Ungefähr jeder zweite Erwerbstätige in Deutschland arbeitet heute im Büro. Wie aber kam es überhaupt zur Büroarbeit? Der Historiker und Buchautor Hajo Eickhoff blickt dazu weit zurück in die Geschichte.
Die Stadt entsteht in der Mitte Europas erst im 12. Jahrhundert, gegründet von Handwerkern und Händlern – den Bürgern. Die Text- und Buchproduktion nimmt durch den Aufschwung des regionalen und fernen Handels seit dem 13. Jahrhundert enorm zu. Der Fernhandel birgt Risiken und lässt Versicherungen entstehen und die Handelsprojekte werden größer und fordern die Finanzierung durch Banken, was neben der Fremdfinanzierung Planung, Kalkulation und Absicherung erhöht. Das wiederum zieht neue Berufe und ein Anwachsen von Gesetzen, Verträgen und Korrespondenz nach sich, die gewaltige Mengen an Papier verschlingt, das aus China kommt und das Pergament ersetzt.
Zwei Jahrhunderte später macht der gewachsene Schriftverkehr in der Renaissance den Beruf des Schreibers erforderlich, für den Papier und Tisch als Werkzeuge des beruflichen Schreibens zum Paar werden.
Kontor und Kanzlei
Bis zum 18. Jahrhundert sind Büros unspezifische Orte – Marktplatz, Theater oder Kirche, Privatraum oder Warenlager. Wenn auch Juristen und Beamte ihr Büro Kanzlei nennen und Kaufleute Kontor. Denn wo zwei sich zusammentun und gemeinsam ein Projekt besprechen, entsteht ein Büro, in dem das Gedächtnis der Beteiligten den ideellen Tisch bildet.
Die Beseitigung der Zünfte und ihre Produktionsbeschränkung lässt Handel, Handwerk und Wissenschaft zu einer produktiven Einheit zusammenwachsen. Werden im mittelalterlichen Skriptorium Texte, Kalender und Bücher produziert, wird im Renaissance-Büro zusätzlich bilanziert, gerechnet, kalkuliert und archiviert. Neben die alten Arbeitsmittel wie Tinte, Radiergummi, Feder, Pergament, Nagel und Hammer treten Bilanzbuch, Rechenbrett und Mobiliar.
Tisch und Stuhl
Fester Tisch und Stuhl sind Erfindungen der Renaissance. Die Tische aus zwei Böcken mit aufgelegtem Brett werden in der Renaissance zu festgefügten Tischen – Bock-, Wangen-, Zargen- und Säulentisch entstehen. Der feste Tisch bindet den Menschen an einen Ort und diszipliniert ihn.
Die Arbeitshaltung bleibt bis ins 20. Jahrhundert hinein das Stehen. Doch mit der Renaissance übernimmt das politisch einflussreich gewordene Bürgertum die Herrschergeste des königlichen Thronens. Erst thronten Könige, später Päpste und Bischöfe, dann Mönche, von denen die bürgerliche Oberschicht die Haltung übernimmt und den geweihten Thron zum Stuhl macht – zum banalen Mobiliar der Berufswelt.
Tisch und Stuhl arbeiten am Menschen. Der Stuhl stützt, sediert und macht klüger, und der Tisch ist der moderne Acker, auf dem der Mensch seine Werkzeuge und Medien ordnet, während das Ensemble Tisch, Stuhl und Sitzender zur größten Produktivkraft avanciert, die der Mensch erfand.
Manufaktur und Büro
Räumlich betrachtet sind Skriptorien, Kontore und Kanzleien Zufallsräume. Erste Ideen zu einem bewusst gestalteten Büro-Raum entstehen im 18. Jahrhundert, der Epoche von Aufklärung und Manufaktur, die erst in der Zeit der Industrialisierung realisiert werden, denn Wissenschaft, Bildung, Produktion und Bankwesen werden nun intensiv von der Bürotätigkeit begleitet. Büroarbeit ist nicht länger dem Handel vorbehalten, sondern Handelshäuser, Behörden, Manufakturen, Schulen und Universitäten richten sich Büros ein.
Indem Büroarbeit Ordnen, Korrespondieren, Kalkulieren, Archivieren und Planen bedeutet, weitet sie sich zur Verwaltung. Die Büros heißen immer noch Kontor und Kanzlei, differenzieren sich aber allmählich zu Amtsstube, Geschäftszimmer und Sekretariat.
In dieser Zeit wandelt sich der Name des Tisches mit dem Stoff (Burra) zu Bureau – eine Wandlung vom Stoff zum Tisch. Ein Jahrhundert später wird der Raum, in dem der Tisch (Bureau) steht, als Büro bezeichnet – eine Wandlung vom Tisch zum Raum.