Pausen sind zwar fest im Arbeitszeitgesetz verankert. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung sollten unsere Pausenkulturen aber einmal kritisch hinterfragt werden, findet Burkhard Remmers vom Büromöbelexperten Wilkhahn.
Pausen sind das ältestes Rezept für Erholung und Regeneration. Deshalb wurden sie schon vor langer Zeit im Arbeitszeitgesetz festgeschrieben. Definiert sind sie hier als festgelegte Unterbrechungen der Arbeitszeit, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten hat. Entsprechend werden diese Pausenzeiten auch nicht vergütet. Nach sechs Stunden Arbeit sind 30 Minuten Pause fällig, ab neun Stunden insgesamt 45 Minuten. Und: Zwischen Feierabend- und Arbeitsbeginn müssen mindestens elf Stunden arbeitsfreie Erholungszeit liegen. Aber kann man in Zeiten von Smartphone & Co. überhaupt noch so lange offline bleiben?
Anachronistische Pausenpraxis
Im Zeitalter der Industrialisierung dienten die Pausen vor allem der Erholung von schwerer einseitiger, körperlicher Belastung. Bei der modernen Büroarbeit aber herrscht inzwischen „dank“ der Digitalisierung physiologische Unterforderung: Die körperliche Aktivität ist auf die Bewegung der Finger zur Bedienung von Tastatur und Maus reduziert. Gleichwohl stellt die Gestaltung der Pausenzonen mit Stühlen, Tischen, Snack- und Getränkeangeboten noch immer Entlastung und Kalorienzufuhr in den Mittelpunkt. Das Bewegungskoma am Arbeitsplatz setzt sich in den Pausenzeiten fort. Mit teuren Folgen: Bewegungsmangel gilt inzwischen als Hauptursache für fast alle Zivilisationskrankheiten. Deshalb sollte in der Pausengestaltung nicht Entlastung, sondern körperliche Aktivierung im Zentrum stehen: Vielfältige Bewegungen und erhöhte Stoffwechselrate sind die Erholungsparameter in der digitalisierten Arbeitswelt.
Dauerstress und Bewegungsarmut
Umgekehrt befördert die Digitalisierung durch multimediale Arbeitsverdichtung und vielfältige Störfaktoren eine dramatische Zunahme psychischer Erkrankungen, die inzwischen hinter Muskel- und Skeletterkrankungen auf Platz zwei der Arbeitsunfähigkeitsstatistik liegen. Die Durchführung psychischer Belastungsanalysen ist daher mittlerweile vorgeschrieben. Allerdings wird der Zusammenhang mit der Bewegungsarmut bislang kaum berücksichtigt. Dabei mobilisieren Stresshormone Energiereserven wie Zucker und Fett. Der Blutdruck wird erhöht, die Pulsfrequenz steigt und die Atmung wird schneller, um die Muskulatur auf Leistung zu trimmen. Wird diese Disposition aber nicht in Muskelarbeit umgesetzt, lagern sich die Stresshormone in den Zellen ein und schädigen auf Dauer das Immunsystem. Positiv ausgedrückt: Bewegungspausen stärken neben dem Muskel- und Skelettsystem auch die Stressresilienz.
Kurz, vielfältig und häufig
Für Industriebereiche mit kurzen Taktzeiten regeln inzwischen Tarifverträge kurze zusätzliche Erholungszeiten, die produktivitätssteigernd sind und daher als Arbeitszeit gelten. Dass auch bei anderen konzentrationsintensiven Tätigkeiten Kurzpausen die Produktivität fördern, zeigt eine Studie in der Chirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover (2011): Bei Operateuren, die alle 25 Minuten jeweils fünf Minuten pausierten, sank die Fehlerquote gegenüber der Vergleichsgruppe um zwei Drittel! Der positive Zusammenhang von Bewegungspausen und Kognition ist durch mehrere wissenschaftliche Studien bei Kindern, Senioren und Büroarbeitern belegt: Vor allem häufige und vielfältige Bewegungen erzielen den größten Zuwachs für Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit.
„Abschalten“ und bewegen
Eigentlich braucht es nur den gesunden Menschenverstand und ein bisschen Fantasie, um wieder mehr Bewegung und Abwechslung in die Büroarbeit zu integrieren: Neue Sitzkonzepte sorgen für vielfältige Bewegungen, und der Weg zum Zentraldrucker, Besprechungen im Stehen, Treppen- statt Aufzugsnutzung sowie häufige Raumwechsel fördern Bewegung und Austausch.
Gesundheitswissenschaftler wie Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln sehen ein besorgniserregendes Auseinanderdriften zwischen den technologischen Möglichkeiten und den biologischen Notwendigkeiten des (Arbeits-)Lebens. Den digitalen Wandel verantwortlich zu gestalten, wird damit zu einer zentralen Führungsaufgabe. Insbesondere Führungskräfte sollten insofern öfter mal selbst „abschalten“ und bewegte Pausen machen.
Burkhard Remmers, |