Die große Büroeinrichtungsmesse Orgatec ist vorüber. Die Stimmung war großartig, und es gab viel Interessantes zu sehen. Ein Blick zurück auf Trends und Highlights. Von Dr. Robert Nehring.
Vom 25. bis 29. Oktober fand in Köln die Orgatec statt. Die „Internationale Leitmesse für moderne Arbeitswelten“ stand unter dem Motto „Creativity works. Arbeit neu denken“. Wir waren vor Ort und haben 160 Aussteller besucht. Wir machten insgesamt ca. 100.000 Schritte und legten etwa 100 km zurück.
Großartige Stimmung
Die gute Stimmung in der deutschen Büromöbelbranche übertrug sich auf die Messe. Überall zufriedene Gesichter. Das war auf den letzten Orgatecs nicht der Fall. Die Büromöbelindustrie hat derzeit auch allen Grund zur Freude: Laut Handelsverband HBS steigerten die deutschen Büro- und Objekteinrichter ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 15,5 Prozent. Die Erwartungen für das gesamte Jahr 2016 sind entsprechend. Das Jahr 2015 schlossen die Büro- und Objekteinrichter bereits mit einem Rekordumsatzplus von zwölf Prozent ab. Insgesamt wurden knapp 2,5 Milliarden Euro umgesetzt (2014 2,2 Milliarden Euro). Der aktuelle „Branchenfokus Büromöbel“ des IFH Köln und der BBE Handelsberatung errechnete für 2015 sogar ein Umsatzvolumen von 2,85 Milliarden Euro.
Zur guten Messestimmung trugen auch das Rahmenprogramm mit verschiedenen Sonderschauen und interessanten Konferenzen sowie die Besucherzahlen bei. Mit mehr als 56.000 Besuchern aus 118 Ländern kamen circa zehn Prozent mehr Personen auf die Messe als bei der vorangegangenen Orgatec 2014. Besucher, die in kurzer Zeit mehrere exemplarische Messehighlights sehen wollten, konnten die Führungen nutzen, welche die Mensch&Büro-Akademie zusammen mit unserem Verlag organisiert hatten.
Auch in Bezug auf Fläche und Aussteller war die Orgatec 2016 ein Erfolg: Auf einer Bruttoausstellungsfläche von rund 130.000 m2 (2014: 105.000 m2) stellten 671 Unternehmen aus 40 Ländern aus (2014: 627 aus 40 Ländern). Darunter befanden sich 178 Aussteller und vier zusätzlich vertretene Firmen aus Deutschland (2014: 206+5). Hersteller mit großen Namen wie Steelcase, Herman Miller, Bene oder USM überlegen es sich angesichts dessen vielleicht, 2018 wieder mit dabei zu sein.
Für uns jedenfalls bleibt die Orgatec die Großmesse, auf der das Büro von seiner schönsten Seite gezeigt wird. Nichts gegen schöne Schreibgeräte und Organisationsmittel (Paperworld), smarte Soft- und Hardware (Cebit) oder gar bunte Consumer Electronics (IFA), unser Favorit bleibt die Orgatec.
Die Orgatec-Trends 2016
2014 konstatierten wir als die großen Trends, die sich auf der Messe abzeichneten: 1) mehr Bewegungsförderung, 2) zunehmende Digitalisierung, 3) Vormarsch loungiger Mittelzonenmöbel und 4) Akustik als großes, endlich ernst genommenes Thema. Diese Trends bleiben auch zwei Jahre später hoch aktuell.
Mehr Bewegungsförderung
Dass sich im Büro viel mehr bewegt werden sollte, um die Gesundheit nicht zu gefährden, ist nicht nur bei den Büromöblern, sondern auch bei den Nutzern weitgehend angekommen. Endlich schlägt sich diese Erkenntnis aber auch in den Verkäufen nieder. Laut dem deutschen Büroeinrichtungsverband, der auf der Orgatec seine Umbenennung von bso in IBA Industrieverband Büro und Arbeitswelt bekannt gegeben hat, ist mittlerweile jeder zweite in Deutschland ausgelieferte Schreibtisch eine Sitz-Steh-Lösung. Bewegungsfördernde Sitz-Steh-Tische werden also auch hierzulande endlich zum Standard.
Die Produzenten sind aber bereits einen Schritt weiter. So zeigte gefühlt jeder Bürostuhlhersteller auf der Orgatec nun auch eine Stehhilfe – eine Sitzmöglichkeit für die Arbeit im Stehen. Von den Neuheiten in dieser Gattung gefielen uns am besten: Mickey von Profim, W3 von Wagner mit Turnschuhsohle, Solo von Rovo, Free von Ongo, repiroue von Okamura. Vorreiter Wilkhahn, der mit seinem Stitz das Thema hoffähig gemacht und zuletzt mit seinem Stand-up für Furore gesorgt hatte, zeigte auf der Orgatec erneut eine wegweisende Interpretation des Themas: Sein PrintStool One ist ein dynamischer und komplett biologisch abbaubarer Sitzhocker, dessen Bestandteile sich vollständig und nach eigenen Vorstellungen hinsichtlich Form, Farbe und Größe von einem 3-D-Drucker ausgeben lassen.
