In seiner zwölften Kolumne macht Tobias Kremkau auf eine wichtige Funktion von Coworking Spaces aufmerksam. Sie wird oft übersehen. Coworking Spaces sind auch ideale Orte für die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten in Bezug auf die Digitalisierung.
Mitte Oktober besuchte ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder eine klassische Messe im Berliner Westen. Die Smart Country Convention lud dazu ein, sich mit der Schnittmenge von E-Government, Smart City und Smart Region zu beschäftigen. Neben ein paar analogen Visitenkarten – zum ersten Mal hatte ich sogar selbst welche dabei – nahm ich vor allem zwei Gedanken von der Veranstaltung mit nach Hause: Zum einen, dass der digitale Wandel im ländlichen Raum längst ein Geschäftsfeld der großen Technologie-Unternehmen ist. Zum anderen die Vision, dass Coworking Spaces neue Lernorte des digitalen Wandels sind.
Einzig und allein am Stand der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) traf man Akteure, die diesen viel besprochenen Wandel vor Ort gestalten, etwa Julianne Becker und Janosch Dietrich vom Workation-Retreat Coconat oder den Kopf hinter jedem Summer of Pioneers, Neulandia-Gründer Frederik Fischer. Ansonsten waren nur Unternehmen anzutreffen, die ihre IT-Lösungen anpriesen. Am WFBB-Stand traf ich auch Jens Best wieder, einen inzwischen im ländlichen Umland von Hessen lebenden Netzaktivisten, den ich seit Jahren nicht mehr getroffen habe. Er brachte mich auf den zweiten hängen gebliebenen Gedanken.
Ich erklärte Jens, was mich an dem Thema Coworking im ländlichen Raum so beschäftigt und welche Potenziale ich darin für uns als Gesellschaft sehe (kurz: mehr Vereinbarkeit und Selbstbestimmung, weniger Verkehr und Emissionen sowie die Wiederbelebung ländlicher Ortschaften). Typisch Jens, brach er die Komplexität solcher von Gemeinschaft geprägten Orte auf eine einfache Erkenntnis herunter: Hier können Menschen von anderen Menschen lernen, was sie im digitalen Wandel brauchen. Coworking Spaces geben Zugang zu dem Wissen, das man täglich braucht und das zu selten auch gelehrt wird.
In seinem Podcast ‚Jöran ruft an‘ telefoniert Bildungsexperte Jöran Muuß-Merholz in der 104. Folge mit dem Schweizer Lehrer Marco Jakob. Dieser erzählt, wie Schülerinnen und Schüler einen Berner Coworking Space nutzen und weshalb wir unser Bild von Lernen und Arbeiten verändern müssen. Davon würden aber nicht nur junge Menschen profitieren, sondern alle, die noch einmal etwas anderes machen möchten, die einen Wechsel wagen und in eine andere Branche quereinsteigen wollen.“
Tipp von Tobias Kremkau
Dieser Gedanke ist nicht neu. 2015 las ich einen Blogbeitrag des US-amerikanischen Futuristen Thomas Frey, der der Frage nachging, ob Coworking Spaces die Colleges ersetzen könnten. Ich tat das als einen sehr amerikanischen Gedanken von Bildung ab, den es sich nicht lohnt, in einem Bildungsland wie Deutschland zu diskutieren. Heute sehe ich das anders, gerade unter dem Aspekt der Vermittlung von beruflichem Wissen in einer sich so schnell digitalisierenden Arbeitswelt. Diese Entwicklung zeigt sich auch bereits in den Debatten um den Wert eines Abschlusses im Vergleich zum Besitz von gefragten Fähigkeiten.
Die registrierten Mitglieder eines Coworking Spaces bilden ein Netzwerk an Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und zu erledigenden Aufgaben. Das Erlebnis dieser Vernetzung, soziale Interaktionen zwischen den Mitgliedern, stellt das Wesentliche eines Coworking Spaces dar. Hier kann man etwas lernen, das einem nicht an einer Schule oder in einem Unternehmen vermittelt wurde. Zum Beispiel spezifische Fähigkeiten wie die Umsetzung eines komplexen Prozesses, das Meistern einer Gründung oder den sozialen Umgang mit Diversität in einer Gemeinschaft.
Das ist momentan noch kein sehr ausgereifter Gedanke, das gebe ich zu. Doch es lohnt sich, ihn weiterzudenken. Seit Jahren steigt die Zahl der jungen Menschen unter 34 Jahren ohne Berufsabschluss. Ende dieses Jahrzehnts werden in Deutschland voraussichtlich 3,5 bis 4 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Wir müssen lernen, anstehende Aufgaben anders als bisher zu lösen und vor allem, die dafür notwendigen Fähigkeiten anders zu vermitteln. Und zwar an junge, alte und auch neue Arbeitnehmende, die quer in einen Beruf gekommen sind. Die auf ein Miteinander setzende Community eines Coworking Spaces kann der Ort dafür sein.