Der Arbeitsraumexperte Steelcase hat vier makroökonomische Veränderungen identifiziert, die die Arbeitswelt heute und in Zukunft prägen werden. Einige Veränderungen haben sich bereits in den vergangenen Jahren angebahnt, während andere scheinbar plötzlich auftraten.

Abendarbeit: Laut Microsoft-Experten stieg die Zahl der abends über Microsoft Teams versendeten Chats im Durchschnitt um 42 Prozent. Abbildung: Innovatedcaptures, Depositphotos
Steelcase WorkSpace Futures untersucht regelmäßig, mit welchen Herausforderungen globale Führungskräfte konfrontiert sind und wie sich ihre Arbeitswelt entwickelt. Dazu werden Entscheidungsträger aus verschiedenen Branchen, Städten und Unternehmensgrößen befragt, um ein umfassendes Bild der Zukunft der Arbeit zu erhalten. In ihrem jüngsten Bericht, der im Dezember 2024 veröffentlicht wurde, heben die Steelcase-Experten die Auswirkungen aktueller Umbrüche auf das Verhalten der Menschen hervor. Besonders auffällig seien die Dimension und das Tempo des Wandels.
#1 Arbeiten am Bildschirm
Bildschirmgestützte Interaktionen verdrängen persönliche Gespräche. Selbst im Büro ziehen Mitarbeitende Meetings am Bildschirm einer Besprechung im Konferenzraum vor. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich die Büronutzung und Beziehungen zum Arbeitsplatz grundlegend verändert. Menschen verbringen heute mehr Zeit mit virtueller Zusammenarbeit als mit persönlichen Treffen. Nur 25 Prozent der Führungskräfte sind mit der Anwesenheitsrate ihrer Mitarbeitenden im Unternehmen zufrieden. Immer mehr fordern die Rückkehr ins Büro. Laut dem Steelcase-Bericht stieg die Zahl der Führungskräfte, die sich für eine Anwesenheitspflicht aussprach, um 92 Prozent.
Zusätzlich verweisen die Steelcase-Experten auf Wissenschaftler von Microsoft. Diese entdeckten ein neues Arbeitsmuster, das sie „Triple Peak Day“ tauften: Neben den üblichen Leistungshöchstzeiten vor und nach der Mittagspause zeigt sich eine dritte Spitze am Abend, kurz vor dem Schlafengehen. Demnach würden heutzutage im Durchschnitt 42 Prozent mehr Chats abends per Microsoft Teams gesendet. Laut dem Steelcase-Bericht ist zudem die Aufmerksamkeitsspanne in den letzten zwei Jahrzehnten um mehr als 30 Prozent gesunken – auf 47 Sekunden. Bereits vor zehn Jahren wurden Gespräche als schlimmster Störfaktor im Büro genannt, was sich nun durch virtuelle Meetings in offenen Büroumgebungen verschärft.
#2 Nachhaltiges Denken
Im Jahr 2023 verdoppelte sich die Zahl der Unternehmen, die sich zu Nachhaltigkeitszielen verpflichtet haben. Aufgabe des Arbeitsortes ist es, die Menschen zusammenzubringen, um zu lernen, sich weiterzubilden, Prioritäten abzustimmen und Innovationen voranzutreiben. Dies erfordert nachhaltiges Design. Es gibt deutliche Signale dafür, dass Nachhaltigkeit für Unternehmen künftig noch mehr an Bedeutung gewinnen wird. Die Zahl der Unternehmen, die sich wissenschaftlich gestützte CO2-Reduktionsziele setzen, stieg um 102 Prozent. Diese strategische Entscheidung führt zur Entstehung neuer Arbeitsplätze und erfordert, dass die bestehende Belegschaft sich weiter qualifiziert.
Führungskräfte müssen folglich das Lernangebot erweitern und alle Unternehmensbereiche einbeziehen, um diese Ziele zu erreichen. Ihr Schwerpunkt ist die Ausbildung einer Kultur, die das Wissen der Nachhaltigkeitsteams nutzt und alle Mitarbeitenden involviert, um das kollektive Handeln zu beschleunigen. Unternehmen mit wissenschaftlich gestützten Zielen zur CO2-Reduzierung machen inzwischen fast 40 Prozent der Weltwirtschaft aus (SBTi). Bis 2050 werden voraussichtlich 300 Millionen neue grüne, nachhaltigkeitsbezogene Arbeitsplätze entstehen.
