Die Gestaltung von Arbeitsumgebungen kann wesentlich zum Wohlbefinden von Mitarbeitern und damit zum Erfolg von Unternehmen beitragen. Im Interview erklärt die Raumexpertin Susanne Busshart, worauf es dabei ankommt.
OFFICE ROXX: Frau Busshart, in Ihrem neuen Buch „FreiRaum“ kritisieren Sie die Gestaltung heutiger Büroräume. Was läuft denn dort falsch?
Susanne Busshart: Nicht falsch verstehen: Es gibt heute wirklich schon wunderbare Büroräume, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen sowie seine Kreativität und seine individuellen Fähigkeiten fördern. Den Menschen in den Mittelpunkt stellen wäre für mich das grundlegende Kriterium für gute Büroflächen. Dies könnten viele Firmen beherzigen und besser machen. Was ich aber mit meinem Buch sagen möchte: Es gibt noch sehr viel Luft nach oben. Meiner Meinung nach spielen unglaublich viele Facetten eine Rolle, die man heute berücksichtigen sollte, wenn es um die Gestaltung von Räumen geht. Ich glaube an Räume nach innen und außen. Die Räume nach außen sind die physischen Räume, die so gestaltet sein sollten, dass sie den Mitarbeiter glücklich und das Unternehmen damit effizient machen. Aber auch die inneren Räume spielen eine sehr wichtige Rolle. Ohne das richtige Mindset funktioniert keine Transformation. Und schließlich ist Wandel und Transformation das, was heute für viele Firmen strategisch im Mittelpunkt steht.
Es ist gut, wenn man sich einen Überblick über das Große und Ganze verschafft. Gesellschaft verändert sich. Und das wirkt sich unmittelbar auf Räume aus. Interessant ist weiterhin, welche Trends gerade aktuell sind, welche Strategien das Unternehmen verfolgt, wie die Unternehmenskultur aussieht und vieles mehr. Je mehr Perspektiven man auf dieses Thema bekommt, desto besser.
Interessant ist auch, dass wir in unserer Gesellschaft eine immer stärkere Individualisierung wahrnehmen können. Das heißt, man muss auf die Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten, auf die Branche und auf vieles mehr Rücksicht nehmen. Erst damit schafft man wirklich die besten Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter. Zu all diesen Facetten Inspiration zu liefern ist ein Ziel meines Buches.
Was wären denn die drei wichtigsten Zutaten für ein inspirierendes Office, in dem man auch produktiv sein kann?
Ganz klar ist, dass die Büroräume zu den Tätigkeiten der Mitarbeiter passen müssen. Nach dem Multispace-Prinzip sollte jeder immer den Ort finden, den er für seine Tätigkeit benötigt. Das ist wichtig. Die zweite große Zutat ist meiner Meinung nach Schönheit. Räume können architektonisch noch so toll sein und noch so teure Möbel beinhalten. Sie werden keine glücklichen Mitarbeiter erzeugen, wenn nicht ein gewisses Herzblut, ein Wir-Gefühl und ein Wohlfühlen am Arbeitsplatz spürbar sind.
Super wichtig ist weiterhin die Kommunikation. Zu 60 Prozent besteht ein Change-Prozess heute aus Kommunikation. Und von nichts anderem als einem Change-Prozess sprechen wir, wenn wir in neue Räume umziehen oder Räume neu gestalten. Was bedeutet in diesem Fall Kommunikation? Es geht darum, für Menschen zunächst einmal transparent zu machen, was in Räumen überhaupt alles möglich und sinnvoll ist. Dann gilt es selbstverständlich, die Menschen zu begleiten. Sie durch den gesamten Prozess hindurch immer wieder mitzunehmen und Wünsche einzusammeln. Das macht absolut Sinn. Und nach dem Einzug hört ein Raumprozess nicht auf. Mit den Menschen, die eingezogen sind, gilt es dann, gemeinsam diesen Prozess in die Zukunft zu tragen und immer weiter zu gestalten.
Zurück zu den Zutaten: Es gibt immer mehr als drei Zutaten. Sie backen auch keinen leckeren Kuchen nur aus Mehl, Zucker und Butter. Noch dazu mögen manche Menschen gar keine Butter. Es fehlen zu einem leckeren Kuchen vielleicht noch Früchte, Nüsse oder andere Zutaten. Was heißt das für Räume? Man sollte sich auch im Raumprozess so viele Perspektiven wie möglich schaffen. Das ist Zeitgeist in einem interdisziplinären Team.
