Plötzlich erscheint die Kollegin oder der Kollege sehr attraktiv und sympathisch. Flirts bahnen sich an, es wird mehr daraus … Sebastian Klöß über die Liebe im Büro – mit ihren Besonderheiten und Fallstricken.
Klar, ein Büro ist ein Ort, an dem gearbeitet wird, an dem es meist um Erfolg, Effizienz und Optimierung geht. Das Büro ist aber auch eine ganz formidable Partnerbörse. Gleich nach den Klassikern Freundes- und Bekanntenkreis sowie Kneipe, Club und Co. rangiert es laut einer 2013 veröffentlichten Allensbach-Umfrage auf Platz drei bei den Orten, an denen Menschen ihren Partner kennengelernt haben. Dieselbe Umfrage offenbarte, dass viele nicht nur zur Arbeit fahren, um dort ihren Beruf zu verrichten, sondern auch, um dort die Frau oder den Mann fürs Leben zu finden. 60 Prozent meinten, am Arbeitsplatz sei die Chance besonders hoch, einen festen Partner zu finden. Tatsächlich hat das Büro Kneipen, Clubs oder Online-Partnerbörsen eines voraus: Es ist zwar – trotz aller Lounge- und Mittelzonenmöbel – meist weniger gemütlich und ungezwungen, dafür lernt man dort den Partner in spe ungeschönt im Alltag kennen. Hier kann er sich nicht hinter Ausgehstyling oder Onlineprofil verstecken, wenn er routinemäßig Akten abheftet, stressige Termine bewältigt oder in der Kantine Schnitzel isst.
Offen für Affären
Nicht für alle muss es allerdings gleich der Partner fürs Leben sein, wenn sie ihren Kollegen etwas tiefer in die Augen schauen. „Don’t fuck in the factory“ – diese drastisch formulierte Lebensweisheit ist zwar ein weithin bekanntes ungeschriebenes Gesetz. Es hat jedoch 14 Prozent der Office-Worker nicht davon abgehalten, bereits einmal eine Affäre im Büro eingegangen zu sein. Das brachte 2013 Jahr eine Forsa-Studie im Auftrag von Xing ans Licht. Unter den 18- bis 29-Jährigen hatten sogar schon 20 Prozent eine Büroaffäre, und 22 Prozent aller im Büro Tätigen waren einer solchen Affäre gegenüber aufgeschlossen. Die Chancen stehen also gar nicht schlecht. Ab einem Sechs-Personen-Büro müsste es statistisch betrachtet zumindest mit einer oder einem klappen, ganz zu schweigen von den Chancen in Großraumbüros … Doch Vorsicht, Männer, nicht gleich losgraben: Nur zwölf Prozent der Frauen stehen auf eine berufliche Affäre.
Gut gemeinter Rat ...
Falls im Büro der Partner fürs Leben oder für gewisse Stunden gefunden wurde, stellt sich die große Frage: Wie geht man mit der neuen Situation im Alltag um? Arbeit ist Arbeit und Privatleben ist Privatleben, lautet ein oft geäußerter Ratschlag. Gerade während des zarten Beginns der Zweisamkeit sollte man sich eher zurückhalten, um sich und die anderen nicht von der Arbeit abzuhalten. Und um nicht unnötigen Klatsch und Tratsch unter Kollegen anzustacheln. Erst wenn sich die Beziehung etwas gefestigt hat, solle man selbstbewusst als Paar auftreten, Zärtlichkeiten jedoch auf den Feierabend verschieben. Einschlägige Ratgeber – von Dr. Otto Bucheggers Praxiologie bis zur Brigitte – knausern nicht damit aufzuzählen, was liebestechnisch im Büro gar nicht geht: Beziehungen innerhalb der eigenen Abteilung beispielsweise oder mit Vorgesetzten oder direkten Untergebenen, da durch das Machtgefälle schnell Abhängigkeiten entstünden. Außerdem sei es für die Beziehung kritisch, wenn man während der Arbeit vom Partner Anweisungen zu befolgen habe oder gar von ihm kritisiert werde. Auch im gemeinsamen Feierabend wird mitunter ein Problem gesehen. Denn hier verwische durch einen Partner, der zugleich Kollege ist, die Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit.
