Wir sprachen mit Stefan Schulze-Hermann, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e. V., über die Bedeutung von Design und Nachhaltigkeit sowie den gerade ins Leben gerufenen Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design.
OFFICE ROXX: Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Springen Sie mit dem neuen Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design (DNP Design) auf einen Trend auf?
Stefan Schulze-Hausmann: Im Gegenteil! Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis prämiert 2020 zum 13. Mal beispielhafte Nachhaltigkeit in Wirtschaft, Kommunen und Forschung. In dieser Zeit ist er in verschiedene relevante Richtungen gewachsen. Mit dem neuen Preis für Design tragen wir dem Umstand Rechnung, dass Designer und ihre Arbeit eine immer wichtigere Rolle spielen, wenn es um Transformation geht.
Der Fokus des Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design liegt auf nachhaltigen Produkten und Projekten – was unterscheidet den Preis von bisherigen Design-Awards?
Die bekannten Awards fokussieren Design hauptsächlich im Sinne von Formgebung und funktionaler Ästhetik. Bei uns kommt es neben der Gestaltung auf den wirksamen Beitrag zur Transformation zu mehr Nachhaltigkeit an. Von dieser Seite kommen wir, das ist der Kern unserer Arbeit und unserer Mission. Wir suchen nachhaltiges, verantwortungsvolles Design, das gesellschaftliche Probleme durch ökologische und soziale Innovationen löst. Noch ein Unterschied: Neben aktuellen Entwürfen prämieren wir „Ikonen“. Produkte, die länger als fünf Jahre auf dem Markt sind und Werte wie Langlebigkeit, Zeitlosigkeit und Haltung verkörpern und ganze Branchen inspirieren. Wir stellen die Frage, inwiefern Nachhaltigkeit bei der Entwicklung dieser Produkte mitgedacht wurde bzw. sich gerade in deren Haltbarkeit und Begehrtheit über Jahrzehnte manifestiert. Hinzu kommt der Bereich „Visionen“, hier wünschen wir uns Konzepte für eine nachhaltige Zukunft. Wir lassen noch so revolutionäre Ideen zum Wettbewerb zu und hoffen auf Inspiration! Studierende zahlen deswegen keine Teilnahmegebühr.
Welche Rolle spielen Designer für ein nachhaltigeres Leben?
Nachhaltiges Design hat das Potenzial, die Lebensweise und die Haltung der Menschen zu verändern. Die Designer beeinflussen zu einem ganz frühen Zeitpunkt die Entscheidung, aus welchem Material hergestellt wird und inwiefern das Produkt nach Lebensende dank bspw. recycelbarer Materialien wieder dem Kreislauf zugeführt werden kann, welche Lieferketten eine Rolle spielen sollen, wie Nutzer mit dem Produkt umgehen und vieles mehr. Insofern haben Gestalter eine wahnsinnige Power. Auf der anderen Seite stehen sie in ihren Unternehmen oder Auftragsverhältnissen oft unter Druck – unter Kostendruck, Zeitdruck oder Innovationsdruck – der ihnen nachhaltige Alternativen verschließt. Unser Ziel ist es, die Designer zu ermutigen, Nachhaltigkeit früh und beherzt mitzudenken und ihnen andererseits den Rücken gegenüber dem Auftraggeber oder im Unternehmen zu stärken. Wir wollen einen Beitrag leisten, der allen Akteuren klarmacht, worauf es wirklich ankommt: Die Transformation zu gestalten, dem Wandel in allen Produktwelten eine Form zu geben.
Was macht ein Produkt oder ein Konzept zum idealen Beitrag für den DNP Design?
Es muss gleichermaßen durch gestalterische Qualität und die Einhaltung klarer Nachhaltigkeitskriterien überzeugen. Wir suchen Lösungen, die echte Transformation in Richtung Nachhaltigkeit bedeuten. Dabei fokussieren wir die Felder, in denen besondere Anstrengungen und mehr Innovationen am dringendsten benötigt werden. Diese „Transformationsfelder“ gelten für alle Wettbewerbe. Sie leiten sich aus der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und aus der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ab. Hier geht es um Klima, Ressourcen, Biodiversität, Fairness und eine gerechtere Gesellschaft. Die Frage ist also immer: Inwiefern nützt die eingereichte Lösung dem Klima, hilft sie gegen Ressourcenknappheit, welchen Beitrag leistet sie zum Naturschutz? Auf welche Weise schafft sie Vorteile im sozialen Sektor? Voraussetzung ist, dass das Produkt bzw. die Lösung in Deutschland auf dem Markt ist oder eine deutsche Markteinführung geplant ist. Bewerben können sich Unternehmen jeder Größe, Gestalter innerhalb und außerhalb von Agenturen sowie Studierende und Start-ups.
Wo und wie passen Themen wie Gesundheit oder Landwirtschaft zu einem Designpreis?
