Bald ist es schon ein Jahr her, dass sich viele dauerhaft im Homeoffice einrichten mussten. Erst wurde die Heimarbeit bejubelt, heute wird sie zunehmend kritisiert. Robert Nehring zeichnet diese Entwicklung nach. Im zweiten Teil des Beitrags formuliert er Erfolgsfaktoren.
Seit das Coronavirus begonnen hat, unsere Welt zu verändern, ist bereits mehr als ein Jahr vergangen. Die Pandemie hat insbesondere die Bürowelt verändert. Hier wurden nicht nur Trends beschleunigt. Das massenhaft praktizierte Homeoffice stellt eine historische Zäsur dar. Zeit für einen Rückblick.
Homeoffice-Phase eins: Begeisterung trotz Hindernissen
Mitte März letzten Jahres setzte aufgrund der Corona-Pandemie schlagartig eine Flucht ins Homeoffice ein. Für viele waren zunächst einige Herausforderungen zu meistern. Es fehlte an Notebooks, an Datensicherheit, an Cloudanwendungen oder an VPN-Tunneln zum Firmenserver. Mancher war zu Hause nicht in dem Maße allein, dass er ungestört arbeiten konnte. Und Platz für ein Heimbüro mussten sich einige auch erst einmal schaffen.
Dennoch – das sagen fast alle Erhebungen – kam man insgesamt besser zurecht als angenommen. Bestimmend waren das Gefühl, daheim besser vor dem Virus geschützt zu sein, sowie die Freude über das wegfallende Pendeln und darüber, Arbeitszeit und -tempo weitgehend selbst bestimmen zu können. „Seht ihr, wie toll das geht!, riefen die digitalen Nomaden und Freelancer, für die Homeoffice bzw. mobile Arbeit auch schon zuvor der Normalzustand war. „Und ihr hattet immer Bedenken!“ – sagten dann auch viele Arbeitnehmer zu ihren Arbeitgebern, oft allerdings mehr so in sich hinein. Studien zeigten, dass nun sogar mehr Überstunden geleistet wurden als vorher, auch wenn unklar bleibt, ob auch mehr und nicht vielleicht nur länger gearbeitet wurde.
Zwar machten bereits Beobachtungen die Runde wie zum Beispiel, dass der Alkoholkonsum, das Körpergewicht und die Haarlänge zunahmen sowie die Qualität der Ernährung und Kleidung sowie die Häufigkeit des Schminkens abnahmen. Im Ganzen aber, das zeigten viele Umfragen, verschlechterten sich zu Hause weder Zufriedenheit noch Produktivität. Einige Studien zeigten sogar, dass sich diese verbesserten.
Im April 2020 ließ der Büroeinrichtungsverband IBA über 1.000 Bürobeschäftigte von Forsa befragen. Ergebnis: Zwar vermissten 80 Prozent die persönliche Zusammenarbeit mit ihren Kollegen und jeweils fast 50 Prozent beklagten das Fehlen eines guten Bürostuhls, ausreichend Platz und gute IT. Dennoch wünschten sich 74 Prozent, als Schutzmaßnahme auch weiterhin zu Hause arbeiten zu können.
Während das zweite Quartal für viele Unternehmen wirtschaftlich verheerend war, bekam das Homeoffice in dieser seiner ersten pandemiebedingten Phase im Schnitt gute Noten.
Homeoffice-Phase zwei: Zunehmende Differenzierung
In Phase zwei, dem dritten Quartal dieses Jahres, wurde bereits deutlicher differenziert: Einige kommen gut zurecht mit der Heimarbeit. Andere eher nicht – vor allem die mit wenig Wohnraum und mit zu betreuenden Angehörigen. Manche gelangten sogar an die Schwelle zum Wahnsinn. Neben ihren 40 Stunden pro Woche mussten sie am Küchentisch auch noch zwei Erzieher und/oder zwölf Lehrer ersetzen.
