Der 7. Oktober wird als Welttag für menschenwürdige Arbeit begangen. Eine gute Gelegenheit, mal wieder über das eigene Arbeitsverhalten und die eigene Arbeitsumgebung nachzudenken – sowie über die Arbeit der anderen.
Der Welttag für menschenwürdige Arbeit ging aus dem internationalen Tag für Gute Arbeit hervor, den der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) ins Leben rief und der seit 2008 organisiert wird. Überall auf der Welt mobilisieren die Gewerkschaften an diesem Tag Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit vielfältigen Veranstaltungsformaten, um die uneingeschränkte Achtung der Arbeitnehmerrechte einzufordern. Da nur etwa sieben Prozent aller Beschäftigten der formellen wie informellen Wirtschaft Gewerkschaftsmitglieder sind, versteht sich der Tag als weltweite Solidaritätsaktion, um allen Arbeitnehmern den gewerkschaftlichen Schutz zuzusichern und überhaupt zur Kenntnis zu bringen.
Würdelose Arbeit woanders
Wenn man an einem solchen Tag über menschenunwürdige Arbeit nachdenkt, kommen einem zunächst weniger die Arbeitsverhältnisse in Deutschland und Europa in den Sinn. Eher blicken wir auf jene Fakten, die Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller zum 1. Mai 2019, zum Internationalen Tag der Arbeit, in einer Pressemeldung zusammengestellt hat. Bezogen auf die Herkunft der Kleidung, die wir bei uns kaufen und die zu 90 Prozent aus Südostasien stammt, skizziert er die Arbeitsumstände und definiert damit das, was würdelose Arbeit ausmacht: „16-Stunden-Schichten in stickigen Fabriken, Kündigung bei Schwangerschaft. Und das alles für einen Hungerlohn, der kaum für Miete, Essen und den Schulbesuch der Kinder reicht. Weltweit müssen 150 Millionen Kinder auf Kaffee- oder Kakaoplantagen, in Fabriken oder Steinbrüchen schuften, weil die Eltern keine existenzsichernden Einkommen erhalten.“
Gemessen daran könnten wir uns eigentlich nicht beklagen und stattdessen zurücklehnen. Allerdings ist auch bei uns die Durchsetzung von Arbeits- und Sozialstandards kein Selbstläufer. Sie macht ein andauerndes Zusammenwirken von Politik und Wirtschaft sowie Zivilgesellschaft und Wissenschaft nötig. Würde will errungen sein.
Entwürdigung bei uns
Auf die Frage, wo die Menschenrechte beginnen, bemerkte Eleonore Roosevelt schon 1948, dass man sie an kleinen Orten suchen müsse, die auf keiner Weltkarte verzeichnet seien, weil sie der Welt jeder individuellen Person angehörten. Menschenrechte finde man in der Fabrik, auf dem Bauernhof, aber ebenso im Büro, weil auch das Büro ein Ort ist, wo jeder, egal mit welchem Hintergrund, sich „Gleichheit und Gerechtigkeit, Chancengleichheit, gleiche Würde ohne Diskriminierung“ wünsche. Legt man dieses Maß an, ist sofort erkennbar, wie häufig bei uns würdelos gearbeitet wird, und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Würdelosigkeit in Kauf nehmen müssen, um zu arbeiten. Die rechtliche Grundlage, die eine Verletzung der Würde ahndet, existiert mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, auch Antidiskriminierungsgesetz genannt.
Gleiches Recht für alle
Jeder besitzt den Rechtsanspruch, um gegen Benachteiligungen „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ vorzugehen. Insbesondere auf unsere Arbeitswelt bezieht sich das Gesetz und reicht vom Bewerbungsprozess bis zum Beschäftigungsverhältnis und dem Arbeitsentgelt. So wichtig dieses Gesetz ist, so denkwürdig erscheint es, dass es erst seit 2006 existiert. Dass es damals nicht etwa als selbstverständlich empfunden wurde, sondern durchaus umstritten war, lässt sich bei Wikipedia nachlesen. Gesetzestexte müssen also gelebt werden. Menschen sind zu ermutigen, ihre Würde auch mit Gesetzen zu wahren.
Mehr Würde wagen
Gesetze allein schaffen jedoch kein würdevolles Miteinander. Zivilcourage und Empathie, das Achten auf die Not anderer Mitbürger und Mitarbeiter, ist dafür entscheidend. Und Würde ist nicht allein die Abwesenheit entwürdigender Arbeitsbedingungen. Würde muss proaktiv vertreten wie gegeben werden, zum Beispiel durch die Wertschätzung, die man Kollegen vermittelt und von den Chefs erhält. Chefs kommt heute sicher auch die Aufgabe zu, nicht die Konkurrenz unter Kollegen mit Blick auf eine bessere Gesamtperformance anzuheizen, sondern schädliche Unwuchten im Team zu erkennen und zu beseitigen. Zu einer würdevollen Arbeit gehört ebenso, auf sich selbst zu achten. Was ist mir zuträglich? Wie gehe ich mit Druck und Stress um? Wie steht es um meine Work-Life-Balance? Diese Fragen sollte man sich stellen – nicht nur einmal im Jahr. Zudem sollte jeder auf die Suche nach geeigneten Antworten gehen.
Sexuelle Grenzüberschreitungen, sichtbare wie unsichtbare Burn-out-Fallen, schlechte Ernährung und verkümmerndes Sitzen am Arbeitsplatz: In deutschen Büros gibt es genügend Baustellen. Würdevolle Arbeit beginnt vielleicht mit einer ergonomischen Möblierung, aber sie endet nicht damit.