#3 KI-Superzyklus
Getrieben von Optimismus und Zukunftsangst springen viele Beschäftigte auf den KI-Zug auf, heißt es im Bericht. Führungskräfte sind sich dessen bewusst, dass sie diese Dynamik aufgreifen müssen. Die Chance auf Innovation und Produktivitätssteigerungen bewirkt einen „Superzyklus“ – eine Phase des Wirtschaftswachstums infolge neuer Technologien. Um diesen Superzyklus optimal zu nutzen, müssen jetzt KI-gerechte Arbeitsorte geschaffen werden.
Das Gros der Beschäftigten nutzt bereits künstliche Intelligenz für die Arbeit, um Zeit zu sparen, sich besser zu konzentrieren und kreativer zu sein. Führungskräfte wissen dies, fürchten aber das rasante Tempo, mit dem Maschinen Einzug in das Arbeitsleben halten. Die Frage ist: Wie können Unternehmen jetzt KI-gerechte Arbeitsumgebungen schaffen? Künstliche Intelligenz lockt mit dem Versprechen, die Barrierefreiheit zu verbessern, die Kreativität zu steigern und dynamischere Arbeitsplätze zu schaffen. Der dadurch ausgelöste Superzyklus vollzieht sich so rasant, dass die Versuchung groß ist, abzuwarten und zu beobachten.
„KI verändert bereits jetzt die Arbeitswelt. In der Folge werden neue Umgebungen benötigt, die unterschiedliche Arbeitsweisen unterstützen“, sagt Keith Bujak, Forschungsleiter bei Steelcase WorkSpace Futures. „Das Design KI-gerechter Arbeitsplätze bietet Mitarbeitenden eine ideale Basis, um von diesem Superzyklus zu profitieren.“ Grundlage dafür ist, dass Unternehmen das veränderte Verhalten am Arbeitsplatz auf taktischer und strategischer Ebene verstehen.
In den vergangenen Jahren hat Steelcase mit seiner Händlergemeinschaft eine KI-gestützte Datenanalysemethodik entwickelt, um die Arbeitsplatzgestaltung für Kunden und Designprofis zu erleichtern und zu beschleunigen. Für das Data-Driven-Design werden Daten aus Kundenaufträgen analysiert. Insgesamt wurden fünf Millionen Anwendungsfälle ermittelt. Diese werden zusammengetragen, um Muster zu identifizieren, wie Unternehmen heute ihre Räume gestalten. Anhand dieser Daten können die Steelcase-Experten neue Trends in der Arbeitswelt frühzeitig erkennen.
Die Analyse der Steelcase-Verkaufsdaten zeigt zum Beispiel einen interessanten Trend: Unternehmen erhöhen den Zugang zu Privatsphäre im Büro sowie zu einer Stromversorgung in Räumen zum Austausch und zur Zusammenarbeit. Allerdings beklagen die Mitarbeitenden einen Mangel an Räumen, die eine effektive virtuelle Zusammenarbeit ermöglichen, das heißt Räume, die mit benutzerfreundlicher Technik eine reibungslose Kommunikation zwischen den anwesenden und externen Teilnehmenden ermöglichen.

Der Steelcase-Bericht zeigt, dass bildschirmgestützte Interaktionen zunehmend persönliche Gespräche ersetzen. Abbildung: Steelcase
#4 Wohlbefinden
Psychische Erkrankungen sind weltweit auf dem Vormarsch. Für Unternehmen sind sie gravierender als körperliche Erkrankungen. Die rapide Zunahme von Angststörungen, Depressionen, Burn-out und Einsamkeit, insbesondere bei der jüngeren Generation, hat Einfluss darauf, wie die Voraussetzungen für gute Arbeitsergebnisse gestaltet werden. Beruflicher Stress kann einerseits die genannten Probleme auslösen, aber Arbeit und Arbeitsort können zugleich einen Teil der Lösung darstellen.
Die Steelcase-Forschungsergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Mitarbeitenden das Büro für eine Zusammenarbeit, also für Co-Creation, Ideenfindung sowie Besprechungen, bevorzugen, die sowohl zum Informationsaustausch als auch der Entscheidungsfindung dient. Wenn die Mitarbeitenden jedoch zur Zusammenarbeit ihren Schreibtisch nicht verlassen, entgehen ihnen und dem Unternehmen die Vorteile, die sich aus dem persönlichen Miteinander ergeben.
Ein Mangel an sozialen Kontakten kann zu Ängsten, Depressionen und Einsamkeit führen, resümieren die Steelcase-Experten. Die Zunahme an bildschirmgestützter Interaktion ist ein Schlüsselfaktor, den Designer zukünftig bei der Gestaltung von Büros berücksichtigen müssen. Es ist eine echte Herausforderung, eine Atmosphäre von Energie, Miteinander und Produktivität zu schaffen, wenn die Mitarbeitenden nicht vor Ort anwesend und stattdessen permanent vor dem Bildschirm sind.