Teil 3: Moderne Modelle
Ohne einen Tisch ist gute Büroarbeit nur schwer vorstellbar. Der Historiker und Buchautor Hajo Eickhoff beendet seine kleine Kulturgeschichte dieses Möbels. An dessen Ende sieht er vorerst eine digitale Variante.
Das 18. Jahrhundert – der Beginn der Industrialisierung – bevölkert die bürgerlichen Privat- und Arbeitsräume mit einer Fülle an Werkzeugen, Aufbewahrungsutensilien, Haushaltsgeräten, Schmuckgegenständen und Möbeln, die eine immense Nachfrage nach unterschiedlichsten Ablageflächen in Gang setzt.
Mit Tischen ordnen
Im Büro nimmt der Schriftverkehr so drastisch zu, dass Ordnen und Archivieren zu Grundprinzipien der rationalen Büroarbeit werden. Die Tische werden zu Arbeitsflächen und zu Ebenen, die die Abläufe im Büro ordnen. Im Büro werden plane und großflächige Tische zur Norm. Sie lösen die Sekretäre des 18. Jahrhunderts – Tische mit Ungetümen aus Schubladenaufbauten – ab.
An den Tischen der Künstler und Wissenschaftler herrschen Ordnung und Weitsicht. Strindberg schreibt: „Ich habe eine Korrespondenz mit wissenschaftlichen Autoritäten in Paris, Berlin, St. Petersburg, Peking, Irkutsk begonnen, und an meinem Schreibtisch halte ich die Fäden zu einem Netz von Verbindungen, die sich über die gesamte Alte Welt erstrecken.“ Virginia Woolf formuliert den großen Wert, den ein eigenes Zimmer mit Schreibtisch für eine Schriftstellerin hat, und Franz Kafka benennt seine Angst, den Stuhl am Schreibtisch als sicheren Hort und Hafen für eine kurze Reise verlassen zu müssen.
Der Schanktisch
In Gaststätten und Trinkhallen entwickelt sich ein einfacher Tischtyp, der das Leben in der Stadt nachhaltig beeinflusst hat: der Schanktisch – Theke oder Tresen –, an dem man direkten Kontakt mit dem Gastwirt pflegt. Zunächst gehören die Ladentische der Geschäfte und die Speisetische der Gaststuben der privaten und öffentlichen Sphäre an. Seit dem Einzug des Tresens in die englischen Pubs um 1800 verliert die Gaststube ihre Privatheit. Die Auffassung, der Wirt sei immer noch der private Wirt des Gastes, steht im Gegensatz zur kommerziellen Bedeutung des Tresens.
Prüfungs- und Verhörsettings
In den modernen Prüfungen haben sich fein abgestimmte Maße und Konstellationen ausgebildet. Über seine Reifeprüfung schreibt Uwe Johnson: „Die Sitzbänke wurden herausgetragen, nun wurden Tische aufgestellt mit je einem Stuhl. Der Abstand von einer Tischkante zur anderen betrug einen Meter und siebenundsiebzig Zentimeter.“
Verhöre sind besondere Formen der Prüfung. Ein karger, fensterloser Raum sowie ein unscheinbarer, kleiner Tisch mit Schreibutensilien sind seine ganze Ausstattung. Der Beschuldigte wird gesetzt, während der Fragesteller eine höhere Sitzposition einnimmt oder steht und seine Macht demonstriert.
Der digitale Acker
Aus der Verarbeitung von Metall und Kunststoff entwickeln sich neben den traditionellen Tischtypen die Stahlrohrtische des Bauhauses, später aus Plastik gepresste Tische. Der Tisch ist das kompletteste Möbel, das potenziell die drei anderen Möbel Stuhl, Schrank und Bett enthält.
Am Ende aber erweist sich der Tisch wieder als Acker. Eine fruchtbare Ebene. Ein moderner Acker, der mit dem Stuhl die Basis moderner Arbeitsplätze bildet. Wie der Acker ist der Tisch Ordner, Speicher und Potenzial. Er stellt einen Weltbezug her, indem er die geistigen Kräfte, die der Sitzende auf dem Stuhl erwirbt, direkt am Tisch zur Wirkung bringt. Und so erweist sich das Sitzen am Tisch als gewaltigste Produktivkraft, die Europa geistigen und materiellen Reichtum gebracht und es auf eine hohe Kulturstufe emporgehoben hat.
Es gibt auch Aufstand gegen Unbeweglichkeit und Festsetzung: Das sind Stehpulte und höhenverstellbare Tische, die den Wechsel von Stehen und Sitzen erlauben. Ebenso der Tablet-Computer, ein überall einsetzbarer, nahezu ortloser Tisch. Er liegt auf niedrigen oder hohen Tischen, auf Knien oder wird in der Hand gehalten. Mit ihm gibt es ein Werkzeug, mit dem sich Büroarbeit beweglich und dynamisch verrichten lässt – der Tisch des 21. Jahrhunderts.