Die Tischproduzenten wiederum befeuern den Trend zur Büroarbeit im Stehen nun auch mit Konferenztischen, die sich im Nu auf Stehhöhe bringen lassen. Auf Nachfrage schon seit Längerem lieferbar, wurden solche nun auch ins Standardprogramm aufgenommen. Besonders gelungene Modelle, mit denen Sitzungen zu Stehungen werden können, waren für uns: Table.T von König + Neurath, die neue Sitz-Steh-Variante des Keypice Communication Desk von Walter Knoll, der Konferenztisch aus der Serie String Works von String und M1 desk von Bosse.
Es gab auch wieder viele bewegungsfördernde Arbeitsstühle auf der Orgatec zu sehen. Highlights waren der bereits 2015 gelaunchte IN von Wilkhahn mit der von seinem großen Bruder ON bekannten 3-D-Mechanik namens Trimension, der Connex2 von Klöber mit 3-D-Sitzfläche, der Fern von Haworth, dessen Struktur einem Endoskelett nachgebildet ist, sowie Maniola von SitEmotion, der ein Zurücklehnen bis 47° ermöglicht.
Eine neuere und nicht weniger positive Entwicklung ist, dass auch immer mehr Konferenzstühle beweglich werden. Denn in Meetings ist die Gefahr langen starren Sitzens besonders groß. Sehr gut gefallen haben uns die schwingenden Neuheiten Metrik und Occo von Wilkhahn, S 95 von Thonet, Artiso von Köhl, Elipsis von Viasit und Ray von Brunner.
Das Thema Bewegung ist demnach im Büro angekommen. Davon zeugen übrigens auch Stehbretter, -boards und -matten, die zum Austarieren des Gleichgewichts zwingen, wenn man auf ihnen steht, zum Beispiel das BuzziBalance von BuzziSpace oder das Balance Board von Ongo.
Die Losung der Stunde lautet: Use it or lose it. Denn mit den neuen bewegungsfördernden Möbeln kann die tiefliegende gefiederte Kernmuskulatur rund um die Wirbelsäule angeregt und gestärkt werden. Ihr Verkümmern zählt zu den größten Gesundheitsrisiken für Büromenschen.
Zunehmende Digitalisierung
Mit Spannung haben wir Lösungen für das sogenannte Büro 4.0 erwartet. Denn 2014 deutete sich bereits an, dass auch die Büromöbelproduzenten verstärkt auf den Smart-Office-Zug aufspringen und etwa passende Apps zu ihren Möbel anbieten würden. Tatsächlich präsentierten König + Neurath mit K+N Smart.Office und Sedus mit se:connect umfassend konzipierte Apps, mit denen Arbeitsplatz, Arbeitsumgebung und Gebäudemanagement vernetzt werden können.
Nicht weniger spannend waren viele Apps, die rein zur Bewegungsförderung beitragen sollen, etwa motion by Mauser, ISent von Interstuhl, Ongos Active App oder OfficeIQ von Humanscale.
Eng verwandt mit der voranschreitenden Digitalisierung ist das Thema Elektrifizierung. Viele Tischproduzenten präsentierten sogenannte Wireless-Charging-Oberflächen, also Tischbereiche, an denen dank induktiver Qi-Technik das drahtlose Aufladen von Smartphones und teilweise sogar Notebooks möglich ist – sofern die Geräte dafür geeignet sind. Was sogar schon bei IKEA erhältlich ist und die Firma C+P seit Langem zeigt, bieten nun zum Beispiel auch Sedus, VS und Nurus.
Technikintegration war ein zweiter augenfälliger Elektrifizierungstrend. Es gelingt zunehmend, Arbeits- und Konferenztische von freiliegenden Kabeln zu befreien, etwa durch Verstauen im Elektrifizierungsmodul Enercon von Hund Büromöbel. Sowohl das Fraunhofer-IAO als auch VS in Zusammenarbeit mit Bachmann Systems präsentierten sogar gänzlich kabellose Schreibtische.
Mittige Komfortzonen
Dritter großer Trend bleibt die Mittelzonenmöblierung. Wo einst Wände waren, teilen in modernen Bürolandschaften heute Mittelzonen die Arbeitsbereiche voneinander ab. In diesen Arealen sehen Planer gern loungige Wohlfühlmöbel: Soft-Seating-Sessel und -Sofas, Pausenmöbel zum entspannten Warten, Plauschen, Arbeiten. Besonders gefallen haben uns das so farbenfrohe wie mobile und verkettbare Sitzensemble TeamUP von ITO Design für BASF und Interstuhl, die spielerisch veränderbare Sofalösung Tapa von Nowy Styl, das Sofa ohne Einsinkeffekt Tasso 2.0 von Klöber, der Lounge Chair Captain Heaven mit integrierten Lautsprechern von Sinetica, m.zone von Wiesner-Hager, Ophelis sum und die neue Version von Brunes Sessel Lou mit Ohrenbacken.
