Angesichts der aktuellen Krisen wird Nachhaltigkeit immer wichtiger für Unternehmen. Der Nachhaltigkeitsexperte Jürgen Linsenmaier erklärt, warum es Ökonomie und Ökologie auch im Büro zu vereinen gilt und warum die Digitalisierung nicht unkritisch als Heilsbringer gesehen werden sollte.
Bereits die Coronapandemie hat Lieferketten durchbrochen und zu massiven Preisanstiegen geführt. Als Folge des Ukrainekriegs werden Inflation und Knappheit die deutsche Wirtschaft nun noch länger begleiten. Wer heute ein Buch drucken lässt, muss sein Papier mehrere Monate im Voraus bestellen – zu horrenden Preisen. Zwar mag man einwenden, es werde kaum noch Papier verbraucht. Doch auch die Segnungen der Digitalisierung sind nicht zum Nulltarif zu haben. Im Gegenteil: Ganzheitlich gerechnet ist die IT, von der Chipherstellung über die Produktion von Servern und Rechnern bis hin zur Anwendung im Betrieb, schon jetzt der größte Ressourcenverbraucher der Welt. Die Chipindustrie verbraucht nicht nur Unmengen seltener Erden und anderer knapper Rohstoffe sowie Energie, sondern auch jede Menge Wasser.
Digitalisierung – nicht per se nachhaltig
So relativiert sich auch das Argument, man spare heute sehr viel CO2 ein, weil Geschäftsreisen während der Pandemie reduziert worden seien und man auch zukünftig auf Zoom, Teams und andere Kollaborationswerkzeuge zurückgreife. Außerdem würde man Büroraum reduzieren und Mitarbeitende von zu Hause arbeiten lassen. Also weniger Verkehr, weniger Kraftstoffverbrauch und weniger Heizkosten. Das stimmt aber nur zum Teil. Denn das Aufrüsten der Server und die vielseitigen Software-Anwendungen machen viele Einsparungen wieder zunichte. Emissionen und Rohstoffverbrauch werden nur verlagert. Wer nachhaltig denkt, betrachtet sowohl die eigenen Geschäftszahlen als auch globale Ökobilanzen. Denn der Ressourcenverbrauch von heute wird zu den Mehrkosten von morgen, Wettbewerbsnachteile inklusive. Digitalisierung ist nicht per se nachhaltig. Viel mehr ist sie zu einem neuen Wachstumstreiber geworden, der nicht minder ressourcenintensiv ist als die viel zitierte Old Economy. Jede einzelne Digitalisierungsmaßnahme muss sich deswegen an Nachhaltigkeitsstandards messen lassen.
Chancen der Optimierung von Kosten und Ressourcen
Erst kürzlich hat das auf Algorithmen und Datentransparenz spezialisierte Unternehmen Sysparency vorgerechnet, wie problematisch allein mangelhafte Software sein kann. Rund 35 Prozent des CO2 ließe sich hier bei einem konsequenten Einsatz von „Green Coding“ einsparen. Unnötige Anwendungen und doppelte Rechenprozesse treten durch Homeoffice und neue, unstrukturiert etablierte IT-Lösungen vermehrt auf. Schließlich musste es während der Pandemie schnell gehen. Auch hier lassen sich noch viele Aspekte von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit optimieren. Mehr Effizienz bei gleichzeitiger Reduktion von Kosten und Ressourcen. In diesem Zusammenhang dürfte auch das Recycling von Rechnern, Mobiltelefonen und Bürogeräten bald zum Trend werden. Die Deglobalisierung wird das Büro erreichen.
Jürgen Linsenmaier, Partner für nachhaltiges Wirtschaften,
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