... und die Praxis der Liebe
So weit die Theorie dazu, wie eine Partnerschaft im Büro auszusehen hat. Die Praxis sieht bekanntlich anders aus. Sich zu verlieben, ist nun mal keine rationale Entscheidung. Oft entwickelt sich die Liebe erst allmählich, während man zusammenarbeitet, bevor irgendwann das Herz und der Bauch entschieden haben, ohne den Kopf gefragt zu haben. Personalstrukturen und Hierarchieschranken spielen bei der Liebe – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Bei Affären hingegen kann in Hierarchieunterschieden gerade der Reiz oder sogar das Hauptmovens bestehen. Stichwort: hochschlafen.
Sex für die Karriere
Die heiße Affäre zwischen altem Chef und junger Praktikantin oder älterer Chefin und jungem Mitarbeiter mag wie ein schmieriges Klischee klingen. Per Sex zum Karrieresprung anzusetzen, können sich laut der bereits erwähnten Forsa-Umfrage allerdings immerhin 13 Prozent der Berufstätigen unter 30 Jahren vorstellen. Deutlich kritischer sind ältere Mitarbeiter eingestellt, sodass sich über alle Altersstufen gesehen klare 94 Prozent nicht vorstellen können, eine Affäre mit dem Vorgesetzten einzugehen, um die eigenen Karrierechancen zu verbessern.
Schäferstündchen im Büro
Sei’s Karrieregeilheit, sei’s Lust oder sei’s Liebe: In Büros kommt es zwischen Kollegen zu mehr als nur zum Austausch von Ideen. Acht Prozent aller Arbeitnehmer hatten am Arbeitsplatz schon einmal Sex, so die Umfrage von Forsa. Bei den unter Dreißigjährigen sogar schon 15 Prozent. Auffällig ist, dass Personen mit Personalverantwortung auch sexuell überdurchschnittlich im Büro aktiv sind. Elf Prozent von ihnen hatten schon Sex am Arbeitsplatz. Ob es sich also doch auszahlt, als Führungskraft eher ein Zellenbüro zu haben? Ist der Open Space gar ein Lustkiller? Vielleicht. Allen sexuell Büroaktiven sei jedoch warnend gesagt: Die Tragkraft eines Sitz-Steh-Arbeitstisches liegt meist um die 80 Kilogramm, falls der nachgibt, dürfte es schwierig werden, die Behandlungskosten als Arbeitsunfall abzurechnen.
Arbeitsrechtliche Dimension
Abgesehen von solchen Eskapaden steht einem Verhältnis zwischen Kollegen rechtlich nichts entgegen. Obwohl es viele Arbeitgeber nicht gerne sehen, wenn aus Mitarbeitern Liebespaare werden, haben die Verliebten das Recht auf ihrer Seite. Als der US-amerikanische Einzelhandelskonzern Walmart versuchte, in Deutschland Beziehungen am Arbeitsplatz per Vertrag zu verbieten, scheiterte er 2005 vor dem Düsseldorfer Landesarbeitsgericht, da eine solche Regelung gegen das Grundgesetz verstoße. Das Recht auf ihrer Seite haben übrigens keineswegs nur heterosexuelle Paare. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wird jegliche Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung verboten. Im realen Arbeitsleben schreckt dennoch gut die Hälfte der Homosexuellen davor zurück, sich am Arbeitsplatz zu outen, ergab eine Untersuchung der Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Botsch. Wobei diese Zahl nicht berücksichtigt, ob der Partner im selben Unternehmen arbeitet oder nicht. Leichter fällt es ihnen in größeren Unternehmen, in denen es häufig betriebliche Netzwerke für homosexuelle Mitarbeiter gibt, etwa dbPride bei der Deutschen Bank, HomoSAPiens bei SAP oder RainbowNet bei der Deutschen Post.
Egal ob homo- oder heterosexuell: Eine Herausforderung werden Beziehungen am Arbeitsplatz dann, wenn sie auseinandergehen. Dem oder der Ex einfach aus dem Weg zu gehen, wenn man im selben Team arbeitet oder im selben Büro sitzt, ist praktisch unmöglich. Daher folgt auf die private Trennung oft die Trennung vom Arbeitgeber oder zumindest von der Abteilung. Aber wer denkt am Anfang einer Beziehung schon an ihr Ende? Wo die Schmetterlinge im Bauch so schön fliegen …