In diesem Zeitraum war schon häufiger von Homeoffice-Blues und Zoommüdigkeit zu lesen. Einige drohten auch bereits unter der Welle von Webinaren zu ertrinken, die plötzlich über viele hereinbrach. Aber Sonne, Urlaub, niedrige Infektionszahlen und eine schrittweise Rückkehr ins Büro mit mehr Hygiene und Abstand überstrahlten solche Erfahrungen.
Homeoffice-Phase drei: Auf dem Boden der Tatsachen
Dann folgte das vierte Quartal und mit ihm eine große Ernüchterung. Die Zahl der Infizierten stieg im Oktober wieder steil an. Ab Anfang November erneute Beschränkungen, ab Mitte Dezember der zweite harte Lockdown. Das Virus mutierte und wurde noch ansteckender. Veranstaltungen fanden nicht mehr statt und Weihnachten nur in ganz engem Kreis.
Das Bundesarbeitsministerium musste seinen – obwohl schon fast bis zur Unkenntlichkeit verwässerten – Gesetzentwurf für ein Recht auf Homeoffice resp. mobile Arbeit zurücknehmen. Die Deutsche Bank konterte mit der Empfehlung einer Steuer von fünf Prozent vom Brutto, die Home-Worker zahlen sollten. Dann sprang immerhin ein Steuerfreibetrag für diese raus.
Trotz der Verkündung hinreichend positiver Testergebnisse bei Impfstoffen hörte man immer häufiger von Burnout, Schlafstörungen, Motivationshängern, Isolationserscheinungen, schwindender Identifikation mit dem Unternehmen und kompliziertem Teamwork.
Außerdem verbreitete sich in der dritten Homeoffice-Phase eine wichtige Erkenntnis nahezu epidemisch: Eine Wohnung ist kein Büro! Dennoch laufen noch heute viele Tipps für erfolgreiche Heimarbeit auf den Versuch hinaus, die privaten vier Wände zu einem Office zu machen. Aber zu Hause gibt es nun mal viel Ablenkungspotenzial und es ist zugleich unser Ort für das Abschalten von der Arbeit.
In dieser Homeoffice-Phase wurden auch zunehmend Studien publik, denen zufolge zum Beispiel die Produktivität daheim konstant sank oder im Ganzen bereits deutlich unter der vor Corona lag.
Eine Studie im Auftrag der Unternehmensberatung EY zeigte, dass im Oktober 2020 nur noch 14 Prozent der befragten Büroangestellten komplett daheim arbeiten wollten. Knapp ein Drittel wollte das nie oder nur in Ausnahmefällen tun.
Homeoffice-Phase vier: Erhebliche Entzugserscheinungen
Erst im Januar 2021 wurde hierzulande begonnen, in größerer Zahl zu impfen. Bis die meisten Office-Worker dran sein werden, kann es aber noch bis 2022 dauern. Die erste Homeoffice-Euphorie scheint definitiv vorbei zu sein. Schmetterlinge hat kaum noch jemand im Bauch. Die Sehnsucht nach den Kollegen, dem Small Talk in der Büropause, nach optimalen Arbeitsbedingungen sowie einer Grenze zwischen Arbeit und Freizeit ist deutlich gestiegen, und die negativen Folgen werden öfter thematisiert.
Am 27. Januar 2021 trat die „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung“ (Corona-ArbSchV) in Kraft, befristet zunächst bis 15. März. Sie verpflichtet Arbeitgeber, Arbeitnehmern auf deren Wunsch Heimarbeit zu ermöglichen, sofern nichts zwingend dagegenspricht.
Die Inzidenzzahlen sanken, aber auch die Messlatte wurde gesenkt und vor neuen Mutationen sowie weiteren Wellen gewarnt. Viele verloren Hoffnung und Geduld. Erst kürzlich wurden Studien veröffentlicht, denen zufolge bereits eine große Zahl der Kinder und Jugendlichen aufgrund geschlossener Kitas und Schulen Verhaltensauffälligkeiten zeigen.