„Interessant sind auch Strömungen, die aus den USA kommen, wo wir heute schon sehen, dass Menschen am liebsten wirklich um die Ecke arbeiten. Sie wollen nicht mehr lange Wege ins Office in Kauf nehmen.“
Susanne Busshart, Expertin für Räume sowie Begleiterin für Change und digitale Transformation
Sie fordern mehr Emotionalität im Raum. Mit welchen Maßnahmen lässt sich diese wecken?
Man sagt, dass sich mehr als 80 Prozent der Büroarbeitskräfte ein „Wohnzimmergefühl“ am Arbeitsplatz wünschen. Dies kann man auf vielfältige Weise erzeugen. Wichtig ist, dass man nicht in sterilen Umfeldern arbeitet, die nicht zu den Menschen passen. Gemeinsames Gestalten macht nicht nur Spaß, es erhöht auch das Wir-Gefühl und schafft mehr Teamgeist. Wichtig in Zeiten von Homeoffice, oder?
Wir in Deutschland sind mit der Emotionalität in Arbeitsumfeldern noch nicht so wirklich weit vorn. Bei uns spricht man wenig über Emotionen. Es zählen immer noch die Fakten. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht nur Stühle und Tische in ein Office stellen, sondern dass wir auch überlegen, was die Mitarbeiter benötigen. Was würden diese hübsch finden? Wie kann Schönheit ihre Arbeit unterstützen?
Was meine ich damit? Früher haben Firmen Kunstsammlungen angeschafft. Das ist toll, aber vielleicht gar nicht unbedingt nötig. Eine bunte Uhr an der Wand, eine nette Schale, ein paar extravagante Vasen und vielleicht Farbe an Wänden und Boden wirken wahre Wunder. Farben allein erzeugen schon gewisse Stimmungen, die man nutzen kann, um mehr Gefühl in den Arbeitstag zu bringen.
Pflanzen sind immer wieder ein großes Thema. Ich liebe die Strömungen zu Shinrin-Yoku, der japanischen Lehre von Stressreduktion und Wohlfühlen. Zudem können Pflanzen Zonen definieren und die Luft verbessern. Die Hauptsache aber ist, sie machen die Mitarbeiter glücklich. Das sollte das große Ziel sein.
Ist die Raumgestaltung heute wirklich schon ein wesentliches Entscheidungskriterium für junge Talente?
Ja, das ist sie. Und das ist auch gut so. In den Recherchen zu meinem Buch sind mir da interessante Beispiel begegnet. Ich komme aus der IT-Industrie und dort ist es schon seit vielen Jahren so, dass man keinen Arbeitsvertrag unterschreiben würde, wenn das Handy, welches als Arbeitsgerät angeboten wird, viel älter ist als jenes, welches man privat nutzt. Genau das Gleiche passiert seit einiger Zeit mit Räumen. Dies hat auch damit zu tun, dass das Wohnen und das Arbeiten in vielen Kontexten immer mehr ineinanderfließen.
Es gibt erste Studien, die zeigen, dass Menschen wirklich Wert darauf legen, wie sie sich an ihrem Arbeitsplatz fühlen. Passt dieses Gefühl nicht mehr, werden sie wahrscheinlich kündigen bzw. einen Arbeitsvertrag gar nicht erst unterschreiben, wenn es sich um einen neuen Arbeitgeber handelt. Besonders bei jungen Menschen ist dies zu beobachten. Dies finde ich sehr konsequent, denn verbringen wir nicht so viel Zeit an unserem Arbeitsplatz, dass es uns gefallen sollte, dort zu arbeiten? Und sollten wir nicht schließlich alle das Ziel haben, auch die Unternehmen, möglichst viel gemeinsam zu erreichen? Das geht nur mit Motivation, oder?
„Darum heißt mein Credo seit Jahren: Wandel etablieren, bitte!“
Susanne Busshart, Expertin für Räume sowie Begleiterin für Change und digitale Transformation
Wie sollten Change-Projekte im Raumbereich am besten angegangen werden?
Change-Prozesse sollten nach Möglichkeit immer ganzheitlich angegangen werden. Es sollte möglichst alles aus einer Hand kommen. Aber das Wichtigste ist, dass die Mitarbeiter einbezogen werden. Ich glaube, es ist essenziell, dass man zunächst einmal Transparenz schafft. Nicht jeder kennt sich wirklich gut mit möglichen Raumkonzepten aus, und ich habe es leider zu oft erlebt, dass heute geplant wurde – für in zwei Jahren – und eigentlich das heutige Konzept schon total veraltet war, weil jemand einfach nicht wusste, was geht, wie sich Arbeitsweisen in Zukunft verändern werden, wie die Unternehmenskultur sich im neuen Gebäude entwickelt und, und, und.
