Gut organisiert läuft vieles leichter. Nicht nur im Büro, findet Dr. Alexandra Hildebrandt. Dieses Mal erläutert sie, wie Zettel helfen können, die Ordnung, Struktur und Kreativität während des Arbeitstags zu fördern.
Dem Chaos und der Unordnung der Welt haben die Klugen schon immer eine eigene Logik entgegengesetzt, die sie selbst geschaffen haben: durch auswählen, sammeln, zerlegen und neu zusammenfügen. Zahlreiche Studien verweisen darauf, dass in unübersichtlichen und unsicheren Zeiten für die Generation Z (zwischen 1995 und 2010 geboren) die Konzentration auf das Kleine und Machbare ein wichtiger Aspekt ihres Wertesystems ist. Viele junge Menschen haben sogar den Berufswunsch, Beamte zu werden. Das hat nicht nur mit dem Bedürfnis nach Sicherheit in einer komplexer werdenden Wirklichkeit zu tun, sondern auch mit der Sehnsucht nach Übersicht, Fokussierung und Aufgeräumtheit.
Vom Sortieren zum Zettelkasten
Es ist sicher kein Zufall, dass der Soziologe, Gesellschaftstheoretiker und Verwaltungsjurist Niklas Luhmann (1927-1998) noch immer ein vielgelesener Autor ist. Auch junge Menschen sind von ihm fasziniert und setzten ihm in einem Comicbuch buchstäblich sogar ein Denk-Mal. Luhmann war ein sammelnder Denker und denkender Sammler. Er begann in den 1950er Jahren einen Zettelkasten aufzubauen, der zu einem rasant anwachsenden, dynamischen Katalog mit einem Register wurde. Mithilfe manövrierbarer Zettel setzte er unterschiedliche Begriffe, Theorien und historische Dokumente in Beziehung, verschob sie und arrangierte sie wieder neu. Am Ende umfasste der Kasten insgesamt 90.000 Zettel.
Das zweite Gedächtnis
Klares Denken und Schreiben brauchen Struktur und Präzision. Deshalb ist der Zettel für viele Menschen auch im Digitalisierungszeitalter unverzichtbar. Luhmanns Zettelkasten („Zweitgedächtnis“) überraschte ihn immer wieder und brachte ihn auf neue Ideen. Was Luhmann modern und anziehend für die junge Generation macht, ist sein Denken in Alternativen und Möglichkeiten – und seine Erkenntnis, dass wir im Komplexitätszeitalter überraschende Strukturveränderungen verkraften müssen, die durch Zufälle ausgelöst sind.
Ein weiterer Zettel-Schriftsteller
Ein Autor der Zettelkästen und Pionier des Computers war auch Walter Kempowski (1929-2007). Über sein Zettel-Imperium schrieb Sabine Wolf, Leiterin des Literaturarchivs in der Berliner Akademie der Künste, verschiedene Beiträge. Sie beschäftigt sich darin unter anderem mit dem Zettelkasten als Urform des Archivs: So verkündete Kempowski bereits als Zehnjähriger, dass er „Archiv“ werden will. Damit verbunden war der Wunsch, Dinge zu erschließen, zu strukturieren, zu bewahren und anderen zugänglich zu machen. Sabine Wolf verweist darauf, dass er schon als Schüler Lektürelisten führte und Kinofilme auf Karteikarten verzeichnete.
Seine Verzettelungsmethoden entwickelte er stetig weiter, indem er Transkriptionen von Tonbandinterviews in Partikel zerlegte, einzelne Erzählpassagen auf Stichwortzettel notierte und diese nach bestimmten Schwerpunkten in Karteikästen zusammenstellte. Auf diese Weise wurde die Vielfalt des Lebens in übersichtliche Formen gebracht, neu strukturiert und arrangiert: Gerüst und Inspirationsquelle zugleich. Er hinterließ Tausende von Karteikarten. Sabine Wolf betont die Absicht des Schriftstellers, damit die Facetten der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts besser verständlich machen zu wollen „und daraus - womöglich - zu lernen“.
Nachhaltige Nebensächlichkeiten
Büromaterialien haben Walter Kempowski schon immer fasziniert: „Ein sauber angespitzter Bleistift, ein Füllfederhalter mit goldener Feder, Ordner, Notizbücher jeder Art und Karteien.“ Dafür begeistert sich auch die Claudia Silber, Leiterin Unternehmenskommunikation bei der memo AG. Sie bezeichnet sich selbst als einen Menschen, der Unterlagen zu erledigten Projekten immer sofort ablegt „und zwar so, dass diese auch danach wieder auffindbar sind. Unterlagen zu laufenden Projekten oder Dokumente, auf die ich laufend Zugriff haben muss, sind bei mir nach Thema abgelegt und zwar in zwei Ablage- und Sortierboxen aus Holz.“
Das Kleine und Unscheinbare ist ihrer Ansicht nach nicht zu unterschätzen im großen Chaos der Welt: „Selbst mit Büroklammern lässt sich eine Brücke zum Thema Ordnung schlagen – auch diese kleinen Dinge sorgen dafür, etwas zusammenzuhalten und einzuordnen.“ Wer es nachhaltig mag, kann sie auch in runder oder eckiger Ausführung aus FSC-zertifiziertem Holz kaufen. Das scheinbar Nebensächliche wird im Zeitalter der Digitalisierung besonders geschätzt, weil die Welt dadurch wieder greifbar wird.
Literatur:
Claudia Silber/Alexandra Hildebrandt: „Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl“, Amazon Media EU S.à r.l., Kindle Edition.
Julian Müller/Ansgar Lorenz: „Niklas Luhmann. Philosophie für Einsteiger“, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn, 2016.
Sabine Wolf: „Karteien sind auch nicht zu verachten. Walter Kempowskis ‚Zettel-Imperium‘ “. In: Heike Gfrereis/Ellen Strittmacher (Hg.): „Zettelkästen. Maschinen der Phantasie“, Marbacher Katalog 66, Marbach am Neckar 2013, S. 77-83.
Sabine Wolf: „Aufbrüche in die Moderne“. In: Wolfgang Trautwein/Julia Bernhard (im Auftrag der Akademie der Künste): „Das Archiv der Akademie der Künste“, Berlin 2013, S. 99-108.
Dr. Alexandra Hildebrandt, Publizistin, Wirtschaftspsychologin und Nachhaltigkeitsexpertin.
Twitter: @AHildebrandt70 Foto: Steffi Henn
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