Alle reden von Gesundheit, werden aber nicht gesünder. Das Bewusstsein für eine gesunde Büroarbeit ist vorhanden. Aber an der Umsetzung scheitern viele. Ein Kommentar von Robert Nehring.
Das Thema Gesundheit wird von vielen Missverständnissen begleitet. Das fängt schon beim beliebten Ausspruch „Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper“ an. Die Übersetzung der entsprechenden Stelle beim römischen Dichter Juvenal besagt eigentlich nur, dass einem gesunden Geist auch ein gesunder Körper zu wünschen sei. Sogar die berühmten 10.000 täglich zu gehenden Schritte haben sich als Mythos bzw. Reklame entpuppt. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass diese griffige Zahl zum ersten Mal vor etwa 40 Jahren in Japan auftauchte – als Teil eines Werbeslogans für einen Schrittzähler. Eine US-Studie kam vor einigen Jahren beispielsweise auf nur 8.000 zu absolvierende Schritte pro Tag. Und schließlich geben auch die schnell wechselnden und sich nicht selten widersprechenden Trends der Ernährungsberatung sehr zu denken.
Wovon wir sicher ausgehen können, ist, dass Arbeit nicht krank machen sollte, im Büro aber mit negativem Stress, optischen und akustischen Ablenkungen, Bewegungslosigkeit und falscher Ernährung sehr ernstzunehmende Risiken für die Gesundheit lauern.
Gesundheit im Büro: Theorie versus Praxis
Der aktuelle Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse stellt fest, dass die Anzahl der gemeldeten Fehltage im vergangenen Jahr bundesweit um 2,5 Prozent auf durchschnittlich 15,5 Fehltage pro Erwerbsperson gestiegen ist. Aus dem jüngst erschienenen „Psychoreport 2019“ der Deutschen Angestellten-Krankenkasse geht hervor, dass sich die Krankschreibungen aufgrund psychischer Probleme in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdreifacht haben. Das sind alarmierende Zahlen, vor allem für die Bürowelt, in der heute mehr als jeder zweite Beschäftigte tätig ist.
Einerseits ist das Thema gesunde Büroarbeit omnipräsent, in den Medien, in den Unternehmen, befeuert durch Krankenkassen, Berufsgenossenschaften sowie durch Sport- und Ernährungstrends (Jogging, Yoga, Pilates, Diäten etc.). Die meisten Office-Worker wissen, wie sie ihre Gesundheit erhalten können. Auch wenn der Gesundheitsaspekt in der Bürowelt angesichts aktueller Trendthemen wie Digitalisierung, Flexibilität, New Work, Coworking und Start-up-Likeness kein Topthema mehr sein mag. Andererseits hapert es offenbar an der Umsetzung. Viel im Büro Tätige handeln wider besseres Wissen. Sie bewegen sich nicht, ernähren sich falsch und lassen sich ablenken. Letzteres nennen sie dann Multitasking.
Wer länger sitzt, ist früher tot
Besonders gesundheitsschädlich ist für Office-Worker das Fehlen von ausreichender Bewegung. Bereits in den 1950er Jahren haben Wissenschaftler festgestellt, dass Londoner Busfahrer, die berufsbedingt viel sitzen, ein doppelt so hohes Herzinfarktrisiko hatten wie ihre Schaffnerkollegen, die sich während der Arbeit bewegten. Eine Metastudie mit 800.000 Fällen bestätigte 2011, dass vorwiegend sitzende Menschen sehr viel häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen erleiden als Menschen in Berufen mit viel Bewegung.
Der menschliche Körper ist grundsätzlich nicht für langes Sitzen gemacht. Unsere Vorfahren waren stets in Bewegung, als Jäger, Sammler usw. Der Homo sedens, der sitzende Mensch, ist erst eine Erscheinung der letzten 200 Jahre. Auf die sitzende Lebensweise konnte sich unser Organismus aber in der kurzen Zeitspanne nicht genügend einstellen.
Sobald wir sitzen, fährt unser Körper herunter. Muskelaktivität und Fettverbrennung sinken, der Blutzucker steigt. Und viele sitzen den ganzen Tag. Im Durchschnitt sollen es zwar (nur) 9,3 Stunden sein. Wir schlafen aber auch 7,7 Stunden im Schnitt, und wer nach dem Sitzjob im Auto sitzend nach Hause fährt, um dort den Rest des Tages auf der Couch zu verbringen, der kann auch schnell auf 14 Sitzstunden kommen. Die Folge vom Dauersitzen sind physische und psychische Beeinträchtigungen. Neben der Gesundheit leiden auch Wohlbefinden und Produktivität.
Weitere InformationenMehr zum Thema erfahren Interessierte auf dem Bürotrendforum Gesundheit am 2. Dezember 2019 in Fulda. Zusätzliche Informationen bieten auch verschiedene Initiativen. Die Aktion „Aufstand im Büro“ zum Beispiel setzt sich für mehr Sitz-Steh-Arbeit ein. Das Nutzen von bewegungsfördernden Sitzlösungen ist Anliegen der Initiative „Bewegung im Büro“. Einer besseren Raumakustik hat sich die Akustikaktion „Quiet please!“ verschrieben. |