Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung der Büroarbeitsformen enorm beschleunigt und gleichzeitig schwer vorhersehbar gemacht. Burkhard Remmers von Wilkhahn wagt dennoch einen Ausblick auf mögliche Arbeitswelten nach Covid-19. Er beleuchtet auch die zu meisternden Herausforderungen.
Die Arbeit im Homeoffice hatte zunächst viel besser funktioniert als erwartet, doch inzwischen zeigen viele Studien, dass die anfängliche Euphorie zumindest in Teilen zunehmender Ernüchterung weicht. Manche fordern im Zeichen des Infektionsschutzes eine Rückkehr zum Zellenbüro. Andere halten in der gleichen Logik ein gemeinsames Büro schlicht für überflüssig. Dritte schließlich denken an dezentrale Satellitenlösungen. Der Diskussionsstand zum Activity-Based-Workspace, der den Raum neben Mensch und Software als „dritte Intelligenz“ der Wertschöpfung begreift, wird völlig überlagert von der Fragestellung, in welchem Verhältnis zukünftig wohl im Büro oder zu Hause gearbeitet wird. Da ist es höchste Zeit, innezuhalten, um die wesentlichen Grundlagen zu beleuchten, vor denen zukunftsfähige Arbeitsweltkonzepte bestehen müssen.
Wesentliche Trends
Schon lange vor der Pandemie waren die Entwicklungen in der Arbeitswelt von drei Megatrends geprägt, die durch Covid-19 enorm beschleunigt wurden: Globalisierung und damit verbunden die dynamische Digitalisierung, Gesundheit als Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand und Wachstum sowie die Herausforderungen, die durch Klimawandel und Umweltschäden wie beispielsweise kranke Wälder, Artensterben und Plastikmüll spürbar werden. Der hohe Transformationsdruck hat deshalb die Fragestellungen an die Arbeitsweltgestaltung nicht verändert, sondern geschärft: Wie gelingt es, durch ein attraktives und gesundes Ambiente die gesuchten Talente zu gewinnen und zu binden? Wie kann die Arbeitsumgebung Innovations- und Veränderungsprozesse fördern? Wie lässt sich die für Veränderungsprozesse so wichtige Unternehmensidentität stützen? Und welchen Beitrag leistet die Arbeitsweltgestaltung zum Dreiklang von Profit, Planet und People?
Vier Dimensionen, die im Blick zu behalten sind
Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass diese Fragestellungen eng zusammenhängen. Ohne die erforderlichen Fachkräfte wird es kaum möglich sein, die Digitalisierung voranzutreiben und neue Geschäftsprozesse umzusetzen. Ohne eine starke Unternehmenskultur lassen sich die Ängste und Blockaden vor Veränderungen nur schwer überwinden. Gesundheit und Wohlbefinden machen das Unternehmen nicht nur attraktiver, sondern steigern nachweislich die Performance und senken die Krankheitskosten. Und last, but not least ist der Beitrag zu einer positiven Zukunftsvision der allergrößte Hebel, um die Potenziale der Menschen im Unternehmen produktiv zu mobilisieren.
Deshalb sollten vor jeder grundlegenden Entscheidung zur Arbeitsweltgestaltung und möglichen Arbeitsorten deren Auswirkungen auf die Dimensionen Gesundheit, Kollaboration, Identität und Sinnstiftung überprüft und im Zweifelsfall angepasst werden. So lassen sich Synergien heben und ungewollte Kollateralschäden frühzeitig erkennen und vermeiden.
Beispiel Homeoffice
Bei Fragestellungen zur mobilen Büroarbeit lassen sich anhand der vier Dimensionen die Chancen, Risiken und möglichen oder notwendigen Handlungsfelder für das Facility-Management ganzheitlich bewerten.
- So hängen Gesundheit und Wohlbefinden der mobilen Büroarbeit vor allem von individuellen Lebensumständen ab. Hier ist im Unterschied zur Telearbeit eine Einflussnahme zur Verhältnisprävention ungeheuer schwierig. Aber wer die langfristige Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden ernst nimmt, sollte zumindest Angebote machen, mit denen sich dynamisches Sitzen, konzentriertes Arbeiten und die Reduktion von Störfaktoren fördern lässt – auch dann, wenn ein Küchentisch als temporärer Arbeitsplatz herhalten muss.
- Bei den Auswirkungen auf unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit sollte geprüft werden, was sich digital gut abbilden lässt und welche Prozesse analoge Begegnungen erforderlich machen. Gerade die aktuell drängenden Innovations- und Veränderungsprozesse sind in wesentlichen Phasen auf Interdisziplinarität, soziale Gemeinschaftsbildung und auf informellen Austausch in ungeplanten Begegnungen angewiesen – auf genau das also, was im Homeoffice fehlt.
