New Work ist in aller Munde. Manchmal hört es sich so an, als sei damit No Work gemeint. Robert Nehring versucht zu erklären, was „neue Arbeit“ ist und was diese mit seiner Tochter und mit Büromöbeln zu tun hat.
Meine Tochter ist vier. Am Abend vor meiner Reise zur NWX19, der New Work Experience von XING, bat ich sie, ihr Zimmer aufzuräumen. Die Antwort: „Ich muss nicht, was ich nicht will!“ Diesen Satz bekommen wir schon eine ganze Weile zu hören. Ich weiß nicht, von wem sie das hat. Von mir jedenfalls nicht. Schon ganz auf New Work programmiert hörte sich das diesmal aber für mich an wie: „Ich mach nur, was ich wirklich, wirklich will!“
New Work – Trend zur Infantilisierung
Tatsächlich kann ich mich beim Thema New Work des Eindrucks einer gewissen Infantilisierung nicht erwehren. Vielleicht liegt das am Duz-Dogma und an den Sneakern, die die Anhänger statt Krawatten tragen, oder an Forderungen wie „Nie mehr Chefs!“, „Das Büro ist tot!“, „E-Mails ins Museum!“ Vielleicht liegt das an den vielzitierten Generationen Y und Z. Die wollen und/oder sollen nämlich heute angesichts des Fachkräftemangels kräftig gepampert werden. Der Arbeitgeber als zweites Hotel Mama. Außerdem werden deren private Kommunikationsgewohnheiten zu Standards der künftigen Arbeitswelt erklärt: Snapchat, WhatsApp, Instagram, Facetime und „Standwanzen“ wie Alexa. Als ob die auch ihre Teddys mit zur Arbeit bringen würden, weil sie das als Kinder so gewohnt waren. Vielleicht liegt es auch an den Vorzeigeprojekten der New-Work-inspirierten Büroplaner, zu denen heute Kinderrutschen, Tischkicker, Kletterwände und Liegesofas gehören.
Ganz sicher liegt es daran, dass viele New Worker zu glauben scheinen, New Work sei Arbeit, „die man wirklich, wirklich will“. So wie der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann es schon in den 1970ern formuliert hatte. Dies ist jedoch nur ein Bestandteil seines New-Work-Konzeptes. Die beiden anderen sind Erwerbsarbeit und Selbstversorgung.
New Work als No Work?
Wenn New Worker auf New-Work-Kongressen über New Work sprechen, hört sich das schnell an, als meinten sie damit No Work. Wie soll man auch in den Vier-Tage-Wochen zwischen seinen Sabbaticals vor lauter Kommunikation, Ausprobieren lustig-agiler Methoden, Austauschen in der schicken Cafeteria und Yoga-Kursen noch zu echter, echter Arbeit kommen?
Solche Vorstellungen von New Work können entstehen, wenn Kreative, Berater und Freelancer, die „digitale Bohème“, ihre Möglichkeiten auf die übrige Arbeitswelt übertragen und sich dabei gegenseitig hochschaukeln. Solche Vorstellungen sind aber falsch und das wird auch zunehmend erkannt. Wer möchte da schon in der Nähe sein, wo niemand mehr nicht-selbsterfüllend arbeitet und alle nur noch tun, was sie wollen? New Work hat einen grundlegend positiven Kern. Durch Übersteigerungen verliert man ihn aus den Augen.
Wie new ist New Work?
Das Thema New Work ist alles andere als new, auch wenn es schwerfällt, einen Beginn dieses Trends zu datieren. Anschluss wird gern bei dem Sozialphilosophen Frithjof Bergmann gesucht, der New Work bereits in den 1970ern wesentlich als Arbeit definierte, „die man wirklich, wirklich will“. 2005 starteten in Deutschland erste Coworking-Spaces wie das Berliner St. Oberholz. 2012 sprach die Trendforscherin Birgit Gebhardt bereits auf Basis ihrer Studien von einer New Work Order. Seit 2017 veranstaltet das Businessnetzwerk XING mit den New Work Experiences imposante Events zum Thema. Von New Work im engeren Sinne wird vielleicht noch keine zehn Jahre gesprochen.
Was ist New Work?
Auch das ist gar nicht leicht zu bestimmen, denn das Phänomen ist nicht nur sehr facettenreich. Was unter New Work verstanden wird, verändert sich auch mit der Zeit.
