Zwischen Rezession, Arbeitskräftemangel und drohendem Produktivitätsverlust: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt. Vor allem für Personalabteilungen und HR-Teams wird es ein weiteres herausforderndes Jahr werden, meint Ross Seychell, Chief People Officer bei Personio.
Mitarbeiterbindung und das Recruiting von talentierten Fachkräften werden für Unternehmen zunehmend erfolgskritisch. Gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit vieler Mitarbeitenden mit ihren Arbeitgebern, was Quiet Quitting zum Negativtrend macht. Das Phänomen der stillen Kündigung ist europaweit auf dem Vormarsch. Das zeigt auch eine kürzlich veröffentlichte Studie von Personio.
Weniger Budget, mehr Arbeit
Demnach plant mehr als ein Drittel der Beschäftigten, sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten nach einem neuen Arbeitsplatz umzusehen; 37 Prozent sind am Arbeitsplatz unzufrieden. Die wirtschaftliche Situation verschärft die Lage, denn vielerorts sind Budgetkürzungen an der Tagesordnung – während die Arbeitslast steigt. Ein gefährlicher Mix, bei der HR-Teams die strategische Verantwortung tragen.
Die aktuelle Situation intensiviert den Wettbewerb um knappe Ressourcen wie Personal, Zeit und Geld, sodass Unternehmen gezwungen sind, angesichts der Veränderungsdynamik ihre strategischen Ziele anzupassen. Oftmals greifen Organisationen jedoch immer noch zu drastischen Mitteln wie Kündigungen, um ihre Position am Markt zu behaupten. Währenddessen werden innovative Ansätze, die unmittelbar auf eine verbesserte Arbeitskultur einzahlen und damit der hohen Mitarbeiterfluktuation entgegenwirken könnten, wie etwa flexible Arbeitsmodelle oder Work-Life-Integration-Konzepte, häufig vernachlässigt.
Rekrutierung statt Weiterbildung?
Zwei Impulse drohen, sich in einer Rezession zu verselbständigen: Kündigung oder Hau-Ruck-Rekrutierung. Ein Personalabbau als Kurzschlussreaktion auf weggebrochene Umsätze mag zunächst als schnellster Weg zur Kostensenkung erscheinen – allerdings könnte dies ein Unternehmen nach der Krise umso teurer zu stehen kommen. So kann der Mangel an Talenten in einer Aufschwungphase daran hindern, die Organisation schnell wieder auf die Erfolgsspur zu bringen.
Doch auch umgekehrt das Risiko hoch, dass Mitarbeitende aus freien Stücken das Unternehmen verlassen. Angesichts des wachsenden Angebots am Arbeitsmarkt einerseits und dem Wettbewerb um Nachwuchstalente andererseits, stehen ihnen quasi alle Türen offen – so ist das Recruiting nicht nur ein zunehmender Kraftakt, sondern teuer obendrein. Einer Studie des Harvard Business Review zufolge kosten Neueinstellungen, je nach Qualifikation, das 0,5- bis 2,5-fache des Jahresgehaltes.
Was Unternehmen in so einer Situation tun können, ist, zunächst über eine mögliche organisatorische Umstrukturierung nachzudenken. Es ist wichtig, Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten – ein Thema, das bei vielen Unternehmen unter den Tisch fällt. Weiterbildungsmöglichkeiten sind ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Mitarbeiterbindung, wie auch die Studie von Personio zeigt. Demnach ist jeder Dritte davon überzeugt, dass sich Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung stark auf die eigene Motivation und Produktivität auswirken.
Empathie, Dialog und Support
Mitarbeitende motiviert am meisten, wenn ihnen ernsthaftes Interesse entgegengebracht wird und sie als Menschen gesehen werden. Authentizität, Offenheit und Empathie sind daher die Top-Skills für Führungskräfte. Sie sollten in den regelmäßigen und offenen Austausch mit ihren Team-Mitgliedern gehen und außerdem um Feedback bitten, um ihre Selbstwahrnehmung zu verbessern.
Allerdings ist es in vielen Organisationen schwierig, die Zeit dafür aufzubringen – das betrifft auch die HR-Teams. Denn sie stehen oftmals in der Verantwortung, viele Themen gleichzeitig voranzutreiben. Hinzu kommt das Dilemma schleppender HR-Prozesse. Der aktuellen Personio-Studie zufolge geben sechs von zehn Personalern an, dass ineffiziente Prozesse, unnötige Verwaltungsarbeit und sich wiederholende Aufgaben ihr Unternehmen ausbremsen. Automatisierungen können Zeit und Geld sparen, das Budget spürbar senken und der Personalabteilung helfen, sich wieder mehr auf die Mitarbeitenden zu konzentrieren. Das wirkt sich wiederum positiv auf die Produktivität, die Arbeitsmoral und die allgemeine Unternehmensleistung aus.
Fazit
Top-Talente sind die wichtigste Ressource, um Unternehmen durch eine Krise zu führen. Daher ist es wichtig, jetzt den Fokus auf die richtigen Stellschrauben zu legen: Unternehmensweite Effektivität und Produktivität, Leistungsverbesserung und Weiterentwicklung der eigenen Talente in Zeiten, in denen es nicht allzu viele Möglichkeiten für Beförderungen gibt. HR-Teams tragen in dieser Situation die Verantwortung dafür, die Führungskräfte nach Kräften zu unterstützen und die richtigen Impulse zu liefern. Denn sie fungieren als Bindeglied und Vermittler zwischen Führungsetage sowie Mitarbeitenden und sind damit wichtigster Enabler im Bereich der Mitarbeiterbindung. Jetzt ist es an der Zeit, dass HR-Teams ihren Einfluss nutzen, um Mitarbeitende in Zeiten der Unsicherheit zu unterstützen. Denn künftig wird es nicht nur wichtig sein, Fachkräfte für sich gewinnen, sondern diese auch langfristig an das Unternehmen binden zu können und ihre Kompetenzen kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Ross Seychell, Chief People Officer, |