Interdisziplinäre Teams sind in diesem Zusammenhang nicht nur hip, sondern leisten auch gute Dienste. Wenn ich aus allen Bereichen Beteiligte ins Boot hole, habe ich nicht nur für den Prozess selbst alle möglichen Perspektiven, sondern habe gleich auch Botschafter an Bord, die ins Unternehmen hinein bei der Kommunikation helfen.
Ein guter Kommunikationsplan hilft auf jeden Fall zusätzlich weiter. Persönlich würde ich heute nicht mehr von einem „Change-Projekt“ sprechen. Eigentlich handelt es sich bei dem Umgang mit neuen Büroflächen immer um einen Prozess, der nicht mehr aufhört. Wandel ist mittlerweile für uns systemimmanent. Darum heißt mein Credo seit Jahren: Wandel etablieren, bitte!
„Ich komme aus der IT-Industrie und dort ist es schon seit vielen Jahren so, dass man keinen Arbeitsvertrag unterschreiben würde, wenn das Handy, welches als Arbeitsgerät angeboten wird, viel älter ist als jenes, welches man privat nutzt. Genau das Gleiche passiert seit einiger Zeit mit Räumen.“
Susanne Busshart, Expertin für Räume sowie Begleiterin für Change und digitale Transformation
Wie bewerten Sie den aktuellen Trend zum Multispace?
Ich bin seit vielen Jahren ein großer Fan von Multispace. Ich finde es klasse, dass ich zum Arbeiten verschiedene Möglichkeiten habe und immer den richtigen Platz finde. Wenn ich Konzentration benötige, gibt es Quiet Rooms oder Workbenches. Wenn ich kommunizieren möchte, sind Alkoven da, Meetingräume, Küchen oder Lounges. Und wenn ich mit meinen Kollegen zusammenarbeite, kann ich dazu Hochtische, Design-Thinking-Areas oder Makerspaces nutzen.
Für Menschen, die schon länger in diesem Bereich arbeiten, ist Multispace schon fast ein alter Hut. Wenn man sich aber anschaut, wie wenige Unternehmen das Konzept bisher wirklich umgesetzt haben, glaube ich, dass Multispace noch lange ein Trend bleiben wird. Ich kenne so viele Beispiele, die für aktivitätsbasiertes Arbeiten sprechen, und viele Firmen sind unter diesem Konzept erfolgreicher.
Selbstverständlich arbeite ich zurzeit schon an dem nächsten Level. Meine Liebe gilt den Trends und den Entwicklungen der Zukunft. Daher finde ich, dass ich als Expertin das Big Picture im Blick haben muss. Trotzdem setze ich nur das um, was wirklich zu den Menschen im Unternehmen, ihrer Kultur und ihren Zielen passt. Es hilft überhaupt nichts, einem Unternehmen ein Konzept überzustülpen, welches zu weit vorn ist und nicht zu den Mitarbeitern passt. Daher ist es wichtig, in kleinen Schritten voranzugehen und Multispace so einzuführen, wie es Sinn macht.
Für mich ist Individualität ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor für Arbeitsumgebungen. Daher muss man sich anschauen, inwieweit wirklich jeder etwas anderes benötigt. Eine gewisse Standardisierung muss sicherlich sein, aber das Individuelle ist noch dreimal wichtiger.
„Bei uns spricht man wenig über Emotionen. Es zählen immer noch die Fakten. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht nur Stühle und Tische in ein Office stellen, sondern dass wir auch überlegen, was die Mitarbeiter benötigen.“
Susanne Busshart, Expertin für Räume sowie Begleiterin für Change und digitale Transformation
Was verbirgt sich hinter Ihrem Konzept Framework FFF?
Damit meine ich eine 360°-Vorgehensweise, die ich bei meinen Kunden seit vielen Jahren anwende und immer wieder an die neusten Gegebenheiten anpasse. Ich finde es ganz wichtig, im Blick zu haben, was in der Gesellschaft passiert, welche umsetzbaren Trends da sind und dann in die Begleitung des neuen Raumes einzusteigen. Es gilt dabei, fünf spannende Kriterien zu beleuchten: Strategie, Unternehmenskultur, Kommunikation, Arbeitsweisen und Räume.
