Uns fehlt die Aufgeschlossenheit für das Unerwartete, findet die Wirtschaftspsychologin Dr. Alexandra Hildebrand. In diesem Gastbeitrag beschäftigt sie sich damit, warum das so ist.
Zukunft und Witz haben eines gemeinsam: Beide entstehen, indem sie gewagt werden. Der amerikanische Komiker und Improvisationskünstler Robin Williams, der sich im August 2014 das Leben nahm, prägte diese Erkenntnis des Witzes, der von einer unkontrollierbaren Wendung, von einer Überraschung lebt. Denn es kommt immer anders als erwartet.
Das Leben selbst in die Hand nehmen
Alles hat er in sich aufgenommen: „Zu diesem Übermaß gehörte das Wissen, dass es zu viel Leid und zu wenig Trost auf der Welt gibt“, so Peter Kümmel, Redakteur bei Zeit. Dabei vermittelte Williams doch in vielen seiner Filme und Auftritte, dass die Zukunft eine Art Theater sein sollte: immer auch lustig und unkonventionell, gestaltet von mutigen und tatkräftigen Menschen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und nicht in der Routine und Selbsttäuschung erstarren, die optimistisch und engagiert sind im Trotzdem.
Die Wirtschaft denkt zu kurzfristig
Dazu müssen wir „neu und besonnen über die essenziellen Entscheidungen nachdenken, die vor uns liegen und sich aus mehreren Faktoren ergeben“, schreibt der US-amerikanische Politiker und Umweltschützer Al Gore in seinem Buch „Die Zukunft. Sechs Kräfte, die unsere Welt verändern“, in dem er auf einen der „überraschendsten“ Aspekte der Wirtschaft hinweist: die ungesunde Konzentration auf sehr kurzfristige Ziele unter Ausschluss langfristiger Zielsetzungen. Sind unsere wirtschaftlichen Entscheidungen auf Wachstum ausgerichtet, kommt es darauf an, wie der Begriff definiert wird. „Bleiben die Auswirkungen der Umweltverschmutzung bei der Bewertung dessen, was wir als ‚Fortschritt‘ bezeichnen, systematisch unberücksichtigt, beachten wir sie auch nicht weiter und dürfen nicht überrascht sein, wenn unser Fortschritt mit jeder Menge Umweltverschmutzung einhergeht.“
Ist Nachhaltigkeit nur eine Marketingblase?
Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir mehr Zukunftskompetenz und Aufgeschlossenheit gegenüber dem Unerwarteten und Unerwiesenen. Aber welche Begriffe behindern die Arbeit an der eigenen Zukunftskompetenz, weil sie sich an den Scheinsicherheiten vergangener Zeiten orientieren? Wie kann das Credo der Nachhaltigkeit so weit dekonstruiert werden, dass die damit einhergehenden unterschiedlichen Sehnsüchte, Erwartungen und Befindlichkeiten deutlich werden? Wann ist Nachhaltigkeit ein Zukunftskonzept, und wann ist es ein Geschäft, fragwürdige PR, ein Ablenkungsmanöver, das uns von der zentralen Frage der Zukunftskompetenz entfernt? Warum braucht die Vermittlung von Nachhaltigkeit auch Überraschungen?
Gesundes Wachstum
Mit dem Unvorhergesehenen haben vor allem jene kein Problem, die auch den Dingen ihre Zeit lassen, die eine gesunde Vorstellung von Wachstum haben, aber ebenso wissen, dass Glück nur zu haben ist, wenn das Unvorhergesehene zugelassen wird. „Wenn nie etwas Unerwartetes geschieht, geraten wir in eine Art Lähmungszustand“, sagt Claudia Silber, Leiterin Unternehmenskommunikation bei der memo AG. Unerwartete Situationen sind für sie auch mit Wachsamkeit, Spannung (ihre Abwesenheit führt nur selten zu Bestleistungen) und einem anhaltenden Interesse an der Welt verbunden. „Auch Witz und Humor dürfen im täglichen Leben und vor allem im Berufsalltag dabei auf keinen Fall fehlen.“ Das bestätigt auch den zitierten Satz von Robin Williams.
Sind Zielvorgaben schädlich?
Zahlen und Zielvorgaben hält sie generell für sinnvoll – in manchen Arbeitsbereichen (zum Beispiel im Vertrieb) mehr als in anderen (wie Marketing). Gefährlich werde es dann, „wenn Entscheidungen nur noch ausschließlich danach getroffen werden. Womit wir wieder beim Unvorhergesehenen sind: Wer nur nach Zahlen und Zielvorgaben arbeitet, ist nicht offen für Neues und Unerwartetes und wagt keinen Blick über den Tellerrand.“
Offen für das Unerwartete zu sein, macht das Leben umso spannender – ist es doch das, „was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ (John Lennon)