Tobias Kremkau hat Führungskräfte auf einer Tour durch Berliner Coworking Spaces begleitet. Dabei wurde ihm noch einmal klar, was der Kern des Coworkings ist oder sein sollte.
Vor einigen Wochen durfte ich eine Gruppe von Führungskräften eines bayerischen Großunternehmens bei ihren Besuchen von Coworking Spaces in Berlin begleiten. Ab nächstem Jahr soll ein schnell wachsendes Scrum-Team von hier aus für das Unternehmen tätig werden. Zusammen besuchten wir verschiedene Anbieter, lauschten den Pitches und ließen uns die Standorte erklären. Auf den Spaziergängen zwischen den Besichtigungen unterhielt ich mich mit der Gruppe über ihre Eindrücke.
Das war eine bereichernde Erfahrung für mich. Zum einen, weil ich manche dieser Anbieter seit zwei Jahren nicht mehr besucht hatte und nun einen Eindruck von ihren Produkten nach mehr als anderthalb Jahren unter Pandemieeinfluss bekam. Zum anderen erfuhr ich, wie die Angebote der Coworking-Anbieter auf Interessenten aus Unternehmen wirken. Ich bekam einen unmittelbaren Eindruck davon, was ihnen gefiel und was nicht, vor allem aber, was ihnen an einem Coworking Space wirklich wichtig ist.
Bis Anfang 2021 leitete ich die Coworking Spaces des St. Oberholz und war oft genug selbst in der Rolle, solche Gruppen herumzuführen. Dabei habe ich die These entwickelt, dass es keinen schlechten Coworking Space gibt, aber durchaus welche, die nicht zu einem passen. Ich betonte deshalb stets, dass Coworking eine Kultur des Miteinanders sei und man sich darüber bewusst sein müsse, dass es nicht darum gehe, was man von einer Mitgliedschaft habe, sondern darum, was man bereit sei, mit anderen zu teilen.
Diese vermeintliche Hürde, nicht einfach nur Räume anmieten zu können, sondern sich öffnen zu müssen, wirkte wie ein Filter, der viele davon abhielt, im für sie falschen Coworking Space Mitglied zu werden. Nicht ihr Budget war entscheidend, um Zugang zu erhalten, sondern die eigene Unternehmenskultur. Das bereits erwähnte bayerische Großunternehmen hat sich schon eine sehr fortschrittliche Unternehmenskultur erarbeitet. Sonst hätte ich als Externer sie wohl auch nicht beratend begleiten dürfen und wollen.
Ein Kaffeetischbuch ist ein übergroßes, meist gebundenes Buch, dessen einziger Zweck es ist, auf einem Tisch ausgestellt zu werden. So etwas gibt es nun auch zum Coworking. Allerdings werden in dem frisch erschienenen Kompendium von Pauline Roussel und Dimitar Inchev genau 250 Coworking Spaces aus der ganzen Welt in Wort und Bild vorgestellt, sodass der vielfältige Inhalt wesentlich interessanter ist als die reine Existenz des Buches. Es handelt sich um das beeindruckendste Buch über Coworking, das ich bisher lesen durfte, ein echter Meilenstein.“
Tipp von Tobias Kremkau
Die meisten Standorte wurden von der Gruppe emotionslos bewertet und auch schnell verworfen. Die Räume waren zu klein, wie auch die Arbeitstische oder Flure, und irgendwie vermissten sie es, anderen Menschen auf den oft leblos wirkenden Flächen zu begegnen. Über zwei Coworking Spaces unterhielten wir uns im Anschluss an die Besichtigungen am intensivsten: die Factory Berlin am Görlitzer Park und das betahaus in Kreuzberg. Bei Redaktionsschluss ist noch keine Entscheidung gefallen, aber beide Orte beeindruckten sie.
Nico Gramenz, Geschäftsführer der Factory Berlin, nahm sich persönlich Zeit für unseren Besuch. Er erklärte, dass sich das Unternehmen auf eine Mitgliedschaft bewerben kann, denn die Factory will nicht mehr nur Community sein, sondern Innovationsgemeinschaft. „Wer einfach nur einen Schreibtisch sucht, ist hier falsch“, erklärte er nach seinem Amtsantritt. Die Mitglieder der Factory sollen seinen Vorstellungen nach zusammenarbeiten, sich gemeinsam Herausforderungen stellen und Lösungen entwickeln. Sie werden dazu regelrecht angeleitet.
Im betahaus empfingen uns die beiden Mitgründer Madeleine Gummer von Mohl und Christoph Fahle, die auch die Community als eigentlichen Mehrwert einer Mitgliedschaft in einem Coworking Space sehen. Sie verwiesen auf die notwendige Eigeninitiative, wenn man davon profitieren möchte. Die Erfahrung des Miteinanders macht Coworking aus. Am Ende fragte sich die Besuchergruppe, ob es besser sei, wenn dieser Prozess moderiert organisiert wird oder wenn er zufällig, aus sozialen Interaktionen heraus, entsteht. Eine gute Frage.