Bibliotheken mögen hier und da noch ein angestaubtes Image besitzen. Jedoch lässt sich dort auch hervorragend arbeiten. Der Coworking-Experte Tobias Kremkau outet sich als Fan.
Vor Kurzem sah ich auf Twitter eine sicherlich nicht repräsentative Umfrage eines bekannten Digital-Nomad-Bloggers, also von jemandem, der beruflich nahezu vollständig im Digitalen unterwegs ist und deshalb seiner Arbeit ortsunabhängig nachgehen kann. Er fragte nach dem jeweils beliebtesten Arbeitsort. Fast 500 Menschen nahmen an der Umfrage teil. Mit 61 Prozent gewann das Homeoffice, gefolgt von Coworking Spaces mit 16 Prozent und Cafés, in denen neun Prozent der Teilnehmenden am liebsten arbeiten.
Die meistgewählten Orte für mobile Arbeit überraschten mich nicht. Besonders Freelancer, die häufig als Digitalnomaden unterwegs sind, bevorzugen aus Kostengründen das eigene (temporäre) Zuhause gegenüber kostenpflichtigen Orten wie einem Coworking Space oder einem Café. Der mit null Prozent letzte Platz in der Liste irritierte mich allerdings: die Bibliothek. Sie landete in der Auflistung sogar noch hinter dem Bett (zwei Prozent) und dem Balkon (ein Prozent). Warum arbeiten diese Menschen nicht gerne von einer Bibliothek aus?
Zwar weiß ich nichts über die Umfrageteilnehmer, aber ich vermute einmal, dass die meisten IT-orientierten Berufen nachgehen und in einem westlichen Industrieland leben oder von da kommen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass sie in einem Land mit einem Netzwerk von öffentlichen Bibliotheken leben und auch Zugang zu diesen haben. Welche Bedürfnisse könnten diese Menschen haben, die eine Bibliothek ihnen nicht bieten kann, weshalb sie anscheinend nie von dort aus arbeiten?
Das Thema Coworking und Bibliothek wird bereits seit fast zehn Jahren diskutiert. Vor inzwischen fünf Jahren durfte ich an einer entsprechenden Diskussion in der Staatsbibliothek zu Berlin teilnehmen. Davon gibt es ein Video, das es sich immer noch lohnt anzuschauen, wenn man sich dem Thema aus sehr verschiedenen Denkrichtungen nähern möchte: von der Bibliothek her, ihrer Architektur, der Soziologie dieser Räume und auch der des Schriftstellers.“
Tipp von Tobias Kremkau
Heutzutage können Bibliotheken, zumindest in Deutschland, auch ohne eine Mitgliedschaft betreten und genutzt werden. Bücher und andere Medien kann man sich ohne Ausweis nicht ausleihen. Doch die offenen Arbeitsflächen, das offene WLAN und auch die kostenlosen Computerarbeitsplätze stehen jedem zur Verfügung. Einige Bibliotheken haben eigens für mobil arbeitende Menschen Gruppenarbeitsräume nach Vorbild von Coworking Spaces geschaffen oder auch gleich einen eigenen Coworking Space im Gebäude der Bibliothek.
Was in einer Bibliothek oft fehlt, ist die Community anderer Nutzer, wie man sie in einem Coworking Space erleben kann. Hier muss man sie sich, durch soziale Interaktionen mit anderen Menschen, meist selbst erarbeiten. Das liegt nicht jedem, allerdings hat man im Homeoffice keine Möglichkeit, andere Menschen kennenzulernen. Diese Hürde, wenn man von einer Bibliothek aus arbeitet, ist also kein Vorteil des Homeoffice. Das Bedürfnis nach Miteinander und die technische Infrastruktur sprechen deshalb nicht gegen Bibliotheken.
Zu Hause und vermutlich in den meisten Coworking Spaces und Cafés wird der Kaffee besser schmecken. Gute Arbeit braucht guten Kaffee. Das ist ein sehr subjektiver Minuspunkt einer Bibliothek, den ich aber nachvollziehen kann. Ich habe noch nie in einer Bibliothek einen guten Kaffee bekommen (dafür ein schön kühles Weißbier im kleinen Biergarten der Münchner Staatsbibliothek, aber das ist eine andere Anekdote für eine andere Kolumne), doch ich kann mir nicht vorstellen, dass das Heißgetränk den Unterschied ausmacht.
Kurzum, ich verstehe nicht, warum die Bibliothek in der erwähnten Umfrage als Ort für mobile Arbeit so schlecht abschneidet. Zwar mag einem selbst vielleicht nicht jede Bibliothek gefallen, aber vom Konzept her sind sie meines Erachtens die besseren Coworking Spaces: preiswert, öffentlich und das Gemeinwohl unterstützend. Oder um es mit einem Tweet von P.Jay zu sagen: „Es gibt 83 öffentliche Bibliotheken in Berlin und ihr sucht nach Coworking Spaces.“ Anscheinend bin ich nicht der einzige Bibliotheks-Fan auf Twitter.