Auch für die Mittelzone ist der Schutz vor visuellen und akustischen Ablenkungen ein großes Thema. Dies gewährleisten Separee-Lösungen. Bemerkenswert fanden wir neben dem bekannten Openest von Haworth unter anderem Boccaporto von Koleksiyon, Haven Pods von Allermuir und The Hut von Götessons.
Activity Based Working
Boxen wie diese Mittelzonen-Separees stellen heute im Sinne des Activity Based Working bereits eigene Arbeitsbereiche dar. Denn die Idee hinter diesem Konzept ist, dass für jede Arbeitsaufgabe spezielle Räume oder Zonen zur Verfügung stehen. Dazu gehören zum Beispiel auch Kabinen, in denen sowohl ungestört als auch nicht störend telefoniert werden kann, wie die Quiet Box von König + Neurath, der Telefon Cube von Bosse oder die Phone Box von AOS.
Activity Based Working liegt generell im Trend, vor allem im Silicon Valley und überall da, wo man vom Valley träumt. Du willst telefonieren? Geh in eine Telefonzelle. Videokonferenz? Buche den Konfi mit der Kamera. Besprechung zu zweit? Mittelzonenbox. Besprechung zu zwölft? Großer Konfi. Abteilungsübergreifender Austausch? Cafeteria. Konzentriert arbeiten? Einzelbüro. Brainstorming? Im Kreativraum. Schöpferische Pause? Tischkickerzone mit Googlescher Kinderrutsche. – Bei diesem Konzept kann man mitunter schon viel unterwegs sein. Und viel Bewegung ist großartig für die Gesundheit. Allerdings sind hier auch Produktivitätseinbußen vorprogrammiert.
Achtung: Akustik!
Ein großes Orgatec-Thema stellte erneut auch die Akustik dar. Populär geworden war dieses im Büroumfeld erst durch den Trend zur Open-Space-Landschaft. Das Fehlen schalldichter Wände führte zu vielen ungewollten Arbeitsunterbrechungen durch störende Geräusche. Dagegen zog man dann mit portablen Akustikwänden und akustisch wirksamen Möbeloberflächen ins Feld. Als praktikable Akustiklösungen empfanden wir auf der Orgatec: Umbrella von Palmberg (eine runde, geschlossene Abschirmung, die man bei Bedarf um seinen Schreibtisch ziehen kann), die großen grünen Blätter der Studie K+N Balance.Office von König + Neurath, die Akustikdecke Fiber Ceiling mit integrierter Beleuchtung von Acousticpearls, die Stelen und Kreise Baudot von Allermuir, den Akustikschirm mit Monitorhalterung Totem von Dataflex, die mit Magnet befestigten Akustikelemente 5° GO-D von Okamura, die Akustikstellwand Canor von Thonet sowie die schallabsorbierenden Stoffe Primacoustic und Terzacoustic von Création Baumann.
Verwohnzimmerung des Büros
Auch das sogenannte Wellbeing im Büro ist derzeit ein beliebtes Thema in der Büroeinrichtungsbranche. Für Wohlbefinden sollen neben den loungigen Mittelzonenmöbeln auch warme Pastelltöne sorgen. Zum Beispiel ist Lachs gerade sehr beliebt. Beabsichtigt ist ein Verwischen der Grenzen zwischen Büro, Home-Office und Wohnzimmer, wie man es etwa bei Dauphin, Sedus, Actiu und BuzziSpace sehen konnte. Denn wo man sich wohlfühlt, da verweilt man gern auch länger.
Messesplitter
Was gab es noch zu sehen? Im Allgemeinen weiterhin das Bestreben der Büromöbelhersteller, nicht einzelne Produkte, sondern ganzheitliche Lösungen, komplette Bürowelten anzubieten. Im Speziellen zum Beispiel: viele Stuhlbeine aus wohnlich-warmem Holz bei den „schönen“ Marken wie Vitra, Arper, Brunner und Gärsnäs. Viel bunter Filz als Bezugsstoff. Mehr runde, organische Formen wie beim Sofa Organic Link von Viasit und dem Schreibtisch Orb von Senator. Mut zu frischen Farben wie bei Dauphin, König + Neurath und Enea. Pfiffige Stauraumlösungen wie Apothekerschränke mit mehr Raum für Privates (Kontoro von Mauser, Winea Maxx von Wini) und Organisationseinlagen für Schrankschubladen (etwa Brick von Palmberg und Winea Toolz MyBox von Wini). Dünnere Tischplatten wie bei Paper von Renz. Ein Bürostuhl aus Carbon (W5 von Wagner). Ein Klimastuhl von Klöber, der heizt und kühlt. Bemooste Wandapplikationen. Ökologisch nachhaltige Bodenbeläge als Fliesenware. Eine antibakterielle Tischoberfläche (Reiss SmartClean) und sogar vegane Möbel (Kuan von SMV).
Unser Fazit: Auch wenn die großen Trends in der Büroeinrichtungsszene bestehen bleiben, gab es im Westen durchaus Neues zu sehen. Die Messe war inspirierend. Sie hat Spaß und Lust auf mehr gemacht. Die nächste Orgatec findet vom 23. bis 27. Oktober 2018 statt.