Zwei Jahrhunderte gibt es die Firma Thonet nun schon. Die Heimat des berühmten Wiener Kaffeehausstuhls gilt als Wiege des modernen Möbeldesigns. Anlässlich des Jubiläums sprachen wir mit Norbert Ruf, Creative Director bei Thonet.
OFFICE ROXX: In diesem Jahr wird Thonet 200 Jahre alt. Gibt es so etwas wie einen Gründungsmythos?
Norbert Ruf: Den Durchbruch schaffte Firmengründer Michael Thonet 1859 mit dem ikonischen Stuhl Nr. 14, dem sogenannten Wiener Kaffeehausstuhl: Durch die neuartige Technologie des Biegens von massivem Buchenholz konnte erstmals ein Stuhl industriell hergestellt werden. Mit diesem Kaffeehausstuhl begann die Geschichte des modernen Möbels. Noch bis heute gilt der 214 von Thonet als das gelungenste Industrieprodukt der Welt. Er besteht aus lediglich sechs Bauteilen, zehn Schrauben und zwei Muttern. Weniger Material und Konstruktion sind weder technisch noch formal möglich – und nötig. Hinzu kam bereits im 19. Jahrhundert eine geniale Vertriebsidee, mit der der Grundstein für einen weltweiten Export gelegt wurde. In einer Kiste von einem Kubikmeter wurden 36 zerlegte Stühle verpackt, in die ganze Welt geschickt und vor Ort montiert. Auch ästhetisch war der Stuhl eine Revolution. Seine schlichte Form setzte Maßstäbe und der eher üppigen Formensprache jener Zeit etwas Neues entgegen. Das dreidimensionale Verformen von massivem Holz stellte damals eine Sensation dar und hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Es legte den Grundstein für eine massenhafte, serielle und arbeitsteilige Fertigung, weshalb Michael Thonet als der Begründer des modernen Möbeldesigns gilt.
Was macht das Unternehmen Thonet für Sie aus?
Mit einem Produkt von Thonet kauft man nicht nur ein Möbel, man erwirbt ein Stück Designgeschichte. Auf Thonet kommt man zusammen, seit die Erfolgsgeschichte des Unternehmens im 19. Jahrhundert in den großen Kaffeehäusern dieser Zeit ihren Anfang nahm. Mit 200 Jahren Firmengeschichte und Produkten, die immer zeitgemäß sind, steht Thonet für moderne zeitlose Möbel(-Gestaltung). Möbel von Thonet gehören heute wie gestern zum alltäglichen Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt. Einige schätzen sie als Klassiker mit Geschichte und Patina, andere als zeitlose Designikonen mit Sammlerwert, und Menschen einer jüngeren Generation sehen in einem Thonet-Original den Stil und die Kultur, die es repräsentiert.
Was sind Ihre Lieblingstücke von Thonet?
Bei der Fülle der großartigen Entwürfe fällt die Auswahl nicht leicht – aber die Stühle 209, S 64 und 118 haben für mich eine besondere Qualität.
Thonet arbeitet mit ausgezeichneten Designern zusammen. Wie erfolgt die Auswahl?
Im stetigen Prozess der Neuerfindung wird die Thonet-Kollektion neben den Bugholz- und Stahlrohrklassikern in unterschiedlichen Variationen und Editionen permanent durch neue Entwürfe erweitert. Im Laufe der letzten Jahrzehnte entwarfen international bekannte Architekten und Designer wie Stefan Diez, Lord Norman Foster, Alfredo Häberli, James Irvine, Naoto Fukasawa, Piero Lissoni, Glen Oliver Löw, Christophe Marchand oder Hadi Teherani für Thonet. Insgesamt verfolgen wir immer das Ziel, dass die Gestalter ein Verständnis für die Identität von Thonet entwickeln oder bereits haben. Für die Werte und Qualitäten, welche das Unternehmen auszeichnen.
