Bereits vor mehreren Jahren hat die Deutsche Lufthansa AG in ihrem Headquarter ein Konzept zu flexibler Büroarbeit umgesetzt. Es heißt New Workspace. Wir sprachen mit der Projektleiterin Bettina Reichart über ihre Erfahrungen mit ihm.
OFFICE ROXX: Frau Reichart, 2013 hat die Lufthansa in ihrem Frankfurter Headquarter ein Konzept flexibler Büroarbeit umgesetzt. Wie kam es dazu und was waren Eckpfeiler?
Bettina Reichart: Es gab mehrere Auslöser: Zunächst die kulturelle Transformation der Lufthansa Group, in deren Verlauf sich unsere Unternehmenskultur sowohl an die wandelnden Herausforderungen wie Digitalisierung oder Flexibilisierung als auch an die Notwendigkeiten des Geschäftsmodells anpasst. Hierzu wurden in der Lufthansa Group in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen, etwa der Abbau einer Hierarchieebene, die Einführung einer Matrixorganisation, einer Führungskräfte-Rotation-Policy sowie eben auch des New-Workspace-Konzepts, mit dem die Etablierung flexiblen, multilokalen Arbeitens einherging. Zusätzlich bestand der Wunsch, unser Headquarter effizienter zu nutzen und wenn möglich auch Flächen einzusparen. Vor Einführung des Konzeptes haben wir uns die Umsetzung von aktivitätsorientiertem Arbeiten bei sehr vielen Unternehmen angesehen und mit den jeweiligen Verantwortlichen gesprochen. Dann war uns klar, dass die Veränderung im Kopf beginnen muss.
Was verbirgt sich hinter dem Konzept New Workspace genau?
New Workspace ist ein Konzept, in dem die kulturelle Transformation durch die Veränderung der Arbeitsflächen und der IT unterstützt wird. Die Struktur wird verändert, und das hat Auswirkungen auf die Kultur. Dies geschieht im Rahmen eines Veränderungsprozesses, bei dem drei Disziplinen (Human Resources, IT und Real Estate Management) als crossfunktionales Team zusammenarbeiten. Es genügt nicht nur, die Büroflächen und passende IT-Hard- und -Software zur Verfügung zu stellen. Das Mindset muss verändert werden. Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter/innen müssen auf dem Weg in die neue Arbeitswelt unterstützt werden. Ziel ist es, die Eigenverantwortung des Einzelnen zu stärken, Hierarchien abzubauen und eine Vertrauenskultur anstatt einer Präsenzkultur zu etablieren. Dies wird durch eine veränderte Führungskultur unterstützt.
Wir flexibilisieren die Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiter/innen. Sie arbeiten zeitlich und örtlich, wie und wo sie wollen. Eingeschränkt wird diese Freiheit durch gesetzliche, bzw. kollektivrechtliche Regelungen und betriebliche Erfordernisse. Sehr wichtig hierfür ist es, Remote-Working für alle zu ermöglichen, unterstützt durch mobile Endgeräte wie Smartphone und Laptop. Das Angebot, auch von zu Hause arbeiten zu können, wird von allen Mitarbeiter/innen sehr geschätzt. Die Tatsache, dass sie entscheiden können, wann und wo sie arbeiten, verbessert die Work-Life-Balance und steigert zugleich die Attraktivität der Lufthansa als Arbeitgeber.
Durch die Auflösung der Einzelbüros für Führungskräfte verändern sich die Zusammenarbeit und die Teamdynamik. Wir vergemeinschaften die Fläche. Vorher existierende Statussymbole wie die Größe eines Führungskräftebüros gibt es nicht mehr. Sie spielen keine Rolle. Die Führungskräfte sitzen zusammen mit ihren Mitarbeiter/innen in der Fläche und beide Seiten partizipieren davon.
Die Einführung von Desk-Sharing ist ebenso wichtig – es gibt keine zugeordneten Arbeitsplätze mehr. Sie werden geteilt. Die dadurch gewonnene Fläche füllen wir mit unterschiedlichen aktivitätsorientierten Modulen wie zum Beispiel Thinktanks, Telefonboxen, Sofas, Workbenches oder multifunktionalen Besprechungsräumen. Der Modulkatalog wird ständig angepasst und erweitert. Dabei fließen Nutzererfahrungen, veränderte Bedarfe, aber auch Neuentwicklungen auf dem Möbelmarkt ein.
