Sogar Corona scheint den Trend zum Coworking nicht bremsen zu können. In der hier startenden Beitragsreihe erläutert „Coworking-Papst“ Tobias Kremkau Hintergründe zu dieser Form der Zusammenarbeit. Los geht es mit den Anfängen der Coworking-Bewegung.
Wo liegen die Ursprünge des Coworking? Ein guter Historiker findet Vorläufer für alles. Aber ein besserer Historiker weiß, wann es sich bei diesen Vorläufern um bloße Kuriositäten handelt. Es gibt viele selbsternannte Mütter aller Coworking Spaces, doch wahre Vorläufer sind meines Erachtens nur die Orte, an denen die Coworking-Prinzipien Zusammenarbeit, Offenheit, Gemeinschaft, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit bereits vor dem Begriff Coworking auch gelebt wurden. Und davon kennt die Geschichte vor allem zwei Orte.
In der Renaissance arbeiteten auf Einladung eines Meisters Handwerker, Ingenieure und Künstler in den Werkstätten von Florenz, den Botegas, zusammen an ihren Projekten. Zwar für sich allein, jedoch teilten sie untereinander ihr Wissen über Prozesse und Techniken. So wie es heute noch, mit Laptop statt Meißel und Pinsel, in Coworking Spaces vorkommt. In den Botegas entstand ein Unternehmertum, das durch interdisziplinäre Zusammenarbeit revolutionäre Wege des Arbeitens und des Designens erfand. Die Verbindung zu Offenheit und Gemeinschaft wurde erst später in den Kaffeehäusern entwickelt, die ab dem 16. Jahrhundert ihren Weg über Konstantinopel und Venedig nach Wien fanden.
„Coworking lässt sich nicht in dem Sinne studieren, dass man an einer Hochschule Wissen oder Kenntnisse dazu erwirbt. Vielmehr bedarf es praktischer Erfahrung und Gespräche mit anderen Betreibern, um sich das Thema zu erschließen. Eine Ausnahme ist die 2018 von Johanna Voll mitinitiierte Coworking Library, die Forschungsarbeiten zum Thema Coworking aus der ganzen Welt sammelt und damit die größte Coworking-Wissenssammlung weltweit darstellt. Ein Blick hinein führt stets zu mehr Verständnis.“
Tipp von Tobias Kremkau
Zu Beginn ein Ort für Händler aus aller Welt, die bei einer Tasse Kaffee gemeinsam philosophierten und diskutierten, wurden sie zu Orten des kreativen Austauschs unter Gleichgesinnten. Dieses einzigartige Miteinander des Wiener Kaffeehauses wurde 2011 als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt. Coworking entstammt dieser Kaffeehauskultur.
Das Distinktionsmerkmal der Coworking Spaces zu anderen Orten der (Zusammen-)Arbeit stellt aber gar kein Ort dar, sondern eine Zugang ermöglichende Technologie: das WiFi. 2004 löste der WLAN-Sicherheitsstandard WPA seinen unsicheren Vorgänger WEP ab. Dadurch wurden drahtlose Verbindungen alltagstauglich, WiFi-Module standardmäßig in Laptops verbaut und diese preiswerter. Jetzt war es möglich, von überall zu arbeiten. Brad Neuberg lud deshalb in einem Blogpost vom 9. August 2005 andere Entwickler in sein „San Francisco Coworking Space“ ein, um gemeinsam statt einsam zu arbeiten. Es handelte sich dabei zwar nur um einen Raum im feministischen Gemeindezentrum „Spiral Muse“, der an zwei Tagen die Woche genutzt werden konnte, aber die Idee war in die Welt gesetzt.
Neuberg gilt durch diesen Blogpost als Begründer der Coworking-Bewegung. Jedoch ist er nur der Mensch, der als erster über Coworking gebloggt hat. Die gleiche Idee hatten im Sommer 2005 auch andere. Bereits im Juli eröffnete in Berlin das St. Oberholz als ein Café mit WiFi, von wo aus Menschen arbeiteten. Genau wie im Kopenhagener Republikken, das im September eröffnete. Coworking wurde nicht von einem Menschen an einem Ort erfunden. Als es technisch möglich war, seinen Arbeitsort frei zu wählen, passierte das weltweit. Hierzulande nannte man das noch nicht Coworking. Einige Visionäre träumten damals noch von großen Hallen, in denen Freelancer zusammen arbeiteten.
Erst mit dem Berliner Betahaus, dem ersten Coworking Space Deutschlands, wurde das Konzept und der Begriff ab 2009 auch in Deutschland bekannt. Inzwischen gibt es mehr als 800 Coworking Spaces in Deutschland. Der Coworking-Boom hat Kuriositäten wie Wework hervorgebracht, aber die Idee auch in den ländlichen Raum vordringen lassen. Dann jedoch brach Covid-19 aus und alles scheint sich zu ändern. Doch darüber schreibe ich in meiner nächsten Kolumne.