100 Speaker, 2.000 Teilnehmende, zehn Stages, 14 Stunden Festival – die New Work Experience hat sich erfolgreich zurückgemeldet. Am 20. Juni 2022 stand in Hamburg die Unternehmenskultur in unsicheren Zeiten im Fokus. Wir waren dabei. Robert Nehring berichtet.
Endlich wieder ein Live-Event und das nicht irgendwo: Die New Work SE (vormals openBC, dann Xing) lud nach längerer coronabedingter Pause wieder in die Elbphilharmonie. Mit prominenten Speakern wie Richard David Precht, Jitske Kramer, Ben Hammersley und John Strelecky – sogar Linken-Politiker Gregor Gysi war dabei. Mit lauter Musik und ohne Maske.
Das dem Veranstalter zufolge größte Netzwerktreffen für die HR-Welt im deutschsprachigen Raum gab Gelegenheit, sich mal wieder persönlich zu begegnen sowie Vorträge und Gespräche mit allen Sinnen wahrzunehmen – ganz ohne digitalen Filter.
New Work: Arbeit mit Sinn und an vielen Orten
Die Eröffnungsrede auf der NWX22 hielt Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht. Mit seiner Keynote setzte er den Ton: „Wir erleben das Ende der Arbeit, wie wir sie kannten. Wir entwickeln uns von der Arbeits- zur Sinngesellschaft. Früher war es nur dem Adel vorbehalten, das zu tun, was er wirklich will. Heute darf das jeder.“ New Work, so Precht, ist nicht mehr nur ein Thema für die Besserverdienenden. Neues Arbeiten sei notwendig und gehe im Grunde alle an.
Zu den bestimmenden Themen auf der NWX22 zählten Homeoffice, Hybrid Working, New Office, Purpose, War for Talents, Generation Z, Agilität und Diversität.
Beim Thema Remote-Arbeit zeichneten sich zwei Lager ab: Die einen fordern, es den Angestellten komplett selbst zu überlassen, wo sie arbeiten. Die anderen würden es begrüßen, wenn man sich neben Homeoffice-Tagen auch wieder regelmäßig im Büro trifft. Die New Work SE befindet sich hier selbst in einem Dilemma. Kurz vor der Coronapandemie unterzeichnete sie den Mietvertrag für ihren New Work Harbour in der Hamburger Hafencity. In dem imposanten Bau wurden alle Register gezogen: Musikzimmer, Fitnessstudio, Rooftop-Bühne, Kreativitätszone, Plattenspieler, Schaukeln etc. Allein es half nicht: Zu wenige Mitarbeitende wollten wieder zurück ins Officehome, sodass die Unternehmenskultur litt.
Auch das Thema Purpose erhitzte die Gemüter. Mehrfach wurde vor einem inflationären (etwa Jutta Rump) oder gar falschen Gebrauch (vor allem Ingo Hamm) gewarnt. Wir haben gelernt: Ob eine Arbeit für den Arbeitenden sinnerfüllend ist, muss dieser schon selbst entscheiden.
Im Rahmen der NWX22 wurde zum neunten Mal der NEW WORK Award verliehen. Insgesamt erhielten zwölf Initiativen die Auszeichnung. Sie hatten sich unter insgesamt 196 Bewerbungen durchgesetzt und bekamen beim Community-Voting die meisten Stimmen. Zu den Gewinnern zählen unter anderem Alnatura, die IHK Fulda, das Transformationsteam Wilich sowie die Goldaktivistin Guya Merkle für das Projekt Golden Future.
New Work entwächst den Kinderschuhen
Bei der diesjährigen New Work Experience ging es bemerkenswert kontrovers zu. Das lag vor allem daran, dass auch mehrere New-Work-Kritiker vortragen durften. Etwa Ingo Hamm (Purpose ist Propaganda!), Trigema-Chef Wolfgang Grupp (genau: der mit dem Affen) und Ralf Lanwehr („Wer Homeoffice für alle und immer fordert, hat den Schuss nicht gehört“).
Dass die New-Work-Szene nach etwa zehn Jahren Hype nun Widerspruch immer mehr zulässt und Kritik offenbar auch versteht, zeigt, dass die Neue Arbeit erwachsen wird. Ohne Zweifel gehört ihr die Zukunft. Vielleicht mussten aber erst ein paar Krisen hereinbrechen und sich ein paar neue Ideen als infantile Spinnereien entpuppen, bis das Thema seinen Kinderschuhen entwächst. New Work ist angekommen. Das Stadium von „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ scheint überwunden. Nun könnte es heißen: „Wir machen die Welt, wie sie sein sollte (und dann auch noch für alle funktioniert).“ Zu wünschen wäre es.