Wie wurde das Konzept New Workspace eingeführt?
2013 wurden unter Einbindung von Mitarbeiter/innen, Führungskräften und der Mitbestimmung die Anforderungen an ein New-Work-Konzept definiert. Circa ein Jahr später startete der Rollout für das ganze Gebäude, in dessen Verlauf circa 2.400 Nutzer/innen in 50 Homezones (Flächen, in denen circa 50 Nutzer/innen verortet sind) in die neue Arbeitsumgebung überführt wurden. Der Vorteil an der Veränderung in der Konzernzentrale war, dass sich die Kolleg/innen aus den anderen Business Units bei Arbeitsbesuchen genau ansehen konnten, ob und wie das Konzept funktioniert. Erfreulicherweise wurde dadurch der Wunsch geweckt, das Konzept auch in den anderen Konzernbereichen zu implementieren. Inzwischen ist New Workspace das bevorzugte Flächenkonzept in der Lufthansa Group und wird nach und nach in der Gruppe ausgerollt.
Der Veränderungsprozess wird durch ein umfangreiches Change-Management unterstützt. Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter/innen durchlaufen eine Workshop-Reihe, in deren Verlauf sie sich mit der Gestaltung der Flächen, mit dem Thema Zusammenarbeit und der Ausgestaltung der geltenden Regeln beschäftigen. Von Anfang an werden sie intensiv eingebunden. Die Nutzer/innen der jeweiligen Fläche entscheiden zum Beispiel, wie diese tatsächlich aussehen wird, welche Module zu ihren jeweiligen Anforderungen passen und welche Sharing Ratio (Verhältnis Nutzer/innen zu Standardarbeitsplätzen) angewandt wird. Hervorhebenswert bei unserem Konzept ist, dass wir wirklich alle Nutzer/innen einbinden, nicht nur Nutzervertreter/innen. Dies hat eine entscheidende Wirkung auf die Identifikation mit der Fläche und vor allem auch auf die Nachhaltigkeit des Veränderungsprozesses.
Weiter bieten wir Workshops zu den Themen Führung und Zusammenarbeit an. Nicht zu unterschätzen ist nämlich der Widerstand, der zu Beginn eines solchen Prozesses vorhanden ist. Der Verlust des eigenen Schreibtisches oder des eigenen Büros ist ein sehr emotionales Thema und für viele ein sehr schwerer Schritt. Oft treten hier Ängste auf, etwa: Was passiert mit mir und meinem Team, wenn wir nicht mehr zusammensitzen? Diese Ängste müssen thematisiert, Emotionen besprochen werden. Teilweise wird allein damit schon Widerstand abgebaut. Führungskräfte tauschen sich in ihrem Führungsteam zu den Themen Veränderung der Führungskultur, gemeinsames Führungsverständnis etc. aus. Die Einführung von Remote-Working für alle Mitarbeiter/innen verändert sehr viel für die Führungskraft. Kommunikationswege müssen angepasst und es muss sehr bewusst auf die Teamdynamik geachtet werden.
Die Mitarbeiter/innen setzen sich in ihrem Workshop mit der veränderten Arbeitsumwelt auseinander und vereinbaren gemeinsam Regeln für die Zusammenarbeit. Eines unserer kulturellen Ziele, nämlich die Zusammenarbeit zu verändern, wird in unserem New-Workspace-Prozess gleich mit umgesetzt. Alle Nutzer/innen entscheiden nicht nur über die Ausgestaltung der Fläche, sondern auch über das Wie des „Zusammenlebens“. Zusätzlich bieten wir eine Schulung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen an, eine Wiederholung zu den Themen Arbeitszeit, Versicherung und Datenschutz.
