Ein Gespräch über die Hand- und Unterschrift
Stirbt das Schreiben von Hand aus? Was sagt eine Unterschrift über mich aus? Diese und weitere Fragen stellten wir Susanne Dorendorff vom Europäischen Institut für Handschrift und Philographie.
OFFICE ROXX: Frau Dorendorff, Sie sind Philographin. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Susanne Dorendorff: Meine Profession ist die interkulturelle Bewegungstechnik Schreiben. Es liegt in der Natur der Sache, dass Handschrift eine eigenständige Kategorie ist, die weder zur Typo- noch zur Kalligrafie gehört. Schreiben bringt die exklusivste Schriftart der Welt hervor: die Handschrift. Die Schrift der Hand ist das authentisch-spontane Ergebnis des Denkprozesses. Sie ist die grafische Lebensspur des Menschen. Handschrift ist die einzige Schrift in Bewegung. Der Fachbegriff für Handschrift lautet „Philographie“ (Philo: die Liebe zum ... – graphie: schreiben) – davon abgeleitet ist meine Berufsbezeichnung Philographin die logische Folge.
Welche Rolle spielen der Akt des Unterschreibens und die Unterschrift im Geschäftsleben?
Die Unterschrift hat hohes, suggestives Machtpotenzial, das Souveränität und Klasse demonstrieren kann. Wer sich jedoch mit seiner Unterschrift nicht hundertprozentig identifiziert, empfindet ein Persönlichkeitsdefizit. Dieses schlägt sich als „verunsicherte Schreibtechnik“ nieder. Entsprechend schwach fällt die Wirkung der Unterschrift aus.
Was sagt eine Unterschrift über eine Person aus? Gibt es die perfekte Unterschrift oder sollte sie einfach zum jeweiligen Charakter passen?
So einfach ist es nicht. Denn wer beurteilt, ob eine Unterschrift „passt“ oder nicht? Im Gegensatz zur sinojapanischen Kultur wird bei uns in der Schule nicht gelehrt, wie man von Anfang an eine selbstbewusste Schreibtechnik entwickeln kann. Deshalb darf es niemand wundern, dass selbst deutsche Führungskräfte verunsichert sind, wenn sie in Konferenzen Japanern, Indern und Chinesen gegenübersitzen. Deren Schreibkultur ist ja bekanntlich die anspruchsvollste der Welt. Eine Unterschrift ist dann perfekt, wenn der Schreibende sich mit ihr wohlfühlt. Je nach Naturell und beruflicher Position des Eigners sollte sie dynamisch, raumgreifend und markant sein oder eher heiter und leicht – aber immer charismatisch. Das lässt sich unter meiner Anleitung trainieren. Über den persönlichen Charakter des Menschen sagt die Handschrift definitiv nichts aus. Da kann ich alle Schreiber beruhigen.
Sie sprachen es eben an: Sie geben Nachhilfe in Sachen Unterschrift. Wer gehört zu Ihren Kunden?
Ich gebe keine Nachhilfe. Denn das würde ja bedeuten, dass meine Klienten in der Schule nicht aufgepasst hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Sie trauen sich nicht, weil es ihnen nicht erklärt wurde. Es fühlte sich niemand zuständig. Das Versagen liegt hier also eindeutig bei der Schulpolitik. Zu meinen Klienten gehören Führungskräfte aller Branchen: Politiker, Juristen, Manager, Immobilienagenten und andere Menschen, die viel schreiben. Sie erzählen mir oft, wie verletzend und diskriminierend sie es empfinden, dass ihnen ein wesentlicher Teil ihrer Persönlichkeitsentwicklung vorenthalten wurde, den sie nun nachjustieren müssen.
Von der Unter- zur Handschrift. In manchen Ländern wird bereits darüber diskutiert, in der Schule das handschriftliche Schreiben durch Tablet und Co. zu ersetzen. Was halten Sie davon?
Wer genau hinschaut, erkennt in diesen Kampagnen die kommerzielle Handschrift der Computer-Community. Natürlich sind auch Schulen gewissen wirtschaftlichen Interessen ausgeliefert. Wenn Microsoft & Co. Kindergärten und Grundschulen mit PCs ausstatten, geschieht dies ja nicht aus Nächstenliebe! Übrigens: Seit vielen Jahren wird auch auf Tablets mit der eigenen Handschrift geschrieben – und warum? Weil die Handschrift die schnellste Schreibtechnik ist.
Wird die Handschrift früher oder später aussterben oder wird sie in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung sogar wichtiger?
„Es gibt Wichtigeres, als Kindern Schreiben beizubringen!“ lautet seit 1969 die offizielle Begründung für reduzierten Deutschunterricht. Mit Digitalisierung hat das nichts zu tun. Das Herbeireden des Handschrift-Aussterbens hat andere Gründe. Es klappt aber nicht. Weil Eltern darauf bestehen, dass ihre Kinder des Schreibens mächtig sind. So ist das Schreiben – nach dem Motto: „Schreibst du schon – oder druckst du noch?“ – inzwischen zu einem Bildungs-Statussymbol mutiert.
Die Handschrift wird niemals aussterben. Denn zum schnellen Notieren mit der Hand benötigt man nur Stift und Papier. Mehr nicht. Keinen Akku, keine Steckdose und auch keine „nachwachsende“ Energie irgendwelcher Art. Selbst wenn es Computer gibt, die das „Schreib-Denken“ manipulieren können, wird sich immer die archaische Kraft intelligenter Menschen durchsetzen. Sie brachte vor 500 Jahren die schnelle Stenografie und die „Schrift der Gelehrten“ – die Schreibschrift – hervor. Sie hat das Digitalisieren nicht erfunden, um sich selbst intellektuell zu „entkernen“. Der Chip im Gehirn mag eine Idee aus Silicon Valley sein. In der Realität ist sie weltfremd.
Schreiben Männer und Frauen verschieden? Falls ja, was sagt das aus?
Die Handschriften von Jungen und Mädchen unterscheiden sich nach der Pubertät nicht mehr so voneinander, dass sie sich mit Sicherheit gendermäßig typisieren ließen.
Gehört zu einer aussagekräftigen Handschrift ein hochwertiges Schreibgerät?
Wer gern schreibt, legt Wert auf anspruchsvolle Schreibutensilien. Denn das perfekte Schreibgerät stimuliert das Selbstwertgefühl und damit den Ausdruck der Handschrift. Dies alles aber nur, wenn der Schreibende sich mit seiner Handschrift identifiziert. Das Schreibgerät allein macht keine bessere Schrift und keine charismatische Unterschrift. Darum kann die persönliche Beratung durch mich unter Umständen erfolgsentscheidend sein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Christoph Schneider.