Spätestens seit der Corona-Pandemie sind Online-Vorträge stark gefragt. Im Interview spricht die Vortragsrednerin Barbara Liebermeister über Chancen und Herausforderungen dieser Entwicklung und erklärt, warum es bei Online-Vorträgen andere Dinge zu beachten gilt als bei Präsenz-Vorträgen.
OFFICE ROXX: Frau Liebermeister, wie läuft zurzeit Ihr Speaker-Business?
Barbara Liebermeister: Sehr gut!
Das ist überraschend. Man hört doch aktuell vielerorts die Klage, das Speaker-Geschäft läge am Boden.
Bei uns, also dem Institut für Führung im digitalen Zeitalter (IFIDZ) und mir, nicht. Nach einer kurzzeitigen Delle nach dem ersten Lockdown stieg bei uns die Nachfrage spätestens ab Herbst 2020 kontinuierlich verglichen mit dem Vorjahr, also der Vor-Corona-Zeit. Und die ersten drei Monate in diesem Jahr sind die besten in unserer Firmengeschichte.
Woran liegt das? Seit Monaten finden doch kaum noch Präsenzveranstaltungen statt.
Stimmt, umso stärker werden aber Online-Formate nachgefragt.
Die haben doch auch andere Vortragsredner im Programm und trotzdem klagen viele.
Ich vermute, ein Plus von mir ist: Mein IFIDZ ist seit Jahren in der digitalen Welt zu Hause. Zudem schreiben mir meine Kunden aufgrund meiner Bücher wie „Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch – Führung entscheidet“, unserer Studien und Online-Aktivitäten eine gewisse Digitalkompetenz zu.
Sie platzierten also nicht zu Beginn der Pandemie auf Ihren Webseiten einfach noch den Hinweis „Nun auch online“?
Das war nicht nötig, weil meine Kunden wussten, dass das Thema „Führen und Kommunizieren im digitalen Zeitalter“ mein Kernthema und das Halten von Online-Vorträgen für mich geübte Praxis ist. Eine gewisse Unsicherheit verspürte ich nur bei Neukunden, die noch keine Vorerfahrung mit dem Durchführen von Online-Veranstaltungen sowie dem Engagieren von Online-Rednern hatten.
Braucht man denn wirklich so viel Erfahrung für das Halten professioneller Online-Vorträge?
Aus meiner Warte: ja. Weil das Setting ein ganz anderes als bei Präsenzveranstaltungen ist.
Was ist für Sie ein absolutes No-Go bei Online-Vorträgen?
Zum Beispiel, dass der Redner bei einem Online-Vortrag die ganze Zeit wie festgenagelt vor dem Monitor sitzt und referiert – faktisch wie ein Trainer, der einen fachlichen Input gibt.
Was ist die Alternative?
Die Kamera so zu platzieren, dass der Vortragende auch stehen kann. Denn wenn der Redner sitzt, reduziert sich automatisch seine Mimik und Gestik. Auch seine Stimme verändert sich. Außerdem rate ich unseren Kunden bei Vorträgen für ein größeres Publikum, die zudem einen stark motivierenden Charakter haben sollen: Lasst den Vortrag in einem professionellen Studio mit mehreren Kameras aufzeichnen.
Warum?
In einem Studio kann der Redner stehen und sich frei bewegen. Zudem können ihn die Kameras aus mehreren Perspektiven einfangen. Dann hat der Vortrag einen ganz anderen Drive. Außerdem kann der Mitschnitt, wenn der Vortrag in einem Studio aufgezeichnet wurde, bei Bedarf nachbearbeitet werden.
Um die eventuellen Versprecher und vielen „Ähs“ zu entfernen?
Das ist bei professionellen Sprechern selten nötig. Es geht eher darum, dass bei Online-Vorträgen die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörer geringer ist als bei Präsenzvorträgen.
Die Vorträge sollten also kürzer sein?
Ja, darum muss der Vortragende sich noch stärker auf die Kernbotschaften fokussieren und auf den Punkt kommen. Deshalb empfiehlt es sich zuweilen, den Vortrag nach der Aufzeichnung nochmal zu schneiden – ähnlich wie einen Rundfunk- oder Fernsehbeitrag.
Heißt das, bei den Vorträgen, die die Mitarbeiter Ihrer Kunden von Ihnen hören, handelt es sich zuweilen um eine Konserve?
Ich würde eher sagen, um eine im Vorfeld aufgenommene professionelle Rede, an die sich dann eine Live-Frage-Antwort-Runde anschließt.
Dann haben Sie jetzt ja ein einfaches und bequemes Leben.
