Während der Pandemie waren Videokonferenzen ein unverzichtbares Kommunikationsmittel. Doch wie sieht das heute im postpandemischen New Normal aus? Im Interview berichtet Nils Britze vom Digitalverband Bitkom e.V. von Nutzerzahlen, Nebenwirkungen und Videocalls im Metaverse.
OFFICE ROXX: Herr Britze, wie viele Stunden verbringen Sie am Tag in Videocalls?
Nils Britze: Ich denke, dass es im Wochenschnitt circa zwei bis drei Stunden täglich sind. Es gibt sicherlich Ausreißer nach oben, allerdings auch Tage, an denen es weniger sind. Nach dem Ausbruch der Pandemie war es mehr, allerdings haben wir beim Digitalverband eine gute Meeting-Hygiene entwickelt. Das heißt: die Anzahl an internen Calls minimieren und sich wirklich nur zu Calls dazuschalten, in denen die Anwesenheit notwendig ist.
Kennen Sie Zahlen für ganz Deutschland? Wie haben sich Nutzerzahlen und Nutzungsdauer seit Ausbruch der Pandemie entwickelt?
Vor der Pandemie haben im Jahr 2018 mit 48 Prozent weniger als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland häufig oder sehr häufig Videokonferenzen genutzt – im vergangenen Jahr lag der Anteil bereits bei 72 Prozent.
Physische Treffen sind wieder nahezu ohne Einschränkungen möglich. Könnte das das Ende des Videokonferenz-Booms bedeuten?
Ich denke, dass die Boomphase wahrscheinlich vorbei ist. Was wir im letzten Jahr erlebt haben, ist, dass sich die Nutzung von Videokonferenzen auf einem hohen Niveau verstetigt hat. Für mich sind Videocalls ein Element – von natürlich mehreren –, um produktiv ortsunabhängig arbeiten zu können. In vielen Unternehmen wird das hybride Miteinander mittlerweile gelebt und das klappt im Großen und Ganzen auch sehr gut. Sogar so gut, dass knapp neun von zehn Beschäftigten zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten möchten, um zum Beispiel Beruf und Familie besser zu vereinbaren oder intensive Reisetätigkeiten zu minimieren.
Ist eine Konsolidierung des Anbietermarktes für Videocalls zu erwarten?
Die Cloudtechnologie hat es einfach gemacht, einen entsprechenden Dienst anzubieten bzw. nachzufragen. Im Markt haben sich aber relativ schnell führende Anbieter herauskristallisiert, die die Kunden mit einem stabilen Angebot überzeugt haben. Je nach Branche oder vorhandener Hardware, um hybride Meetings durchzuführen, gibt es leichte Variation, aber im Kern ist es ja bereits heute eher eine überschaubare Anzahl an Anbietern, die eine umfassende Einbindung in den digitalen und hybriden Arbeitsplatz ermöglichen.
2020 machte bald der Begriff Zoom-Fatigue die Runde. Tatsächlich besteht der Alltag mancher Office-Worker heute aus einem einzigen Meeting-Marathon. Klar, dass man dessen schnell müde wird. Das bleibt uns auch in Zukunft erhalten?
Wer acht Stunden täglich in Videocalls verbringt, sollte sicherlich die Art und Weise der Zusammenarbeit hinterfragen. Die reine virtuelle Anwesenheit bringt in den seltensten Fällen Erträge. Eine Meeting-Hygiene ist wichtig, das bezieht sich auf virtuelle, aber natürlich auch auf physische Meetings.
Die Bildübertragung verursacht bei Videocalls einen hohen Stromverbrauch. Wie hoch ist er im Vergleich mit einem Telefonat und wie viel lässt sich sparen?
Das kommt auf viele Faktoren wie etwa den Anbieter oder den Strommix an und lässt sich nicht pauschal beantworten. Ein Videocall ersetzt längst nicht nur den einfachen Telefonanruf, sondern auch unzählige Autofahrten zu Hauptverkehrszeiten oder Dienstreisen. In unserer Nachhaltigkeitsstudie haben wir zum Beispiel CO2-Nettoeffekte vom Einsatz von digitalen Lösungen berechnet und kommen zu dem Ergebnis, dass diese enormes Einsparpotenzial besitzen.
Mit welchen technischen Innovationen kann bei Videokonferenzen künftig gerechnet werden?
Es gibt nach wie vor Innovation bei der Art und Weise, wie Konferenzen angeboten werden. Allerdings besteht aus meiner Sicht noch größeres Potenzial bei der Einbindung in die weiteren Lösungen des digitalen Arbeitsplatzes. Der Einsatz von Videokonferenzen hat sich seit der Coronapandemie etabliert, bei der Anwendung von komplexeren Anwendungen wie etwa im Bereich des Wissensmanagements oder der Überführung von Informationen aus Videocalls in digitale Workflows besteht noch großes Potenzial.
Und wann werden wir Videokonferenzen nur noch als Teil des Metaverse kennen?
Wir im Bitkom haben in unserem Team bereits zu Beginn der Coronapandemie Teammeetings teilweise in der virtuellen Realität durchgeführt. Das ist spannend und geht natürlich schon heute. Die eigentliche Frage ist eher, wann die Mehrwerte überwiegen, und da sind wir beim Zweck des Einsatzes. Wenn es darum geht, eine einfache Information zu übermitteln, reicht wahrscheinlich auch das Telefon. Wenn es darum geht, sich in größeren Gruppen auszutauschen oder mehrere Leute zu erreichen, ist eine Videokonferenz eventuell zusammen mit Breakout-Sessions eine gute Option. Wenn es darum geht, gemeinsam in einem Projekt zu arbeiten, in dem Kreativität und Nähe gefragt sind, bieten Meetings in der virtuellen Realität – oder dem Metaverse – tolle neue Möglichkeiten.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Gerrit Krämer.