Teil 2: Neuzeitliche Varianten
Auch wenn heute manch einer sein Smartphone für ein komplettes Büro hält, ohne Tisch ist gute Büroarbeit nicht vorstellbar. Der Historiker und Buchautor Hajo Eickhoff erzählt die Kulturgeschichte dieses Möbels.
Mit dem Aufstieg des Bürgertums zur wirtschaftlich und politisch herrschenden Klasse wird der Tisch eine maßgebende Ordnungseinheit. Zugleich zieht der Tisch den Stuhl an, durch den die bürgerliche Oberschicht die Herrschaftsgeste des Thronens am Tisch übernimmt. Tisch und Stuhl werden zu einer kompakten Einheit verbunden, die die Ideale unseres heutigen Wohnens und Arbeitens vorbereitet.
Vier Tischtypen
In der Zeit der Renaissance fördert der Tisch die neue Ordnung für Arbeit, Politik und Kultur, indem das Bürgertum die uns heute bekannten, nach der Form der Untergestelle benannten vier Tischtypen entwickelt – Wangen-, Bock-, Zargen- und Säulentisch.
Beim Wangentisch stützen – verbunden durch ein breites Querholz – zwei vertikale Bretter, beim Bocktisch zwei Böcke und beim Zargentisch vier Beine, die in einen festen Rahmen eingearbeitet sind, die Tischplatte. Säulentische halten die Tischplatte durch eine mittige Säule. Der effektivste Tisch ist der Zargentisch. Die Zarge – das Mittelglied zwischen Tischplatte und Unterbau – bewirkt eine hohe Standfestigkeit und ermöglicht eine große Vielfalt.
Vom Nutzen des Tisches
Infolge der bürgerlichen Arbeit und des wirtschaftlichen Wachstums werden neue Werkzeuge und Methoden erfunden, neue Berufe etabliert und der Arbeit angemessene Räume gestaltet. Außerdem erhöht sich der Schriftverkehr. Das ruft nach neuen Auf- und Ablageflächen – den Tischen. So entstehen Werkbänke und Bürotische, in deren Folge die gegenwärtigen Tische der Werks- und Büroarbeit entwickelt werden.
Das bürgerliche Wohnen findet bis 1700 am Küchenherd eine symbolische Mitte. Hier ist man nah beieinander und ständig in Bewegung. Dann büßt die Küche ihre zentrale Stellung ein, wird bloßer Nutzraum und an die Stelle des Herdes tritt der Esstisch in der Wohnstube. Der Tisch wird der Ort, an dem man äußerlich zusammenkommt und sich innerlich sammelt. Die Verlagerung vom Herd an den Esstisch geht einher mit einer Veränderung der Körperhaltung vom Stehen und Hocken zum Sitzen auf Stühlen. Der Tisch versammelt die Sitzenden, und die Stühle isolieren durch ihren Rahmen die Sitzenden voneinander und vermindern den engen leiblichen Kontakt. Das gemeinsame Essen am Wohnzimmertisch erhöht das Maß an Disziplin und bringt eine neue Form bürgerlicher Privatheit hervor.
Was als höfisches Verhalten beginnt und als Arbeits- und Freizeitordnung weiterentwickelt wird, endet um 1800 als Standard der Bürgerlichkeit, indem alle Lebensräume mit Tischen ausgestattet werden.
Die Effektivität des Tisches
Im 18. Jahrhundert entsteht die Schulbank. Hier sind Sitz und Tisch fest zusammenfügt. In ihr begrenzen die Leibeshaltung (Sitzen) und das Tun (Schreiben) die kindliche Vitalität und Beweglichkeit von zwei Seiten her: vom Sitz und vom Tisch. Das Schreiben erfordert ein Höchstmaß an Disziplin. Das Kind schreibt oder ritzt Buchstabe neben Buchstabe, setzt Zeile unter Zeile und schreitet auf der Unterlage linear voran. Es ist stillgesetzt, gespannt und gebannt am Tisch, bewegt sich aber in anderen Medien weiter: im Medium des Schreibens (und Lesens) und im Medium der sich damit einstellenden Form des Denkens, seiner linearen Klugheit. Sitzen auf der Bank und Schreiben am Tisch werden rasch zu den zwei charakteristischen Fertigkeiten, die in der Schule eingeübt werden. Was man dabei dem kindlichen Bewegungsdrang vorenthält, soll sich zu einer geistigen Freiheit entwickeln, sodass bei der Formung des Menschen zum zivilen Wesen Tisch und Stuhl zusammenarbeiten.
Mit der Differenzierung der Arbeit, der Wandlung im Privatbereich, den neuen Formen der Schulbildung sowie dem, was man unter Zivilheit versteht, spezialisiert sich der Tisch und nimmt in der Folge vielseitigste Formen an.