Die Pandemie hat den Wandel der Bürowelt beschleunigt. Wir sprachen mit der Trendexpertin Birgit Gebhardt über neue Erkenntnisse, künftige Bürokulturen und veränderte Einrichtungsmaßstäbe.
OFFICE ROXX: Frau Gebhardt, 2020 haben Sie für den deutschen Büroeinrichtungsverband IBA die „New Work Order“-Vertiefungsstudie „The Human Factor@Work“ veröffentlicht. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt?
Birgit Gebhardt: Hauptsächlich dazu, dass das menschenzentrierte Büro von zwei Seiten begünstigt wird: von der technologischen Entwicklung zur Künstlichen Intelligenz wie auch von den individuellen Erfahrungen mit unterschiedlichen Arbeitsorten während der Pandemie. Das bedeutet im Einzelnen:
- Während der Pandemie und der Erprobung neuer Arbeitsorte haben sich viele erstmals bewusst gemacht, inwieweit die Umgebung die Tätigkeitsausübung behindern oder beflügeln kann. Das ist eine neue Sensibilität auf Mitarbeiterseite.
- Die Wahl des Arbeitsortes wird bewusster getroffen werden und stärker mit der eigenen Agenda aus privaten und beruflichen Verpflichtungen abgestimmt. Ziel ist die persönliche Effektivität.
- Hilfreiches Feedback, was sich wann, wo, wie und mit wem am besten erledigen lässt, leisten Smartwatches und intelligente Assistenzsysteme, die sich vollumfänglich nur dem Nutzer darstellen. Ähnlich individuell und endkundenorientiert arbeitet jeder digitale Service.
- Die Immobilienwirtschaft ist dagegen noch rein B2B auf den Betreiber ausgerichtet, und das Büro atmet noch den Geist des Maschinenzeitalters, wo man Raumvolumen an Bildschirmarbeitsplätzen ausrichtet und Kopf pro Fläche rechnet. Die Erwartungshaltung der Nutzer, deren Performanz zu steigern, würde aber eine B2C-Ausrichtung verlangen.
- Technologie beginnt zu menscheln. Neue Medien, vermischte Realitäten und Mensch-Maschine-Kollaboration interagieren immer mehr mit unserem natürlichen Verhalten, erhöhen unsere Wirksamkeit oder können Defizite kompensieren. Wenn die KI uns kennenlernen will, sollten wir uns nicht wie Roboter verhalten.
- Jedes Unternehmen muss herausfinden, welche Tätigkeiten bei der Belegschaft verbleiben und welche künftig von der umgebenden Systemintelligenz erledigt werden. Die Buzzwords Kreativität oder Empathie genügen nicht, um die humane Arbeitsleistung zu beschreiben. Es gilt, das Büro in eine humane Lernwelt zu verwandeln, in der unsere Natürliche Intelligenz fruchtbar untereinander und mit der Künstlichen kooperiert.
- Aktivitätsbasierte Arbeitswelten, die sich nach solchen Untersuchungen differenzierter darstellen, sind der erste Schritt zur menschenzentrierten Arbeitswelt. Im zweiten Schritt gilt es, auch die individuelle Verfassung und Motivation für die Arbeitsabsicht zu stimulieren. Nötig wird also eine funktionale wie emotionale Unterstützung, die sich über unterschiedliche Atmosphären, soziale Kollaboration und kulturelle Kontaktflächen erzeugen lässt.
Welche Aspekte finden Sie besonders spannend bzw. zukunftweisend?
Spannend fand ich, dass wir langsam unsere Natur verstehen und ihr entsprechen können. So reagiert unser zirkadianer Rhythmus nachweislich auf die Farbanteile im Licht, dessen Spektrum sich erst seit diesem Jahrtausend mit LEDs simulieren lässt. Ebenfalls physiologisch belegt ist die erholsame Wirkung von Pflanzen oder der anregende Effekt leichter Bewegung vor dem Lösen einer Aufgabe. Die physische Interaktion mit der Umwelt und miteinander ist für unsere sensorische Auffassungsgabe enorm wichtig. Darüber hinaus erweitert sich unser Wirkungsradius durch digitale Services wie Navigationssysteme und VR-Simulationen. Verblüffend fand ich, dass Menschen laut kognitiven Neurologen gar nicht in der Lage sind, rein rationale Entscheidungen zu treffen, weil unser Denken immer mit Erinnerungen, Erfahrungen und Emotionen verkettet ist. Das dürfte das Ende für eine technikzentrierte Arbeitswelt mit nivellierenden Standards bedeuten.
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