Kaffee, etwas Gesundes zum Mittagessen kochen oder ein Mittagsschläfchen. Das bringt uns zum Thema Communication: Wie können wir die Menschen wieder miteinander in Kontakt bringen? Eine Idee dazu nenne ich Koffice (Kitchen + Office). Es ist mehr als eine Küche im Büro, in der Kaffee gekocht oder sich um den letzten Keks gestritten wird. Es ist ein Ort, an dem die während der Pandemie erlernten Fähigkeiten weitergegeben werden können, an dem man gemeinsam essen und ungezwungen kommunizieren kann. Caring umfasst viele Ebenen – von der Unterstützung hybrider Arbeit oder Workation (Working + Vacation) bis zur Betreuung von Hunden im Büro. Bei Connections geht es um die Frage, wie die Mitarbeitenden bei hybridem Arbeiten miteinander in Kontakt bleiben – zum Beispiel durch Orte, an denen sie sich zum Arbeiten oder zum Smalltalk treffen können.
Die Idee des Koffice klingt spannend. Werden Office-Worker wirklich bald gemeinsam kochen?
Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass Menschen, die zusammen kochen, auch zusammenbleiben. Das Koffice hat das Potenzial, Kommunikation zu fördern und einen Anreiz zu bieten, ins Büro zu kommen. Eine PR-Firma in Wien bildet ihre Mitarbeitenden sogar zu Baristas aus. Solche Ideen stärken nicht nur die sozialen Bindungen. Auch die Kreativität wird gestärkt, indem man einfach eine Mahlzeit plant, Zutaten auswählt und dann gemeinsam kocht oder backt. Nicht zu vergessen, dass in wirtschaftlich angespannten Zeiten, in denen die Lebensmittelpreise stark steigen, ein kostenloses Mittagessen ein starkes Argument für das Arbeiten im Büro ist.
Welche Faktoren sind für die Transformation des Corporate Office besonders wichtig?
Die Offenheit für neue Ideen, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden und Faktoren wie die Integration und Unterstützung einer generationenübergreifenden Belegschaft. Wir leben länger als je zuvor und gehen immer seltener mit 60 oder 65 Jahren in Rente. Wir können und wollen länger arbeiten, daher sprechen wir von der „Unruhephase“ und nicht von der Ruhephase.
Wenn Büroarbeit immer dezentraler wird, was wird dann eigentlich aus unseren (autozentrierten) Städten?
Wenn wir die Dinge richtig angehen, zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr verbessern, mehr Fahrradwege und Grünflächen anlegen, werden die Städte letztendlich grüner und sauberer. Dann werden sie wieder attraktiver – und locken vielleicht Familien. Zahlreiche Funktionen und Menschen sind immer gut für eine Stadt. Ein lebendiges Chaos kann eine Stadt für Bewohner und Unternehmen gleichermaßen attraktiv machen.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Paul Svihalek.