Design im Sinne von „Gestaltung“ kommt in allen Lebensbereichen vor. Auch in der Landwirtschaft werden Prozesse gestaltet und Dienstleistungen erfunden, die zum Beispiel Biodiversität schützen. Hier stellt sich auch die Frage, wie die landwirtschaftliche Produktion gestaltet werden muss, um die Weltbevölkerung zu ernähren, ohne ihre eigenen Produktionsgrundlagen zu zerstören. In allen Bedürfnisfeldern arbeiten Menschen intensiv an nachhaltigen Lösungen. Die wollen wir erreichen und ihnen eine Bühne bieten. Wir wollen sie honorieren, motivieren und ihnen die Chance bieten, ihren Erfolg durch Bekanntheit zu steigern.
Wer bewertet, was nachhaltiges Design ist? Welche Kriterien legen Sie hier an?
Wir arbeiten in allen Wettbewerben mit mehrstufigen Bewertungsverfahren, die wir mit Experten entwickeln. Für den Designpreis haben wir vor allem mit Partnern aus dem Hochschulbereich zusammengearbeitet und interdisziplinäre Workshops mit Designexperten durchgeführt. Die Kriterien, die unser Assessment-Team anlegt, spiegeln die genannten Transformationsfelder wider. Nach dem Assessment werden die besten Einreichungen nominiert. Das letzte Wort hat die Jury des DNP Design. Wir sind sehr stolz darauf, dass Spezialisten aus allen Bereichen des Designs und der Nachhaltigkeit zugesagt haben. Darunter erfolgreiche Produkt- und Industriedesigner wie Konstantin Grcic, Stefan Diez, Sebastian Herkner und Werner Aisslinger, der Smart-Erfinder Johann Tomforde und der Trend-Researcher der Vitra International AG Raphael Gielgen. Der Vorstand des Sustainable Design Center e. V. Prof. Sebastian Feucht ist ebenso an Bord wie Cradle-to-Cradle-Papst Prof. Dr. Michael Braungart, Adrienne Goehler, ehemalige Senatorin für Wissenschaft, Forschung, Kultur in Berlin und Prof. Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Die Sieger werden im Rahmen einer glamourösen Gala geehrt. Passt das mit der Idee der Nachhaltigkeit zusammen?
Glamourös nein, das klingt wie unechter Glanz. Wir wollen, dass Erfolg ausstrahlt und die Köpfe dahinter gesehen werden. Die prämierten Leistungen verdienen Wertschätzung – und dazu gehört auch, dass man sie feiert. Natürlich müssen wir an uns hohe Maßstäbe anlegen, das ist bei Events eine große Herausforderung. Wir wollen von Beginn an „Deutschlands grünste Gala“ sein und richten Kongress und Preisverleihung klimaneutral aus. Sämtliche organisatorische Schritte stehen auf dem Prüfstand – hinsichtlich Umweltschutz, Energie- und Ressourceneffizienz, sinnvoller Logistik und sozialer Standards. Auch auf Details kommt es an: Das Catering ist vegan/vegetarisch, auf der Bühne wird energiesparende Beleuchtung verwendet, die Bühnenverkleidung besteht zu großen Teilen aus recycelten PET-Flaschen. Unvermeidliche CO2-Emissionen, auch die Anreisen der Gäste, werden kompensiert. Gala und Nachhaltigkeit können gut zusammenpassen.
Die Bundesregierung ist Ihr Partner – welche Rolle spielt sie?
Den DNP können wir als Stiftungsverein nur in Zusammenarbeit mit starken Partnern vergeben. Dazu zählen kommunalen Spitzenverbände, Wirtschaftsvereinigungen, Unternehmen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Forschungseinrichtungen und eben auch die Bundesregierung. Sie ist von Anfang an – seit 13 Jahren – an Bord. Institutionen der Bundesregierung fungieren als Ratgeber, treten aber auch fördernd auf. Unser Forschungspreis wird zum Beispiel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vergeben. Die Bundesregierung hat ein Interesse daran, ihre Nachhaltigkeitsstrategie zu erklären und über Nachhaltigkeit zu informieren. Dazu nutzt sie unsere Plattformen. Insofern handelt es sich um ein Geben und Nehmen.
Wie finanziert sich der DNP Design?
Die Finanzierung steht auf zwei Standbeinen: Zum einen soll sich der DNP Design durch Teilnahmebeiträge hoffentlich zahlreicher Bewerber finanzieren. Diese Beiträge haben wir nach Unternehmensgröße gestaffelt, um die Hürde zur Teilnahme möglichst niedrig zu gestalten. Zum anderen können erfolgreiche Teilnehmer das Zeichen des DNP Design lizenzieren, mit dem sie gegenüber Kunden, Stakeholdern und Partnern in der Lieferkette die Nachhaltigkeit ihres Produktes dokumentieren können. Für einige Bewerber ist die Teilnahme komplett kostenfrei, um auch Studierenden, jungen Designern und Start-ups die Chance zum Mitmachen zu geben.
Bis wann kann man sich bewerben?
Die Bewerbungsphase läuft noch bis zum 15. Juni 2020. Designer, Unternehmen, Studierende und Start-ups, die sich mit nachhaltigen Produkten, Dienstleistungen und sonstigen Lösungen beschäftigen, können diese direkt hier einreichen.
Vielen Dank.