Viele sitzen mittlerweile in mehr Meetings als je zuvor, nur eben per Zoom & Co. Videomeetings sind jedoch deutlich anstrengender. Technische Probleme gehören zum Alltag. Die Zündschnur wird kürzer. Das Misstrauen über die daheim wirklich erbrachte Leistung wächst untereinander.
Die Entwicklung in Zahlen
Trotz oder gerade wegen der unzähligen Studien zum Thema Homeoffice ist es schwer zu sagen, wie viele Office-Worker wann und in welchem Umfang wirklich pandemiebedingt zu Homeoffice-Exilanten geworden sind. Die betreffenden Umfrageergebnisse gehen oft weit auseinander.
Laut Statistischem Bundesamt und Eurostat waren 2019 zwölf Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland zumindest gelegentlich zu Hause tätig. Zu Beginn der Pandemie im März 2020 arbeiteten der Corona-Studie der Uni Mannheim zufolge insgesamt gut 25 Prozent teilweise oder häufig daheim. Mitte Mai waren ihr zufolge elf Prozent der Beschäftigten ganz und rund 20 Prozent teilweise im Homeoffice tätig, zusammen also 31 Prozent. Laut einer gemeinsamen Studie von YouGov und Statista ist die Zahl der Home-Worker in Deutschland im Juni dann bereits auf 16 Prozent zurückgegangen.
Im Oktober und November 2020 sollen laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom 25 Prozent ausschließlich und weitere 20 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland teilweise im Homeoffice gearbeitet haben – zusammengenommen 45 Prozent oder 18,8 Millionen. Bitkom-Umfragen kommen allerdings des Öfteren zu abweichenden Ergebnissen. Eine andere Umfrage des Verbands ergab zum Beispiel bereits für den Zeitraum vom 11. bis 15. März 2020 einen Homeoffice-Anteil von 49 Prozent bei den Beschäftigten in Deutschland. Laut Büroeinrichtungsverband IBA hat es in Deutschland 2020 übrigens etwa 32 Millionen Bürobeschäftigte gegeben. Das seien 71 Prozent aller Beschäftigten.
Zuletzt wurden in den Medien jedoch oft die Zahlen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zitiert, der zufolge im April 2020 etwa 27 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland im Homeoffice arbeiteten, im Juni 16 Prozent, im November nur noch etwa 14 Prozent, im Januar 2021 aber bereits wieder 24 Prozent.
Unklar bleibt bei solchen Umfragen nicht selten, wie oft, wie lange und von wem genau das Homeoffice genutzt wird. Im September 2020 haben wir zum Beispiel die Leser von OFFICE ROXX dazu befragt, ausnahmslos Bürobeschäftigte. Die Angaben der 812 Teilnehmer zeigten, dass Office-Worker im April 2020 durchschnittlich 58 Prozent, im Juni 50 Prozent und im September 42 Prozent ihrer Arbeit zu Hause verrichteten.
Aber Schluss mit dem Zahlensalat. Sicher scheint: Der Homeoffice-Anteil an der Büroarbeit ist ab März drastisch gestiegen, nahm dann ab Mai kontinuierlich ab und mit dem zweiten Lockdown wieder leicht zu.
Wie geht es weiter?
Trotz aller Nachteile, die eine dauerhafte Homeoffice-Nutzung haben kann, hat sich die Büroarbeit zu Hause bei vielen bewährt – die IT-Infrastruktur steht und das Modell ist erprobt. Sicherlich wird deshalb nach der Pandemie mehr im Homeoffice gearbeitet werden als vor ihr. Annahmen von im Schnitt einem Drittel oder gar der Hälfte der Arbeitszeit halte ich allerdings zum jetzigen Zeitpunkt für übertrieben. Denn mit zunehmendem Homeoffice wächst bei vielen die Sehnsucht nach dem Zusammen im gemeinsamen Firmenbüro und auch die Defizite kommen immer mehr zum Tragen.
