2005 gründete Brad Neuberg in San Francisco den weltweit ersten Coworking Space. Das erinnert unseren Coworking-Kolumnisten Tobias Kremkau daran, worum es beim Coworking wirklich, wirklich geht.
Am 9. August jährte sich der Blogpost von Brad Neuberg, in dem er die Gründung des weltweit ersten Coworking Spaces verkündet hatte, zum siebzehnten Mal. Was Neuberg damals als Coworking Space bezeichnete, war ein in einem Gemeindezentrum an zwei Tagen in der Woche angemieteter Raum, in dem er ein paar Tische und Stühle aufgestellt hat, um von da aus mit anderen gemeinsam zu arbeiten. Ihm ging es darum, als Selbstständiger zu arbeiten. Gleichzeitig wollte er aber von einer Struktur und Gemeinschaft profitieren, wie sie Angestellte kennen.
Inzwischen ist Coworking zu einem Synonym für mobile Arbeit geworden, aber auch Firmen für flexible Büroraumvermietung und Milliarden-Dollar-Unternehmen haben sich auf dem Weg gemacht, Coworking weltweit anzubieten. Vor ein paar Jahren besuchte ich ein Autohaus in Brüssel, das mit dem Begriff Coworking für sich warb. Gemeint waren damit aber nur ein Sofa und ein offenes WLAN inmitten all der vielen Neuwagen. Coworking ist kein geschützter Begriff. Coworking darf sich im Grunde alles nennen und eigentlich kann auch alles Coworking sein.
Doch so schwammig der Begriff ist und so vielseitig das Angebot, am Ende geht es darum, die Bedürfnisse von Menschen zu stillen. Ich treffe immer noch Menschen, die von Coworking Spaces aus arbeiten, damit sie nicht allein zu Hause tätig sein müssen. Ganz so wie es einst Brad Neuberg antrieb, einen Ort zu schaffen, um mit anderen zusammen zu kommen. Den Menschen geht es nicht um ein Bällebad im Coworking Space, kostenlosen Kaffee oder sogar Freibier, sondern nur darum, mit anderen Menschen zusammen zu sein.
Das Blog von Brad Neuberg ist immer noch online, genau wie sein Blogpost vom 9. August 2005. Liest man ihn und auch spätere Beiträge, erhält man einen hervorragenden Eindruck von den Gründungstagen der Coworking-Bewegung. Diese sind noch nicht so lange her. Dennoch erscheinen die Idee von Coworking und auch die ersten Coworking Spaces heute – in unserer post-pandemischen Welt und nach dem Aufstieg und Fall von WeWork – wie aus einem längst vergangenen Jahrtausend.“
Tipp von Tobias Kremkau
Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen soziale Interaktionen mit anderen Menschen, um unsere eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Dieses Phänomen nennt sich Kopräsenz und geht auf den kanadischen Soziologen Erving Goffman zurück. Er definierte soziale Interaktionen als Folge einer sozialen Situation, in der zwei oder mehr Personen körperlich anwesend sind und aufeinander reagieren können. Diese Face-to-Face-Interaktion, also Begegnungen von Angesicht zu Angesicht, sind die ursprünglichste Form des Sozialen.
Aus dieser sozialen Erfahrung des Miteinanders heraus entstehen Ideen des Selbst, wodurch erst Handlungsautonomie erwächst. In der Gemeinschaft ähnlich agierender – und damit als zu einem selbst ähnlich wahrgenommener – Menschen (ob sie es auch sind, ist zweitrangig) beginnt man, sein Selbst zu öffnen und als selbstbestimmte Person zu agieren. Das ist der innerste Antrieb der Menschen, die von einem Coworking Space aus arbeiten, und am nächsten an der Neue-Arbeit- Weisheit, dass Menschen machen sollen, was sie wirklich, wirklich wollen.
Deshalb werden Menschen aber nicht Mitglied in einem Coworking Space. Bei einer Besichtigung interessieren sie sich für den Preis, die Größe des Tisches und welche Leistungen in der Mitgliedschaft enthalten sind. Fragen Sie aber einmal eine Person, die von einem Coworking Space aus arbeitet, was ihr daran gefällt. Sie wird ihnen nichts von den Tischen erzählen, sondern wen sie dort alles kennengelernt hat, was daraus entstanden ist und wie es sich anfühlt, in einem Coworking Space zu arbeiten.
Wenn man versteht, dass Coworking Spaces Orte sind, die die oft auch unbewussten Bedürfnisse von Menschen stillen, ist es sehr leicht, solche Orte zu schaffen. Es geht nicht um Möbel, Kaffeemaschinen oder diverse Flatrates, sondern einzig und allein um das Miteinander von verschiedenen Menschen. Wir sollten deshalb aufhören, Orte nur auf ihre Funktionen zu reduzieren und sie danach auszuwählen. Wir sollten uns eher damit beschäftigen, wie diese auf einen wirken. Von wo können wir welche Aufgabe am besten erledigen?