- Unternehmenskultur und Identität sind der soziale Kitt, der von gemeinschaftlichen Erlebnissen genährt wird. Gleichzeitig sind Zugehörigkeit, Orientierung und innere Ordnung über das Unterbewusstsein ganz eng mit den Unternehmensräumen verbunden. Der Begriff „Arbeitsplatz“ meint nicht umsonst auch den Job. Auf Dauer birgt das Homeoffice das Risiko, Identifikation und Bindung zum Unternehmen zu schwächen und die Verlustängste zu steigern.
- Auch der Beitrag zu einer profitablen und sinnstiftenden Zukunftsfähigkeit ist vielschichtig: Eine Etablierung mobiler Büroarbeit führt zweifellos zu einer höheren Akzeptanz von Desk-Sharing und damit verbunden zu Einsparpotenzialen bei den klassischen Schreibtischarbeitsplätzen. Weniger Pendlerverkehr reduziert zudem nachweislich Verkehrsemissionen und der Entfall von Wegezeiten kann sich positiv auf die Work-Life-Balance auswirken – aber eben nur dann, wenn die individuellen Rahmenbedingungen stimmen.
Diese Übersicht zeigt, dass neben der Analyse der Orte auch die der Aufgaben und Prozesse stehen sollte, für die das Homeoffice eine gute oder sogar eine bessere Option sein könnte als das Büro. Neben der Fragestellung, ob und wie sich diese dann sinnvollerweise tageweise bündeln lassen, braucht es vor allem die Abstimmung mit dem HR-Bereich. Denn je weniger sich Arbeitszeit und Arbeitsort überschneiden, desto höher wird der Regel- und Steuerungsaufwand und desto mehr Führung ist gefordert, damit die Kollegen nicht verloren gehen.
Fazit
In Sachen mobiler Büroarbeit wird es ein Zurück in die Vor-Corona-Zeit nicht geben. Die Option, temporär im Homeoffice arbeiten zu können, wird selbstverständlicher Bestandteil der Arbeitsorganisation sein – wobei der Mix zwischen Präsenzarbeit und mobilem Arbeiten idealerweise aufgaben- und prozessbezogen definiert werden sollte. Wenn sich das Facility-Management als „Enabler“ für das Erreichen der organisationalen Ziele des Unternehmens versteht, dann darf die Verantwortlichkeit nicht bei der IT-Infrastruktur enden, auch wenn eine Standardisierung der Arbeitsumgebung im Homeoffice unmöglich erscheint. Es ist sicher kein Zufall, dass aktuell selbst in führenden Digitalunternehmen über Präsenzpflichttage für die Post-Corona-Zeit diskutiert wird.
Versuch eines Ausblicks
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Förderung der Zusammenarbeit im Büro noch mehr als in der Vergangenheit im Mittelpunkt der Raumkonzepte stehen muss. Die Plätze für Fokusarbeit werden weniger, aber brauchen mehr Abschirmung. Denn die Technologien für verteiltes Arbeiten im Homeoffice werden auch den Alltag im Büro prägen. Was braucht es dann, wenn in einer offenen Struktur vier oder fünf Video-Calls gleichzeitig geführt werden? Wenn es im Workshopraum völlig normal wird, in analoge Meetings räumlich verteilte Gruppen digital einzubinden? Eine Trennung von Schreibtisch und digitalem Meeting ist dann ebenso unmöglich, wie umgekehrt die Erweiterung der analogen Kollaborationsräume zu hybriden Teamumgebungen zwingend ist.
Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Zum Kernkriterium schlechthin wird deshalb maximale Flexibilität. Vielleicht lohnt es sich, völlig neu zu denken: in „atmenden“ Kernfunktionsflächen, die jederzeit erweitert, geschrumpft oder anders genutzt werden können. Anstatt Arbeitsplätze mit Flatterband abzusperren und Schichtarbeit einzuführen, lassen sich mobile und klappbare Tischplätze ad hoc reduzieren und auf Abstand bringen. In Epidemie-Zeiten ohnehin ungenutzte Seminar- und Mehrzweckräume werden kurzerhand als temporäre Büroflächen aktiviert, wenn es Distanzgebote erforderlich machen. So behält jeder seinen Tisch, den er dorthin mitnimmt, wo es ausreichend Platz und Raumluftvolumen gibt. Dann entfallen auch die bei Desk-Sharing besonders aufwendigen Hygiene-Maßnahmen. So könnte ein „neues Normal“ entstehen, das Offenheit und Rückzug, Nähe und Distanz, Zusammenarbeit und Fokussierung variabel verbindet.
Burkhard Remmers, Leiter Internationale Kommunikation, |