Videokonferenzen boomen. Auf Dauer können sie aber ein Gefühl von Abgeschlagenheit und Leere hinterlassen. André Spicer, Professor für Organisationsverhalten, beschreibt eine neue psychische Erkrankung: Zoom-Müdigkeit.
Wenn wir miteinander über den Bildschirm interagieren, verpassen wir viele Hinweise, die wir während eines Gesprächs im wirklichen Leben erhalten würden. Diese zusätzlichen Informationen helfen unserem Gehirn jedoch, das Geschehen zu verstehen. Wenn diese Informationen fehlen, muss unser Gehirn stärker arbeiten, um zu verstehen, was passiert. Das ist in manchen Fällen sehr von Nachteil. Wenn die Leitung gestört ist, können sich Vorurteile verstärken. Schon eine Sekunde Verzögerung kann uns denken lassen, dass die Menschen am anderen Ende der Leitung weniger freundlich sind. Ein Experiment hat ergeben, dass Menschen bei niedriger Videoqualität viel vorsichtiger kommunizieren.
Stressfaktor Video
Videomeetings können auch emotional sehr anstrengend sein. Einer Studie zufolge fühlten sich Dolmetscher, die Fernübersetzungen anfertigten, entfremdet. Eine merkwürdige Eigenart von Videokonferenzen liegt darin, dass wir unser Spiegelbild sehen. Das kann dazu führen, dass wir uns befangen und weniger sicher in unseren Interaktionen fühlen. Wir geben uns vielleicht mehr Mühe, aber wir empfinden es auch als stressiger.
Die Verbreitung von Videokonferenzen kann auch eine verzweifelte Suche nach Anerkennung auslösen. Eine Analyse von Remote-Mitarbeitern ergab, dass diejenigen, die in einem abgelegenen Ort arbeiten, diese Situation oft als eine Form des Exils erleben. Diese Mitarbeiter fühlen sich übersehen und versuchen alles, um sichtbar zu werden. Sie suchen nach interessantem Material und Anekdoten, sie übernehmen zusätzliche Aufgaben, von denen sie hoffen, dass diese die Aufmerksamkeit ihrer Manager auf sich ziehen.
Zoom-Müdigkeit entgegenwirken
Es gibt einige relativ einfache Dinge, die Sie tun können, damit Videokonferenzen weniger ermüdend werden. Vermeiden Sie Multitasking während eines Videoanrufs, um Ihre kognitive Arbeitsbelastung zu verringern und Ihre Aufmerksamkeit zu fördern. Machen Sie zwischen den Anrufen eine Pause und entfernen Sie sich vom Bildschirm, damit Sie Zeit zum Nachdenken, zur Neugruppierung und zur Erholung haben. Wenn Sie Ihr Selbstbild während einer Videokonferenz verbergen, können Sie sich weniger gehemmt fühlen und sich mehr auf das konzentrieren, was andere sagen.
Es gibt auch andere Kommunikationsmöglichkeiten als Videoanrufe. Textnachrichten, E-Mails und Telefonanrufe könnten die bessere Wahl sein. In einer Studie wurde zum Beispiel festgestellt, dass die Teilnehmer bei einem reinen Sprachanruf einige Informationen genauer übermittelten als bei einem Videoanruf. Es gibt auch Fälle, in denen der Verzicht auf Kommunikation am besten funktioniert. Ein kürzlich durchgeführtes Experiment ergab, dass Teams, die ein Puzzle stillschweigend gemeinsam lösten, dazu neigten, diejenigen zu übertreffen, die während der Arbeit sprachen. Manchmal ist es am besten, einfach die Stille zu akzeptieren.
André Spicer,Professor für Organisationsverhalten,
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Dieser Beitrag wurde zuerst auf The Conversation (theconversation.com) veröffentlicht.