Das Homeoffice hat auch längst begonnen, die Gesellschaft zu spalten. In Bürobeschäftigte auf der einen sowie Produktion und Dienstleistung auf der anderen Seite. Die einen können in der Regel im Homeoffice arbeiten, die anderen nicht. Und dann gibt es unter den Office-Workern diejenigen, bei denen die Heimarbeit funktioniert (Haus mit eigenem Arbeitszimmer), und die, bei denen das nicht der Fall ist (enges Stadtapartment mit Kindern).
Vielleicht pendelt sich die Homeoffice-Nutzung in den nächsten Jahren im Schnitt bei einem Fünftel der Arbeitszeit ein. Der Home-Office-Freitag hatte sich schon vor der Pandemie bei einigen etabliert. Vielleicht wird es auch mal ein Viertel sein, wenn man allgemein von mobiler Arbeit spricht, also Third Places wie Coworking Spaces mit hinzunimmt.
Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft IW offenbarte im Februar 2021 zum Beispiel, dass etwa zwei Drittel der Unternehmen hierzulande keineswegs vorhaben, ihren Beschäftigten nach der Coronakrise mehr Homeoffice zu ermöglichen als davor. Und nur knapp über sechs Prozent der 1.200 befragten Firmen wollen in den kommenden zwölf Monaten ihre Flächen reduzieren.
Schon Monate zuvor erteilten Experten wie Professor Dr. Günter Vornholz der populären Prognose des sinkenden Büroflächenbedarfs eine Absage: Dieser werde aufgrund von mehr Homeoffice nach der Pandemie kaum unter Vorkrisenniveau fallen, sondern wenn überhaupt, dann durch einige Firmenpleiten.
Viele Unternehmen – vor allem die, die es sich wie SAP oder Twitter leisten konnten – haben ihren Bürobeschäftigten relativ früh gestattet, unbegrenzt zu Hause zu arbeiten. Es gab aber auch Stimmen, die den dauerhaften Homeoffice-Betrieb kritisch sehen. Adidas-Chef Kasper Rorsted zum Beispiel hielt gar nichts von diesem. Arbeiten sei eine „soziale Sache“ und bei Adidas „Teamsport“. Zu Hause entstehe aber keine Gemeinschaft. Er frage sich, ob „dieses Modell menschlich sinnvoll“ sei und die Konsequenzen vielleicht „völlig unterschätzt“ werden.
Schon im Mai 2020 hatte Microsoft-Chef Satya Nadella vor dauerhafte Heimarbeit gewarnt. Ebenfalls bereits im Mai hatten Google und Apple auf eine baldige Rückkehr an den Standort gedrungen.
Und übrigens hatte auch die damalige Yahoo-Chefin Marissa Mayer durchaus Gründe dafür, dass sie 2013 das Projekt Homeoffice für ihre 14.000 Mitarbeiter abbrach, was schon damals überaus unpopulär war. Einige Heimarbeiter arbeiteten nur noch für die eigene Firma und viele andere nicht mehr viel, wie ein Blick auf die Zugriffsstatistik des Firmennetzwerks zeigte. Auch IBM und der Versicherer Aetna sind einst mit ihren groß angelegten Homeoffice-Konzepten gescheitert.
Also kurz: Meines Erachtens werden sich Headlines wie „Das Ende des Büros“ oder „Tod der Bürotürme“ nicht bewahrheiten. Büroflächen werden nach der Pandemie wahrscheinlich leider nicht in ganz großem Stil zu dringend benötigten Wohnflächen umgewidmet. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Arbeitsplätze in vielen stark verdichteten Büros künftig entflochten werden müssen.
Nach diesem Blick auf die Entwicklung und die Zukunft des Homeoffices geht es im zweiten Teil dieses Beitrages um nötige Anschaffungen und Erfolgsfaktoren für eine gelingende Heimarbeit.