Coworking-Spaces sind hip: Sie werden als Wiege von Innovationen, neue Form des Arbeitens und Designvorbild für Unternehmensbüros gehandelt. Doch was verbirgt sich hinter dem Phänomen? Wir sprachen darüber mit Tobias Kremkau, Coworking-Manager des Berliner Kult-Coworking-Spaces St. Oberholz.
Tobias, wo liegt der Ursprung des heutigen Phänomens Coworking-Space?
Tobias Kremkau: Der Anfang war im Sommer 2005. Um diese Zeit entstanden weltweit solche Orte, die heute als Coworking-Spaces bezeichnet werden, in Kopenhagen, Zürich, San Francisco und hier in Berlin das St. Oberholz. Es gibt also nicht die eine einzige Quelle der Coworking-Spaces. Ihr Entstehen hängt damit zusammen, dass zu dieser Zeit WLAN-Karten erstmals standardmäßig in Laptops eingebaut wurden. Aus Erzählungen weiß ich, dass damals hier im St. Oberholz die ersten Leute im Café mit ihren Laptops arbeiteten. Andere sahen das, klappten ihre Laptops auf und merkten erst dann, dass sie mit ihrem Gerät gar nicht ins WLAN konnten. Die Elemente, über die heute ein Coworking-Space verfügt, entstanden vielfach im Hackerspace c-base in Berlin. Dort etablierte sich die Idee, die Infrastruktur mit Fremden zu teilen. Ab 2002 gab es dort beispielsweise schon ein offenes WLAN.
Wie haben sich die Coworking-Spaces in den letzten Jahren verändert?
Seit zwei, drei Jahren sieht man, dass die Anzahl der Freelancer in den Coworking-Spaces abnimmt. Dafür steigt die Zahl der Unternehmensangestellten, die dort arbeitet. Die Firmen spüren, dass es derzeit einen Wandel gibt. Sie schicken nun ihre Teams in Coworking-Spaces, um so eine bewusste räumliche Trennung vom Alten zu erreichen. In Deutschland geschieht das allerdings noch sehr vorsichtig und eher experimentell. Vielleicht auch, weil es den meisten Unternehmen hier noch zu gut geht, als dass sie wirklich die Not und den Drang zur Veränderung hätten. In Frankreich oder Spanien sieht das anders aus.
Ist es überhaupt noch Coworking, wenn Unternehmen innerhalb eines Coworking-Spaces Privatbüros für ihre Teams anmieten?
Das kann Coworking sein, muss es aber nicht. Meist ist es schon so, dass diejenigen, die im Hot-Desking-Bereich arbeiten, direkter in der Community sind, sich stärker einbringen. Ein Unternehmensteam hingegen ist oft selbst eine Art Community. Wir hatten hier neulich das Innovation-Team eines großen Unternehmens bei uns. Die mussten erst einmal lernen, die Tür zum Büro offenzulassen und in der Küche mit anderen zu sprechen. Je nach Unternehmenskultur kann es aber funktionieren, dass sich das Team öffnet.
Wie funktioniert Coworking denn idealerweise?
Coworking ist zu einem krassen Buzzword geworden, unter dem ganz Unterschiedliches verstanden wird. Für mich ist Coworking eine Community, die sich einen Raum teilt und kooperiert, die zusammen an neuen Dingen arbeitet und sich als Gemeinschaft wahrnimmt. Der Soziologe Erving Goffman hat das Co-Präsenz genannt. Das bedeutet, dass die Anwesenheit von anderen beeinflusst, wie wir uns verhalten und wie wir von uns denken. Im Coworking-Space erzeugt die Wahrnehmung des anderen ein Zugehörigkeitsgefühl. Das geschieht dort von Minute eins an. Im Idealfall passieren in einem Coworking-Space dann folgende Dinge: Die Leute lernen sich kennen, machen zusammen Projekte, und etwas Neues entsteht. Oft erfolgt das durch zufällige Beobachtungen von etwas, das eigentlich gar nicht gesucht wurde, das sich aber als wertvoll erweist. Hier spricht man von Serendipität. Der Vorteil eines Coworking-Spaces ist, dass verschiedene Leute mit ihrer je eigenen Herkunft und Erfahrung zusammenkommen, die damit auch einen eigenen Blick auf die Dinge haben. Im Unternehmen ist das anders, weil diese letztlich doch oft recht ähnliche Leute einstellen, die einen ähnlichen Blick haben.
Worauf kommt es an, wenn man einen Coworking-Space betreibt?
Es ist enorm wichtig, eine Atmosphäre aufzubauen, in der sich die Leute kennenlernen. Wir sind keine Vermieter, wir geben Zugang zur Community, beispielsweise über gemeinsame Frühstücke oder über Veranstaltungen mit breiten Themen, die viele Menschen interessieren. Oft ist es so, dass sich die Coworker auf solch einem Event das erste Mal ansprechen. An den Schreibtischen im Coworking-Space lernen sie sich oft nicht kennen, dort wird still und fleißig gearbeitet.
Derzeit wird viel über Coworking-Spaces gesprochen und geschrieben. Wie groß ist der Boom wirklich?
In Frankreich und Spanien boomen Coworking-Spaces tatsächlich. Weil dort die Wirtschaft stagniert, bleibt denen, die auf den Arbeitsmarkt kommen, oft nur die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder Selbstständigkeit. Viele arbeiten dann in Coworking-Spaces, die es dort selbst in kleineren Städten gibt. In Deutschland sieht das anders aus. In einem halben Jahr haben hier so viele Spaces geöffnet wie geschlossen. Vor allem außerhalb Berlins geht es vielen Coworking-Spaces wirtschaftlich sehr schlecht, weil es den Unternehmen in Deutschland noch zu gut geht, sie zu stark in ihren Strukturen verhaftet sind. Außerdem ist außerhalb Berlins die Freelancerdichte geringer, und es ist schwerer, über Eventflächen Einnahmen zu generieren. Das Konzept Coworking wird aber auch unabhängig von Coworking-Spaces weiterleben. Es zeigt, wie Arbeit künftig aussehen könnte: ortsunabhängig und vernetzt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Sebastian Klöß.