Treiber der „neuen Arbeit“ sind die zunehmende Flexibilität der Arbeit, die durch die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht wird, und der wachsende Fachkräftemangel, der Arbeitgeber im sogenannten War for Talents zu noch nie dagewesenen Freiheiten für seine Beschäftigten zwingt.
Büro- bzw. Wissensarbeit kann heute zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten und auf verschiedene Weise erfolgen. Das hat zu ihrem grundlegenden Wandel beigetragen. Diese Entwicklung bringt viele Vorteile mit sich, birgt aber auch zahlreiche Herausforderungen.
New Work wird vor allem als Gegenbegriff zu bisherigen, veralteten Arbeits- und Geschäftsmodellen gebraucht. Old Work ist für New Worker das in Ämtern und traditionell geführten Großunternehmen praktizierte Silodenken, bei dem der Horizont bestenfalls bis zur Grenze der eigenen Abteilung reicht. Als Old Work gelten auch das Büro als Arbeitsort, die Trennung von Arbeit und Freizeit, Hierarchien, Nine-to-five-Festanstellungen sowie die Kommunikation mit Brief, Fax und E-Mail. Verpönt sind Krawatten und Siezen.
New Work ist eine neue Arbeitskultur, zu der ein neues Miteinander, ein neues Selbstverständnis, neue Arbeitsmethoden sowie neue Arbeitsorte und -umgebungen gehören.
New Work: Ein neues Miteinander
New Work richtet sich gegen traditionelle Top-down-Strukturen in Unternehmen, bei denen der Ober dem Unter Weisungen erteilt. Großen Einfluss hatte in diesem Zusammenhang das Buch „Holacracy“ von Brian Robertson aus dem Jahr 2015. Der Autor zeigt, wie jeder im Unternehmen Führungskraft sein kann und dadurch mehr Flexibilität erreicht wird.
Zum neuen Miteinander gehört eine Zunahme von flexiblen Arbeitszeitmodellen (etwa Vertrauensarbeitszeit und Sabbatical) sowie von Projektarbeit. Zu Letzterer werden vor allem freiberufliche Experten herangezogen, die dann oft als virtuelle Teams – also nicht am selben Ort – zusammenarbeiten. Das setzt hohe Selbstorganisation voraus und bedingt häufig Mosaikkarrieren. Außerdem sind zunehmend (unternehmerisch mitdenkende) Intrapreneure gefragt.
Immer öfter kommt ein institutionalisiertes Feelgood-Management zum Einsatz, das weit über Obstkorb, Massage und Concierge-Dienste hinausgeht. Damit sich die Mitarbeiter wohlfühlen, überschlagen sich heute vor allem Konzerne mit Annehmlichkeiten.
Zu New Work gehören in diesem Zusammenhang auch mehr Diversity, mehr Demokratisierung mit mehr Gleichberechtigung, Stichwort Equal Pay, und eine amerikanische Fehlerkultur, die das Scheitern von Projekten nicht automatisch bestraft.
Die neue Arbeitskultur bringt allerdings auch die angesprochene Infantilisierung mit sich. Die Old Economy möchte jetzt sein wie junge Start-ups, sogar in der Mode. Wenn sich aber 60-Jährige wie Millennials kleiden und sich DAX-Unternehmen mit Tischkickern und Kinderrutschen à la Google brüsten, dann nimmt das hier und da groteske Züge an.
New Work: Selbstverständnis und Methoden
Unternehmen, die New-Work-Ansätze verfolgen, ist es wichtig, nicht mehr als Produzenten oder Boxenschieber wahrgenommen zu werden. Sie wollen kompetente Berater, Möglichmacher, Kundenwunscherfüller sein. Ihre Geschäftsmodelle werden digital. Dabei zeigen sie zum einen disruptives Plattformdenken. Zum anderen geht es ihnen aber auch um Brand Purpose – um Sinn sowie soziale und ökologische Verantwortung.
Die digitale Transformation bringt neue Arbeitsmethoden auf den Plan, dank derer sich schneller und flexibler agieren lässt – etwa Scrum, Kanban, Design Thinking, Prototyping und Working Out Loud. Vorbild agiler Methoden ist zum Beispiel Software, die von kleinen Teams entwickelt und bereits früh „auf die Straße gestellt“ wird, um schnell ihr Potenzial einschätzen und Verbesserungsvorschläge von Nutzern einbeziehen zu können.
New Work: Neue Orte und Umgebungen
Ein zentraler Aspekt von New Work sind New Workplaces. Zum einen sind darunter sogenannte Third Places zu verstehen. Das sind Orte wie Coworking-Space, Café und Zugabteil, die neben Home-Office (First Place) und Firmenbüro (Second Place) zunehmend für die Arbeit genutzt werden.
