„If I can make it there. I’ll make it anywhere.“ Frank Sinatras sprichwörtlich gewordene Songzeile gilt offenbar nicht für Coworking Spaces, die in Berlin funktionieren. Denn unsere Hauptstadt ist seltsam. Tobias Kremkau begegnet zumindest oft diesem Vorurteil.
Vor Kurzem nahm ich in der Altmark, einer sehr ländlichen Region von Sachsen-Anhalt, an einem Workshop über die Touristeninformation der Zukunft teil. Nachdem verschiedene digitale Lösungen diskutiert wurden und sich der Konsens verbreitete, dass diese auch in Zukunft noch ein physischer Begegnungs- und Informationsort sein sollte, stellte ich das Konzept der „Open Library” vor und regte an, eine Touristeninformation ähnlich zu denken. Das Konzept stammt ursprünglich aus Skandinavien, wo in Dänemark 2004 die erste Open Library ihre Türen öffnete. Es bedeutet, dass Menschen außerhalb der regulären Öffnungszeiten ohne Personal Zugang zur Bibliothek bekommen und diese nutzen können.
Die erste Frage aus dem Publikum war, wo es denn so etwas schon gibt. „In Berlin“, antwortete ich strategisch unklug. Ein Raunen ging durch den Raum und man spürte regelrecht, wie fast alle Teilnehmenden ablehnend „Ach, in Berlin“ dachten. „Aber auch in Kamenz“, einer sächsischen Kleinstadt in der westlichen Oberlausitz, schob ich schnell nach. Mein Argument war jedoch bereits am Berlin-Effekt zerschellt. Berlin ist anders, eine Metropole, die vermeintlich nichts mit dem Leben woanders in Deutschland zu tun hat. Dort sprechen die Kellner in den Cafés nur noch Englisch, Kinder werden in Lastenrädern zum Kindergarten gefahren, der dort Kinderladen genannt wird und nur veganes Essen anbietet, und überhaupt machen da alle nur Projekte statt zu arbeiten. Berlin ist seltsam.
Berlin polarisiert. 2018 begleitete ich die Gründung des ersten Coworking Spaces in Frankfurt (Oder), das „BLOK O“ der Berliner Sparda-Bank. Als ich mich während der Bauphase mit vorbeigehenden Menschen darüber unterhielt, was nun in dem seit Jahren leer stehenden Gebäuden geplant ist, bekam ich stets zwei Antworten zu hören: „Endlich etwas wie in Berlin!“ und „Nein, etwas wie in Berlin!“ Es gab nur diese beiden Pole, nichts dazwischen. Entweder freuten sich die Leute darüber, dass es bald auch ein Coworking Space in Frankfurt (Oder) geben wird, oder sie lehnten es ab, da dies ein sehr urbanes Konzept ist, das ja nur in einer Metropole wie Berlin funktionieren kann. Fünf Jahre später weiß man es besser. Momentan wird in der Doppelstadt an der Oder der vierte Coworking Space gebaut.
Ich erlebe diese Reaktion in meiner täglichen Arbeit, die mich vorrangig in Kleinstädte und Dörfer führt, ständig. Dort können sich oft nur wenige Menschen vorstellen, dass auch dort ein Coworking Space funktionieren kann oder überhaupt gebraucht wird. In solchen Regionen wissen allerdings erst sehr wenige Menschen, was ein Coworking Space ist. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Coworking Spaces, wie es sie in Berlin gibt, wirklich nicht in einer Kleinstadt wie Stendal oder einer Gemeinde wie Minheim funktionieren können. Dort bedarf es anderer Konzepte. Wer ein Coworking Space außerhalb der Metropole gründet, muss beachten, auch wenn es im Geschäftsmodell keinen Unterschied zwischen Stadt und Land gibt, dass er sich nicht eins zu eins im ländlichen Raum umsetzen lässt.
Und doch kann es funktionieren. Es passiert eigentlich ständig. Das enorme Wachstum der Coworking-Space-Szene außerhalb der Metropolen in den letzten Jahren zeigt, dass auch dort wirtschaftlich tragende Coworking-Konzepte funktionieren. Es bedarf aber einer Motivation, die vor allem dem Aufbau einer Gemeinschaft verpflichtet ist, und eines Verständnisses für die Bedürfnisse und Einstellungen der Menschen vor Ort. Darauf aufbauend kann ein Betriebsmodell entwickelt werden, das den wirtschaftlichen Betrieb eines Coworking Space ermöglicht. Manchmal ist dies ein klassisches Coworking Space wie in Berlin, woanders eher ein Team-Retreat. Oder es handelt sich um eine Art Pendlerhafen oder auch eine neue Dorfmitte mit Coworking.
Gute Ideen, die ein Bedürfnis von Menschen stillen – im Falle eines Coworking Spaces beispielsweise, wohnortnah arbeiten zu können statt täglich lange Strecken pendeln zu müssen –, funktionieren überall und nicht nur in Berlin. Wir sollten offener für das Neue sein, das wir noch nicht kennen und uns noch nicht vorstellen können. Was uns wie eine ferne Utopie erscheint, ist woanders bereits Realität. Oder um es mit den Worten des Schriftstellers William Gibson zu sagen: „Die Zukunft ist schon da, nur nicht gleichmäßig verteilt.”