Wieso?
Weil Sie Ihren Auftraggebern nur die Aufnahme mailen brauchen – sieht man von der Frage-Antwort-Runde ab.
Das geht nicht, denn der Vortrag muss die Mitarbeiter ja persönlich ansprechen. Das setzt voraus, dass in ihm die Zuhörer oder einzelne Bereiche des Unternehmens auch immer wieder direkt angesprochen werden; außerdem, dass in ihn auch den Zuhörern bekannte Beispiele aus ihrem Lebens- oder Arbeitsalltag einfließen. Das ist bei Online-Vorträgen, wenn die Zuhörer zum Beispiel zu Hause im Homeoffice sitzen, noch wichtiger als bei Präsenzvorträgen. Sonst geht von ihnen nicht die gewünschte Wirkung aus. Deshalb müssen die Vorträge stets neu aufgezeichnet werden. Das erfordert meist mehr Zeit als das Halten eines Präsenz-Vortrags, in dem man situativ das Gesagte an den jeweiligen Bedarf anpassen kann.
Die Vorträge müssen also maßgeschneidert sein?
Ja, auch weil meine Vorträge immer häufiger in komplexe digitale oder hybride Veranstaltungsformate eingebunden sind, die eine spezielle Schwerpunktsetzung und Bearbeitung erfordern.
Inwiefern?
Vergangene Woche führte ein Kunde von mir zum Beispiel eine eintägige, von mir mitkonzipierte Weiterbildung zum Thema „Die Führungskraft als Influencer“ durch. Im Verlauf des Tages wurden den Teilnehmern insgesamt drei 15-minütige Vorträge von mir zu einem Aspekt dieses Themas vorgespielt. Danach folgte stets live eine Frage-Antwort-Runde mit mir, bevor die Teilnehmer in digitalen „Breakout-Rooms“ eine ihnen gestellte Aufgabe bearbeiteten. Die Ergebnisse ihrer Einzel- oder Gruppenarbeit besprachen die Teilnehmer anschließend online mit ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, bevor der nächste Online-Vortrag folgte. Und den Tagesabschluss bildete eine vom CEO des Unternehmens moderierte digitale Plenumsveranstaltung, in der auch meine Meinung gefragt war.
Haben Sie ein weiteres Beispiel?
Ja, ein Dienstleistungsunternehmen mit einem bundesweiten Filialnetz führte im Januar eine vierwöchige Weiterbildung „Die fünf größten Herausforderungen beim virtuellen Führen“ mit mir durch. Das heißt, jede Woche am Freitagnachmittag trafen sich die Teilnehmer, die aktuell weitgehend im Homeoffice arbeiten, zunächst virtuell, um einem 15-minütigen Vortrag von mir zu lauschen. Danach bearbeiteten die Mitarbeiter jeder Filiale eine Aufgabe und diskutierten die Ergebnisse anschließend im Team. Anschließen fand online eine von mir moderierte Plenumsveranstaltung statt, in der die Arbeitsergebnisse zusammengetragen und Lernziele für die kommende Woche vereinbart wurden. Und unter der Woche erhielten die Mitarbeiter bzw. Teams dann stets vertiefende und motivierende Learning-Nuggets zum Bearbeiten von mir. Solchen Online-Veranstaltungsformaten bzw. Blended-Learning-Formaten gehört meines Erachtens die Zukunft.
Warum?
Weil sie sich oft leichter in den Arbeitsalltag der Unternehmen integrieren lassen, als Weiterbildung, für die die Mitarbeiter zunächst in ein mehr oder weniger weit entferntes Hotel fahren und dort eventuell übernachten müssen.
Das klingt fast so, als würden Sie Präsenzveranstaltungen zu Weiterbildungs- oder Kundenbindungszwecken für ein Auslaufmodell halten?
Keinesfalls, aber die Unternehmen werden sie sporadischer, das heißt, anlassbezogener durchführen. Insbesondere, wenn es um den Beziehungsaufbau in einem Team oder zu Kunden geht oder wenn es um das Verändern persönlicher Denk- und Verhaltensmuster geht, ist und bleibt die Begegnung von Mensch zu Mensch sehr wichtig. Auch ich als Rednerin, die gern auf der Bühne steht, freue mich auf jede Präsenzveranstaltung, weil dort eine viel intimere Interaktion mit den Zuhörern bzw. Teilnehmern stattfindet. Diese persönliche Kommunikation habe ich gerade in den letzten Monaten sehr zu schätzen gelernt bei allen Vorzügen, die auch die Online-Kommunikation und -Interaktion hat.