Einige Jahre später wurden dann bei Ihnen Collaboration-Areas eingerichtet …
Die Entwicklung zeigt, dass immer mehr mit agilen Methoden gearbeitet wird, gerne auch für eine längere Zeit. Dafür werden wieder andere Räumlichkeiten benötigt. Gerade Projektteams möchten ihre Räume über mehrere Tage hinweg benutzen, ohne abends alles wegräumen zu müssen. Sie beschreiben Wände von vorne bis hinten und bekleben sie mit Post-its. Möbel werden von links nach rechts geschoben und in die Ecke gestellt. Kurz: Sowohl die Möbel als auch die Flächen müssen flexibel und variabel sein. Dem tragen wir mit unseren Collaboration-Areas Rechnung, wo man zum Beispiel auch mit Vorhängen oder Stellwänden neue Raumsituationen schaffen kann, so ziemlich alle Oberflächen (Wände und Tische) beschreibbar sind und dazu auch noch neueste IT zum Einsatz kommt.
Was sind Q-Lab und X-Space?
Das sind zwei unserer Collaboration-Areas. Das Quest-Lab wurde 2017 von unserer Personalvorständin ermöglicht, die ihr Büro der Allgemeinheit zur Verfügung stellte, um dort agile Projektarbeit zu fördern. Ich kann mich als Projektteam in der Fläche einmieten und bekomme bei Bedarf auch durch einen agilen Coach Unterstützung. Das X-Space entstand in einem anderen Gebäude auf Wunsch eines großen Fachbereichs, der sich eine eigene Fläche für agile Projekte und Workshops wünschte.
Gibt es bei Ihnen auch noch genügend Platz für konzentriertes Arbeiten?
Große Räume mit vielen Modulen verbessern die Kommunikation und den Austausch. Sie bieten viele Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, haben aber gerade verglichen mit Einzel- oder Zweierbüros den Nachteil, dass die Bedingungen für konzentriertes Arbeiten darunter leiden. Natürlich kann ich mich in einen Thinktank oder ein anderes Modul zurückziehen, wenn ich mich konzentrieren möchte. Aber die Hemmschwelle, einen Raum für Einzelarbeit zu blockieren, ist größer als für ein Meeting. Daher werden wir ab 2020 sogenannte Silent Areas einführen. Denken Sie an große Universitätsbibliotheken, in denen weder gesprochen noch telefoniert werden darf. Auch in diesen Bereichen arbeiten wir wieder mit unterschiedlichen Modulen – großen langen Tischen, Standardarbeitsplätzen, Steharbeitsplätzen, eher gemütlichen Sitzmöglichkeiten und noch einigem mehr. In die Silent Area kann ich gehen, wenn ich ein Konzept erstellen, mich intensiv mit einem Thema beschäftigen muss oder auch, um zu lernen. Lernen hat für die Lufthansa Group einen hohen Stellenwert. Ein Raum, in den ich mich zurückziehen und ohne Ablenkung lernen kann, unterstützt dies.
Wie arbeitet Ihr New-Workspace-Team, das diese Entwicklung geplant hat?
Wir fungieren als Konzeptverantwortliche in der ganzen Lufthansa Group, validieren und entwickeln das Konzept ständig weiter. Wir sind als Kernteam viel unterwegs, schauen uns im In- und Ausland andere Unternehmen an. Jeder von uns ist im Austausch mit Peers in anderen Konzernen. In unser Konzept fließen Erkenntnisse aus allen drei Disziplinen ein. So hat sich zum Beispiel in den letzten Jahren bei den Raum-in-Raum-Lösungen sehr viel getan. Genauso wichtig ist aber aus HR-Sicht der Wandel im Führungsverständnis im Rahmen von New Work. Als crossfunktionales Team zu arbeiten ist sowohl eine Bereicherung als auch eine Herausforderung. Die Kollegen sind kritische Beobachter, die überzeugt werden müssen. Aber gleichzeitig ist es auch ein guter Test, ob Ideen und Vorschläge auch von ihnen aufgenommen werden. Sehr wichtiges Kontrollinstrument ist das Feedback der Nutzer/innen. Wir schalten zu Beginn des Rollout-Prozesses eine Online-Umfrage und eine weitere sechs Monate nach Einzug. Letztes Jahr, also zwei Jahre nach der Implementierung von New Workspace, haben wir alle Nutzer/innen unseres Headquarters online um Feedback gebeten und im halbjährlichen Turnus laden wir die Ansprechpartner/innen der Homezones zu einem Treffen ein.
