Obwohl es sie schon recht lange gibt, gelten Coworking Spaces noch immer als neue Idee für die Büroarbeitswelt. Die breite Masse der Office-Worker kennt sie nur in der Theorie, nicht in der Praxis. Unser Coworking-Experte Tobias Kremkau rät, sich hier zu gedulden.
Mitte März war ich als Gastredner auf die diesjährige Jahreshauptversammlung von Coworking Switzerland nach Basel eingeladen. Das war eine besondere Ehre für mich, denn seit nunmehr zehn Jahren beobachte ich aufmerksam die Entwicklungen der schweizerischen Coworking-Szene, von der ich in all den Jahren sehr viel gelernt habe. Dabei kam ich auch mit Coworking-Pionieren aus unserem Nachbarland ins Gespräch, die sich enttäuscht darüber zeigten, wie oft sie noch erklären müssen, was ein Coworking Space ist, worum es beim Coworking geht und dass es auch in der Schweiz bereits Coworking Spaces gibt.
Dieser Frust kam mir vertraut vor. Auch ich habe ihn schon von Zeit zu Zeit gefühlt, aber ich konnte meine Gastgeber beruhigen. Ich erklärte ihnen, dass vor fünfzehn Jahren mit dem Berliner betahaus der erste Coworking Space Deutschlands startete und man heute, ein Jahrzehnt und ein halbes später, meinen könnte, Coworking sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Realität zeigt jedoch: Coworking ist in Deutschland immer noch ein Nischenthema – auch in Berlin, wo sämtliche Shared-Workspace-Konzepte zusammen gerade einmal etwa acht Prozent der jährlichen Büroflächenvermietungen ausmachen.
Fünfzehn Jahre sind, historisch gesehen, ein Wimpernschlag. Große Veränderungen in der Arbeitskultur erfordern Zeit – viel Zeit. Die Einführung des Coworking-Konzepts in Deutschland war zweifellos ein Meilenstein, der die Art und Weise, wie wir über Arbeit und Arbeitsorte denken, herausgefordert hat. Mit inzwischen mehr als 1.800 Coworking Spaces in Deutschland, davon weit mehr als hundert Stück allein in Berlin, aber auch hunderten Coworking Spaces in Kleinstädten und im ländlichen Raum ist jedoch bereits bewiesen, dass wir hier nicht nur einen vorübergehenden Hype sehen, sondern eine wirkliche Veränderung.
Doch die Idee, dass verschiedene Menschen in einem geteilten Raum arbeiten, vernetzen und kollaborieren, ist trotz ihres offensichtlichen Nutzens und ihrer Attraktivität für viele immer noch eine futuristische Vision. Die Corona-Pandemie hat als unerwarteter Katalysator für die Coworking-Bewegung gewirkt, denn plötzlich waren flexible Arbeitsmodelle und die Abkehr vom traditionellen Büroalltag nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. Die temporäre Beschleunigung dieser Entwicklung hat gezeigt, was möglich ist, aber wir sind immer noch in einer Art von Aushandlungsphase, wie wir in Zukunft arbeiten wollen.
So eindrucksvoll diese Beschleunigung auch war, sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns immer noch am Anfang einer tiefgreifenden Veränderung befinden. Die Rückkehr zur vermeintlichen „Normalität“ in vielen Bereichen des Arbeitslebens deutet darauf hin, dass alte Gewohnheiten und Strukturen zählebiger sind, als man annehmen könnte. Coworking als Konzept steht weiterhin vor Herausforderungen in Bezug auf Akzeptanz und Integration in den Arbeitsalltag der breiten Masse.
Was bedeutet das für die Zukunft von Coworking in Deutschland und so auch in der Schweiz? Es bedeutet, dass Geduld gefragt ist. Veränderungen in der Arbeitswelt sind komplexe Prozesse, die sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinziehen. Die Coworking-Bewegung hat zweifellos das Potenzial, die Art und Weise, wie wir arbeiten, nachhaltig zu verändern – aber diese Veränderung wird nicht über Nacht geschehen. Erst rund 30 Jahre nach der Einführung des ersten Personal Computers in einem Büro wurde die letzte Schreibmaschine aussortiert. Manches braucht eben mehr Zeit als man denkt.
Wir stehen möglicherweise am Rande einer stillen Revolution in der Arbeitswelt, angetrieben von der Sehnsucht nach mehr Flexibilität, Autonomie und Sinnhaftigkeit in der Arbeit. Coworking kann ein Schlüssel zu dieser neuen Welt sein, doch es wird Zeit brauchen, bis sich diese Ideen vollständig entfalten und von der Gesellschaft angenommen werden. Lassen Sie uns daher geduldig sein und die kleinen Schritte schätzen, die wir auf dem Weg zu einer umfassenderen Veränderung der Arbeitswelt machen. Denn jede Revolution beginnt mit einer Idee – und einem Raum, in dem diese Idee wachsen und gedeihen kann.