Der Wiener Kaffeehausstuhl 214 kostet in Ihrem Shop 714 Euro, der S 33 gar über 1.300 Euro – was macht solche schlichten Möbel so vergleichsweise teuer?
Es ist uns wichtig, Produkte zu schaffen, die nicht nur in ihrer visuellen Qualität langlebig sind, sondern auch in ihrer physischen. Um dies zu erreichen, achten wir auf die besondere Güte aller eingesetzten Materialien wie auch auf jeden einzelnen Schritt in der Verarbeitung. Möbel von Thonet sind zeitlos, von höchster Qualität und wertstabil.
Wie hält es Thonet mit der ökologischen Nachhaltigkeit?
Thonet strebt nach einer Balance zwischen ertragsorientiertem Wachstum, Schutz der Umwelt und verantwortungsvollem Handeln. Dabei handeln wir ganzheitlich, nachhaltig und mit sozialer Umsicht. Thonet-Produkte sind langlebig und beeinträchtigen weder bei der Herstellung noch bei der Entsorgung die Umwelt. Neue Produktkonzepte werden erst nach einer sorgfältigen Prüfung der Recyclingfähigkeit der verwendeten Materialien, des Anteils der Zerspanung sowie der Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit der verwendeten Materialien in unser Portfolio aufgenommen. Der im Frankenberger Werk verwendete Strom wird zu einhundert Prozent aus ökologisch nachhaltigen Energiequellen bezogen. Durch Investitionen in Recyclinganlagen für Lösungsmittel leisten wir noch einen weiteren Beitrag zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks.
Welche Strategie verfolgt Thonet für die nächsten Jahre?
Unser Ziel ist es weiterhin, unsere Kunden mit Produkten zu erfreuen, die mehr sind als ein Möbel, nämlich ein Stück Kultur.
200 Jahre Thonet bedeuten auch 100 Jahre Bauhaus. Was verdanken die beiden einander?
Stahlrohr ist neben Bugholz das zweite wichtige Material im Thonet-Programm. In den 1930er-Jahren war das Unternehmen der weltweit größte Produzent der damals neuartigen Stahlrohrmöbel, die von berühmten Bauhaus-Architekten wie Mart Stam, Ludwig Mies van der Rohe, Marcel Breuer, Le Corbusier, Charlotte Pérriand oder A. Guyot entworfen wurden. Heute gelten die frühen Stahlrohrmöbel wie auch die ersten Bugholzmöbel von Thonet als Meilensteile in der Designgeschichte. Ihre klare, offene und schlichte Form war Ausdruck einer neuen Haltung in Alltagskultur und Architektur, die unter dem Stichwort Neue Sachlichkeit bekannt wurde. Die bedeutendste „Erfindung“ der Zeit war der Freischwinger, der hinterbeinlose, federnde Kragstuhl – er wird heute als eine der wichtigsten Design-Innovationen des 20. Jahrhunderts eingeordnet.
Was sind Ihre persönlichen Bauhausklassiker?
Persönlich gefallen mir besonders der Stuhl S 64 und der Sessel S 533. Auch die Satztische B 9 gehören zu meinen persönlichen Favoriten.
In China gelten Plagiate als Ausdruck der Anerkennung. Thonet dürfte gerade im Bauhausjahr auch von der Problematik betroffen sein. Wie gehen Sie mit dem Thema Fälschungen um?
Wir bemühen uns, die Qualität des Originals zu kommunizieren und herauszustellen. Natürlich gehen wir auch aktiv – teilweise im Verbund mit anderen Herstellern – gegen Plagiateure vor.
Wie kann man herausfinden, ob man im Besitz eines echten Thonets ist und aus welcher Zeit das Möbelstück stammt?
Ob man ein Thonet-Original in den Händen hält, erkennt man bei allen Holzstühlen auf einen Blick: Auf der Unterseite des Sitzrahmens bzw. des Sitzes jedes Thonet-Stuhls befindet sich ein Signet des Unternehmens – bei den historischen Modellen ein sogenannter Frästeller, bei den aktuellen ein Brandstempel.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.