New Workplaces gibt es aber auch an den Second Places. Dort stehen heute Wohlbefinden und Flexibilität im Mittelpunkt. Die Küche wird oft zu einem Café, das als zentraler Kommunikationsort fungiert. Mittelzonen werden mit Soft-Seating-Möbeln zu wohnzimmerartigen Wohlfühloasen umgestaltet. Bei den Büroformen hat sich ein Wandel vom Open Space zu Multispaces vollzogen, der auch exemplarisch für ein sich veränderndes New-Work-Verständnis ist. Multispaces sind die Basis für das heute angesagte Activity-Based-Working, bei dem für jede Tätigkeit der passende Arbeitsbereich bereitsteht. In diesem Konzept werden auch wieder mehr Rückzugsräume bedacht.
New Work: Zukunft trotz Herausforderungen
Der Begriff New Work steckt voller Gegensätze und Widersprüche. Für die einen ist New Work ein Werkzeugkasten, der mal ausprobiert werden kann. Für andere – wie den Belgischen New-Work-Experten Frédéric Laloux (Autor von „Reinventing Organization“) – vor allem eine Haltung. Manche New Worker plädieren für die Abschaffung von Vorgesetzten, andere halten diese für entscheidend bei der Umsetzung von New Work. Manche halten das Büro als Arbeitsort für tot. Andere haben genaue Vorstellungen davon, wie ein solches heute aussehen sollte. Manche fordern die Vier-Tage-Woche. Anderen macht es nichts aus, „immer“ zu arbeiten, weil „sie lieben, was sie tun“.
Es gibt viele Herausforderungen, die New Work zu meistern hat. Oftmals sinkt bei der Anwendung zum Beispiel die Produktivität. Dank Informationsflut, Multitasking und Ablenkungen sind wir ständig beschäftigt, schaffen aber nichts mehr. Weil wir im Schnitt 88 Mal am Tag aufs Smartphone schauen. Weil unsere Aufmerksamkeitsspanne auf durchschnittlich acht Sekunden und damit unter die des Goldfischs gesunken sein soll. Weil Office-Worker 2016 im Schnitt alle drei Minuten von anderen oder sich selbst unterbrochen wurden (2006 „nur“ alle elf Minuten), 23 Minuten benötigten, um wieder voll bei einer Sache zu sein, und also an einem 8-Stunden-Tag nur hochgerechnet 90 Minuten arbeiteten.
Auch die Gesundheit gerät in Gefahr. Etwa da, wo auf wadenhohen Sofas mit Notebooks auf den Knien gearbeitet wird. In offenen Bürolandschaften, die oft nach dem Motto „Erst Wände raus, dann (Stell-)Wände rein“ erschaffen wurden, sind auch visuelle und akustische Störungen ein großes Problem. In vielen Coworking-Spaces, Start-ups und Home-Offices scheinen Regelwerke für eine gesunde Arbeit jegliche Bedeutung verloren zu haben. Dann ist nicht jeder zu einer Entgrenzung der Arbeit bzw. einer Vermischung von Arbeit und Privatem bereit. Und wie es Johannes Czwalina und Clemens Brandstetter in Ihrem Buch „Vom Glück zu arbeiten“ formuliert haben: „Der flexible Mensch […] ist überall, nur nicht bei sich.“ New Work hat bereits zu neuen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt: Smombie-Unfälle, digitale Demenz, erworbenes Aufmerksamkeitsdefizit ADT, Burn-out, emotionale Verflachung usw. Und es werden weitere hinzukommen.
Es gibt noch viele andere Herausforderungen: etwa die prekären Beschäftigungsverhältnisse beim Crowdworking (Stichwort Gig Economy), die Vereinsamung von digitalen Nomaden, die zeitlichen Vereinnahmung durch Wohlfühlbüros oder die totale Abhängigkeit vom Internet mit all ihren Gefahren.
Aber all diese Widersprüche und Herausforderungen ändern nichts daran, dass New Work weiter voranschreitet und dies generell eine so notwendige wie begrüßenswerte Entwicklung ist. Ganz egal, ob New Work morgen vom Buzz-Wort zum Hass-Wort wird, wie das bei Trends nicht unüblich ist. Oder in New Workisch: Wir können die Welle ohnehin nicht stoppen, nur lernen, auf ihr zu reiten.