Teil 1: Seine Entstehung
Auch wenn heute manch einer sein Smartphone für ein komplettes Büro hält, ohne Tisch ist gute Büroarbeit nicht vorstellbar. Der Historiker und Buchautor Hajo Eickhoff erzählt die Kulturgeschichte dieses Möbels.
Ohne den Tisch gäbe es keine moderne Welt. Wie sollte der Mensch arbeiten und wie speisen? Wie sähen Schulen und Cafés aus? Und gäbe es Flugzeuge und Büros? Wie hätte sich der Mensch diszipliniert und welche Haltung nähme er vor dem Computer – den es gar nicht geben würde – ein?
Tische sind Möbel. Ihr Wesen ist eine waagerechte, durch ein Gestell vom Boden abgehobene Ebene. Der Mensch hat vier Möbel erfunden: Tisch, Schrank, Stuhl und Bett. Möbel sind Variationen der Horizontalen, die sich durch ihre Größe und ihre Distanz zum Erdboden unterscheiden. Die kultivierende Kraft der Möbel liegt in ihrer Wirkung auf Muskeln und Sinnesorgane, die das Empfinden, Denken und Verhalten prägen. Etappen vom Erdboden zum heutigen Tisch sind Fell, Teppich, Tablett und niederer Tisch.
Die Geburt des Tisches
Zu Jägern und Sammlern passen keine Tische. Da sie ständig zu Fuß unterwegs sind, beginnt die Geschichte des Tisches erst mit der Sesshaftwerdung und der Erfindung des Hauses. Entstanden ist der Tisch zusammen mit dem Stuhl aus dem Opferstein, auf dem Menschen zum Zweck der Besänftigung der Götter getötet wurden. Mit der Idee, anstelle eines Menschen ein Tier zu töten, zerfällt der Opferstein in die beiden Elemente Altar (Opfertisch) und Thron (Opferstuhl). Der Tisch wird die Basis für das Tier, der Thron das Gestell für einen Menschen, der zwar verschont und mit Macht ausgestattet, aber gewaltsam gesetzt wird. Im Verlauf ihrer Geschichte haben sich Altar und Thron unabhängig voneinander entwickelt, doch um 1500 wurden sie in Europa zu Tisch und Stuhl umgestaltet und zu einer kompakten Disziplinierungs-Einheit verbunden.
Das griechische Theater
Im Alltagsleben der Antike spielen Tische eine untergeordnete Rolle. Sie sind lediglich Objekte für besondere Anlässe. Das Wort Tisch leitet sich vom griechischen Wort diskos ab, weil Tische bei den Griechen rund wie eine Wurfscheibe waren.
Das griechische Theater ist ein Fest zu Ehren des Gottes Dionysos. Im Zentrum der Bühne steht der Dionysos-Altar – die Thymele. Auf diesen setzt sich ein Schauspieler und bietet sich als Opfer dar. In der Thymele sind Tisch, Stuhl und Altar vereint.
Der Tisch der Christen
Die Christen setzen den Opferbrauch fort. Beim liegenden Speisen an niederen Tischen nutzen sie die Zusammenkünfte als Dankesfest (Eucharistie) und als Fest der Liebe (Agape). Immer wieder wird das Speisen durch das Vorlesen heiliger Texte und das Segnen der Speisen durch die Ältesten unterbrochen, die sich nach und nach von den Jüngeren und den Frauen absetzen, bis sie die Zusammenkünfte auf den Sonntagmorgen verlegen und Agape und Eucharistie getrennt zelebrieren. Damit heben sie die Einheit des gemeinsamen abendlichen Speisens auf, wenn auch der Name Abendmahl für den morgendlichen Gottesdienst beibehalten wird. Die Distanz von Klerus und Laien offenbart sich in den frühen Kirchen durch die enorme Länge des Mittelschiffes, das einen Prozessionsweg hin zum Tisch eröffnet. Der Opfertisch überbrückt die extreme Spanne zwischen Gemeinde und Klerus und macht den Tisch (Altar) zur kultischen Mitte der Christenheit.
Auch Mythen und das königliche Hofleben setzen die Funktion des Tisches als Basis für die Opfergaben fort. In der Artussage versammelt der runde Tisch die Ritter, bei Festtagen am Hof versammeln rechteckige Tische die Adligen. Der König sitzt am Kopfende oder in der Mitte der Längsseite. Die Ränge nahmen zu beiden Seiten ab. Die Instanz, die für einen geordneten Ablauf an der vornehmen Speisetafel sorgt – das Zuweisen der Plätze und das Kredenzen der Speisen und Getränke – ist der Truchsess, dessen Arbeit ein Höchstmaß an Einfühlung erfordert, da die Plätze dem Rang der Personen zugeordnet sind.
In mittelalterlichen Häusern gibt es keine Tische. Nur die aus zwei Holzböcken und einer Tür bestehende Tafel, die rasch aufgestellt und nach dem Speisen wieder aufgehoben wird.