Wenn wir einen Rollout in einer Business Unit durchführen, haben wir immer ein eigenes Projektteam als Pendant. In Kürze startet der Rollout bei SWISS. Dort gibt es auch schon ein crossfunktionales Team bestehend aus HR, IT und REM, das den Rollout umsetzt. Das Kernteam steht beratend als Wissensträger zur Verfügung.
Wie beurteilen Sie Ihre Umstellung auf flexible Büroarbeit aus heutiger Sicht?
Die Umstellung ist uns gut gelungen. Ich darf stolz behaupten, dass die Nutzer/innen mit New Workspace zufrieden sind und es auch als geeignetes Konzept für die administrativen Tätigkeiten erachten. Das umfangreiche Change-Management zahlt sich deutlich in der Nachhaltigkeit aus. Ein derart flexibles Konzept verleitet allerdings auch dazu, die Belastungsgrenzen auszutesten. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass die Belegungszahlen nicht mit den Nutzungszahlen gleichzusetzen sind. Die Lufthansa Group operiert als Matrixorganisation, dementsprechend kommen viele Kolleg/innen aus anderen Business-Units in das Gebäude. Sie können problemlos dort arbeiten, aber erhöhen dementsprechend die Nutzung. Aktivitätsorientierte Arbeitsflächen bieten viele kleine Besprechungs- und Rückzugsmöglichkeiten an. Wenn ich den Nutzungsgrad aber zu sehr erhöhe, fehlen mir diese irgendwann. Wir werden daher ab 2020 ein Analysetool einsetzen, das uns genaue Auslastungszahlen liefern kann und in Zukunft eine bessere Steuerung erlaubt.
Weitere Herausforderung ist der tatsächliche Betrieb. Nach Projektabschluss, also der Einführung von New Workspace, geht die Verantwortung für den Betrieb wieder auf die Linienfunktionen über. Das bedeutet, für Real-Estate-Fragen wäre das Flächenmanagement verantwortlich, für Themen rund um die Zusammenarbeit die Personalbetreuung. De facto lassen sich die Themen aber nicht mehr trennen und müssen auch im Betrieb crossfunktional betreut werden. Das Thema New Work lässt sich nicht mit herkömmlichem Silodenken lösen. Nutzer/innen interessieren sich nicht für Zuständigkeiten. Sie erwarten, dass Probleme gelöst werden und sie sich nicht an mehrere Ansprechpartner/innen aus unterschiedlichen Fachbereichen wenden müssen.
Was können Sie anderen empfehlen?
Als unabdingbar würde ich die crossfunktionale Zusammensetzung des Implementierungsteams erachten, auch wenn das die Komplexität der Projektarbeit auf den ersten Blick erhöht.
Ebenso wichtig ist es, nicht nur die Arbeitsflächen und IT-Tools zur Verfügung zu stellen, sondern eben auch am Mind- und Skillset zu arbeiten. Idealerweise findet zunächst eine kritische Auseinandersetzung mit der heutigen Arbeitskultur statt und der Frage, wie soll sie in Zukunft aussehen. Dazu braucht es eine Strategieentwicklung, angepasst an den Unternehmenskontext, aber auch unter Berücksichtigung der Themen Digitalisierung, Flexibilisierung etc. Dieser Wandel muss begleitet werden, sowohl bei den Führungskräften als auch den Mitarbeiter/innen. Der Wandel muss dann aber auch konsequent vollzogen werden. Der Verzicht auf Führungskräftebüros und die Einführung von Remote-Working sind wichtige Signale in die Organisation, dass der Wandel ernst gemeint ist. Empfehlen würde ich noch von Anfang an die Einbindung der Mitbestimmungsgremien in den gesamten Prozess und auch aller Nutzer/innen, nicht nur von Nutzervertreter/innen.
Und last but not least sollte die Zusammenarbeit zwischen HR, IT und REM nach Einführung nicht aufhören, sondern langfristig im Betrieb weitergeführt werden.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.