Ein Unternehmen, das einen Raumprozess nicht auf seine Strategie abstimmt, wird nicht erfolgreich sein. Die Unternehmenskultur als zweiter wichtiger Schritt ist eine der großen Weichen, die ich stellen muss, bevor ich das passende Konzept für die Menschen an Bord finde. Dazu muss ich ein Unternehmen erst einmal verstehen und verstehen, wie die Menschen an Bord ticken.
Über Kommunikation habe ich schon gesprochen. Diese ist das Kernstück des Change-Prozesses und wird wesentlich darüber entscheiden, wie der Prozess ablaufen wird und wie erfolgreich er sein wird. Weiterhin beleuchte ich die Arbeitsweisen. Dieser Part wurde in den letzten Jahren immer wichtiger. Es macht für die Räume durchaus einen Unterschied, ob die Teams noch nach Wasserfall oder schon mit agilen Methoden arbeiten. Danach müssen sich Räume und sogar Möbel, die ich in diesem Zusammenhang lieber als Werkzeuge bezeichnen möchte, richten. Last, but not least sollte man sich den Raum natürlich als Ganzes anschauen. Hier geht es um Laufwege, um Meeting-Größen und -Kulturen, um die Planung und vieles mehr.
Wichtig ist mir auch der Prozess selbst. Ich glaube, wir sprechen heute nicht mehr von einem Raumprojekt. Darüber haben wir schon gesprochen. Es muss ein Prozess sein, der gar nicht aufhört. Dafür nutze ich zum Beispiel den sogenannten Puls-Check. Ich schaue mir kurz nach dem Umzug an: Wie geht es den Menschen in den neuen Räumen? Ganz oft sind es Kleinigkeiten, die den Unterschied machen. Allein das Sich-Kümmern macht schon einen großen Unterschied.
„Den Menschen in den Mittelpunkt stellen wäre für mich das grundlegende Kriterium für gute Büroflächen. Dies könnten viele Firmen beherzigen und besser machen.“
Susanne Busshart, Expertin für Räume sowie Begleiterin für Change und digitale Transformation
Firmenbüro, Homeoffice, Coworking Space oder Outdoor-Office – wo werden wir Ihrer Meinung nach künftig arbeiten?
Dies ist eine wunderbare Frage, weil es ein Teil dessen ist, woran ich zurzeit mit Hochdruck arbeite. Ein neuer Arbeitsbegriff entwickelt sich gerade und Multispace wird mit einem verstärkt genutzten Homeoffice neu definiert. Dies ist ein ganz tolles Thema, da es uns in Arbeitswelt und New Work weiter nach vorn bringen wird.
Zurzeit wird schon viel Konzentrationsarbeit im Homeoffice bewältigt. Dadurch werden Kollaboration und Kommunikation im Firmenbüro immer wichtiger. Hier gestalten Unternehmen gerade ihre Raumkonzepte neu. Schließlich ist es wichtig für Wissenstransfer, Innovationsfähigkeit und auch das soziale Wohlbefinden der Mitarbeiter, die Kollegen ab und an physisch zu treffen.
Unternehmen stellen aber gerade fest, dass die Mitarbeiter aus dem Homeoffice gar nicht zurückwollen, da sie es entweder zu Hause bequemer haben oder Angst haben oder nicht reisen wollen oder, oder, oder.
Interessant sind auch Strömungen, die aus den USA kommen, wo wir heute schon sehen, dass Menschen am liebsten wirklich um die Ecke arbeiten. Sie wollen nicht mehr lange Wege ins Office in Kauf nehmen. Aber sie merken auch sehr schnell, dass man sich einfach sehen muss, dass Austausch wichtig ist. Diese Gemengelage sorgt dafür, dass gerade lokal sogenannte Hubs ins Spiel kommen. Dabei kann ich mir vorstellen, dass die Coworking Spaces in Zukunft wieder eine wichtigere und erfolgreichere Rolle spielen werden. Neuen Konzepten sind hier keine Grenzen gesetzt, und ich freue mich sehr, in einem so spannenden Umfeld arbeiten zu dürfen.
Ich glaube immer an das halb volle Glas Wasser und denke, dass jeder Raumprozess uns einen Schritt nach vorn bringen sollte.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Paul Svihalek.
BUCHTIPP: Susanne Busshart: FreiRaum: Warum inspirierende Arbeitsplätze Mitarbeiter glücklich und Unternehmen erfolgreich machen, Jungs Verlag, 180 S., 18,00 €. |